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Wenn die Kinder auf der Strecke bleiben

Wenn Eltern sich trennen, kommt die Sorge um das Kind oft erst an zweiter Stelle. Nach Ansicht des deutschen Familienrechtlers Ludwig Salgo verstärkt die herrschende Rechtspraxis diesen Missstand noch, wie er bei seinem Gastvortrag am 10. Mai 2005 an der Universität Zürich erklärte.
Marita Fuchs

Der Familienrechtler Ludwig Salgo, vielen bekannt durch sein Buch «Der Anwalt des Kindes», ist davon überzeugt, dass Scheidung und Trennung eine grosse Belastung für Kinder und Jugendliche darstellen. Bei seinem Gastvortrag im Rahmen des NFP-52-Projektes «Kinder und Scheidung» am 10. Mai an der Universität Zürich wies er vor allem auf die rechtlichen Mängel der Scheidungs- und Nachscheidungsphase hin, von denen Kinder und Jugendliche betroffen sind.

Für Ludwig Salgo muss das Scheidungsrecht die Bedürfnisse der Kinder besser berücksichtigen.

«Niemand hat mir erklärt, was passiert ist, ich war sehr lange Zeit allein. Ich war wütend und sehr allein, ich würde meine Kinder nie so behandeln», zitierte Salgo Betroffene, die als Kinder die Scheidung ihrer Eltern erlebten und heute mit 28 Jahren ihre damaligen Empfindungen beschreiben. Dabei herrscht vor allem das Gefühl der Isolation vor.

Diese Marginalisierung der Kinder sei auch heute in der deutschen Rechtspraxis vorherrschend, betonte Salgo. Im Mittelpunkt des Interesses stünden bei Scheidung und Trennung die Erwachsenen und nicht die Kinder. Bei dieser Praxis dürfe es jedoch nicht bleiben, die Schwierigkeiten von Kindern und Jugendlichen müssten reduziert werden, zum Beispiel durch Gesprächsangebote. Die bisherigen Scheidungsreformen zahlreicher Länder zielten auf die Erwachsenen ab und erhofften sich gleichzeitig positive Auswirkungen für die Kinder. Besser ist es laut Salgo aber, den Kindern direkt Hilfe anzubieten.

Kompetente Fachpersonen

Geschulte Personen, welche die Fähigkeit hätten, mit Kindern zu kommunizieren, müssten als Anhörungspersonen eingesetzt werden. Diese sollen laut Salgo in geeigneten Räumlichkeiten und mit genügend Zeit den Kindern die Möglichkeit bieten, ohne ihre Eltern über ihre Situation und ihr Befinden zu sprechen.

Das bedeute zwar mehr Arbeit und Kosten für die Gerichte und den Staat, denn Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche müssten geschaffen und finanziert werden. Und die Anzahl der betroffenen Kinder ist relativ hoch: In seiner Heimatstadt Frankfurt werde mittlerweile jede zweite Ehe geschieden, sagte Salgo.

Falsche Leitbilder

Suggerierte Leitbilder wie «Eltern bleiben trotz Scheidung» seien laut Meta-Analysen der Scheidungsforschung unrealistisch und würden die Bedürfnisse und das Leiden der Kinder ausblenden. Der Gesetzgeber mache es sich zu einfach, wenn er wie zum Beispiel in Deutschland hauptsächlich die gemeinsame elterliche Sorge fördere. Das rechtliche Instrumentarium hat nach Ansicht Salgos das Leiden der Kinder nicht reduziert, sondern im Gegenteil erhöht.

Andrea Büchler untersucht im Rahmen des NFP52 die Auswirkungen des Scheidungsrechts auf Kinder.

Es gehe darum, Kinder vor physischen und psychischen Schäden zu bewahren. Deshalb dürfe man die Kinder nicht mit dem fortwährenden Konflikt der Eltern belasten. Gerichtlich verfügte Besuchsregelungen täten den Kindern nicht in jedem Fall gut, vor allem dann nicht, wenn es häufig Streit gäbe. Für Kinder könne eine Scheidung zu massiven Belastungen führen, die sich im Laufe der Kindheit kumulieren, so dass die Probleme mitunter erst im Erwachsenenalter ihren Höhepunkt erreichen würden.

Der Staat als Eheberater

Auf der Suche nach besseren gesetzlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen seien Forschung und Öffentlichkeit gefragt, führte Salgo aus. Bislang fehlen empirisch gesicherte Daten über die Anwendung des revidierten Scheidungsrechts sowie über die bei Scheidungen getroffenen Entscheide und ihre Auswirkungen auf die Beteiligten. Ein breites Beratungs- und Informationsangebot, das bis in die Schulen hineinreiche, könne Kindern und Jugendlichen die notwendige Unterstützung bieten.

Auch Eltern müssen laut Salgo mehr Verantwortung übernehmen. «Manchmal wünsche ich mir die kirchliche Eheberatung zurück, die künftige Eltern auf ihre Verantwortung hingewiesen hatte», schloss Salgo seinen Vortrag provokativ. Eine obligatorische Beratung für Eltern sollte seiner Meinung nach heute der Staat anbieten.

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