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Facelifting für den ältesten Hominiden

Dank computerunterstützter Rekonstruktion haben Christoph Zollikofer und Marcia S. Ponce de Léon vom Anthropologischen Institut und Museum der Universität Zürich belegen können, dass sich bereits vor sieben Millionen Jahren die Humanoiden von den Menschenaffen abzuspalten begannen. Ihre Forschungsergebnisse, die neue Erkenntnisse zu den Anfängen der Menschheitsgeschichte erschliessen, publizierten die beiden am Donnerstag in zwei Artikeln in der Zeitschrift «Nature».
Christoph P.E. Zollikofer und Marcia S. Ponce de León

Am Tag über 40 Grad, in der Nacht um den Gefrierpunkt, und fast unausgesetzte Sandstürme: Die Djurab-Wüste im Tschad ist heute einer der lebensfeindlichsten Orte aufunserem Planeten. Vor sieben Millionen Jahren war dort jedoch ein ökologisches Paradies. In der Uferzone des einstigen Mega-Tschadsees lebten Elephanten, Erdferkel, Dreizehenpferde, Giraffen, Antilopen, Nilpferde, Raubkatzen, Hyänen, Nagetiere und Affen.

Und die ersten Hominiden. Vor einigen Jahren fand ein Team um den französischen Paläontologen Michel Brunet einen fast vollständig erhaltenen Schädel, sowie Unterkieferfragmente und Zähne eines neuen Vertreters dieser Gruppe, Sahelanthropus tchadensis. Der Schädel erhielt den Taufnamen «Toumaï» – «Hoffnung auf Leben» in der lokalen Sprache Goran – und ist inzwischen eines der berühmtesten Fossilien überhaupt.

Die Sahelanthropus-Funde weisen auf einen sehr frühen Hominiden hin, der sozusagen die ersten evolutionären Schritte weg von seinen menschenaffenähnlichen Verwandten genommen hatte. Allerdings ist das wichtigste Fundstück, der Schädel, stark deformiert und von Bruchlinien durchzogen. Dies ist nach sieben Millionen Jahren Fossilisationsgeschichte eigentlich nicht verwunderlich, aber es hat zur Folge, dass viele evolutionsbiologische Eigenheiten des Schädelbaus am Original nicht mit Sicherheit bestimmbar sind.

Toumaï (Sahelanthropus tchadensis) vor und nach dem Facelifting

Sieben Millionen Jahre zurückgespult

Eine Rekonstruktion war also angezeigt. Allerdings liess sich dies nicht mit Meissel und Hammer bewerkstelligen, da jeder physische Eingriff das Original unwiederbringlich beschädigt hätte. Überdies wäre es unmöglich gewesen, den wie eine Knetmasse deformierten und stark versteinerten Knochenwieder in seine Originalform zurückzubiegen.

Hier kam die in Zürich entwickelte Methodik der computerunterstützten Fossilrekonstruktion zum Einsatz. Unser Ziel war es, Toumaï in eine Art Zeitmaschine zu setzen und die geologischen Ereignisse der letzten sieben Millionen Jahre bis zum Zeitpunkt des Todes des Individuums zurückzuspulen. Aufgrund von computertomographischen Daten, die an der EMPA aufgenommen worden waren, zerlegten wir vorerst den virtuellen Schädel am Computerbildschirm in etwa 100 Einzelteile. Die Teile wurden darauf wie in einem dreidimensionalen Puzzle wieder zusammengefügt, einerseits nach geometrischen, andererseits nach biologischen Kriterien.

Beim ersten Rekonstruktionsverfahren ging es darum, räumliche Beziehungen zwischen benachbarten Teilen wieder herzustellen (ähnlich dem Zusammenfügen von Scherben), beim zweiten ging es darum, anatomische Grundeigenschaften als Rahmenbedingungen der Rekonstruktion zu berücksichtigen, wie z.B. die spiegelsymmetrische Organisation des Schädels und die fixen Lagebeziehungen zwischen einzelnen Schädelteilen. Diese Arbeiten wurden von uns beiden unabhängig voneinander ausgeführt, so dass insgesamt vier personell und methodisch eigenständige virtuelle Rekonstruktionen für die weitere Analyse zur Verfügung standen.

Klare Unterscheidung zu Menschenaffen

Mittels geometrisch-morphometrischer Verfahren konnten wir die rekonstruierte dreidimensionale Schädelform von Toumaï mit der von anderen Hominidenfossilien und von Menschenaffen vergleichen und damit zwei Sachverhalte klären: Erstens liess sich zeigen, dass alle vier Rekonstruktionsvariantenvon Toumaï sehr ähnlich zueinander sind, was für deren Zuverlässigkeit spricht. Zweitens stellte sich heraus, dass der Schädel von Toumaï klar von Menschenaffenschädeln unterschieden ist und sich ebenso klar in die Gruppe aller bereits bekannten fossilen Hominiden einreiht.

Um diese Zuordnung noch weiter abzusichern, spielten wir schliesslich selbst den Teufelsadvokaten, indem wir versuchten, die Einzelteile von Toumaï so zusammenzusetzen, dass sich eine möglichst menschenaffenähnliche Schädelform ergibt. Dies lässt sich nicht bewerkstelligen, da einige Schädelteile übereinander zu liegen kommen, während andere auseinander gerissen werden.

Menschenschädel mit Affenhirn

Die virtuelle Rekonstruktion zeigt also, dass es sich bei Toumaï um einen Hominiden und nicht um einen Menschenaffen handelt. Heute sind wir die einzigen noch lebenden Vertreter der Hominiden, und unsere nächsten lebenden Verwandten aus der Gruppe der Menschenaffen sind die Schimpansen. Charakteristisch für Hominiden ist der aufrechte Gang und – damit in Zusammenhang – ein relativ kurzes und steilgestelltes Gesicht und ein tiefliegendes Hinterhauptsloch, an dem die steilgestellte Wirbelsäule ansetzt. Ein weiteres Merkmal der Hominiden ist ein grosser Hirnschädel. Toumaï’s Schädel weist alle Merkmale des aufrechten Ganges auf. Damit hatte er den Rubikon überschritten, der die Hominiden von ihren Menschenaffenvorfahren unterscheidet. Sein Gehirn allerdings war nicht grösser als das eines Schimpansen, also noch diesseits des Rubikon.

Michel Brunet, Franck Guy, David Pilbeam, Daniel E. Lieberman, Andossa Likius, Hassane T. Mackaye, Marcia S. Ponce de León, Christoph P. E. Zollikofer&Patrick Vignaud: New material of the earliest hominid from the Upper Miocene of Chad, in: Nature, Vol 434 No 7034 pp681-806 (7. April 2005)
Christoph P. E. Zollikofer, Marcia S. Ponce de León,Daniel E. Lieberman, Franck Guy, David Pilbeam, Andossa Likius, Hassane T. Mackaye, Patrick Vignaud&Michel Brunet: Virtual cranial reconstruction of Sahelanthropus tchadensis, in: Nature, Vol 434 No 7034pp681-806 (7. April 2005)

Prof. Dr. Christoph P. E. Zollikofer ist Professor und Dr. Marcia S. Ponce de Léon ist Senior Research Assistant am Anthropologischen Institut und dem MultiMediaLab der Universität Zürich