Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Studie zur Behandlung von Alkoholabhängigen

Frauen, Männer und der Alkohol

Wenn Männer von Frauen unterstützt und Frauen durch Männer belastet werden: ein Plädoyer für geschlechtsspezifische Alkoholforschung.
Martin Sieber

Diametral verkehrt ...

Männer und Frauen wählen oft unterschiedliche Wege, ihr Leben angenehmer zu gestalten und Belastungssituationen zu bewältigen. So konsumieren Männer häufiger und in grösseren Mengen alkoholische Getränke als Frauen. Es ist deshalb plausibel, dass Männer häufiger als Frauen Alkoholprobleme entwickeln und deswegen eine Behandlung in Anspruch nehmen. Bei einer mehrwöchigen stationären Behandlung, die für beide Personengruppen ungefähr gleichintensiv und gleich lange ist, könnte man erwarten, dass die Behandlungserfolge auch etwa gleich sind.

Eine Studie der Forel Klinik (Fachklinik für Alkohol- und Medikamentenabhängige) hat aber ergeben, dass dies nicht zutrifft und dass Männer einen signifikant besseren Behandlungserfolg haben als Frauen. Die Evaluation des Behandlungserfolgs fand rund zwei Jahre nach der stationären Behandlung auf der Basis einer schriftlichen Befragung statt. Diese Nachbefragung bei 529 ehemaligen Patienten und 140 Patientinnen wurde von Lizentiandinnen und Doktoranden der Universität Zürich durchgeführt, die zu diesem Thema ihre Abschlussarbeit geschrieben haben. Die Erfassung des Behandlungserfolgs respektive der Bewältigung der Alkoholproblematik zum Zeitpunkt der Nachbefragung erfolgte auf drei Ebenen: a) Konsumverhalten bezüglich Alkohol, b) Zufriedenheit mit der Gesundheit und der Lebenssituation sowie c) so genanntes «globales Outcome» – ein Indikator für mehrere Werte gleichzeitig: das Alkoholkonsumverhalten, die eventuelle erneute stationäre Behandlung, die Lebenszufriedenheit und die berufliche Integration.

... männliche und ...

Männer schneiden besser ab

Das international am häufigsten verwendete Kriterium ist die Alkoholabstinenz zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung (Ebene a). Bei diesem Kriterium stellte sich heraus, dass die Männer ein signifikant günstigeres Ergebnis aufwiesen: 41,2 Prozent der Männer waren zum Zeitpunkt der Nachbefragung noch abstinent, bei den Frauen waren es nur 28,6 Prozent. Und auch bei anderen Indikatoren zum Alkoholkonsum schnitten die Männer besser ab. Welches könnten die Gründe dafür sein? Haben die Männer mehr oder andere Ressourcen, zum Beispiel eine tragfähigere Partnerschaft oder eine stabile berufliche Situation?

Als Erstes wurden die Erfolgsraten der Männer, die mit einer Partnerin zusammenlebten, mit der Erfolgsrate von alleine lebenden Männern verglichen. Alle Erfolgsindikatoren a, b und c ergaben, dass Männer, die mit einer Partnerin oder Ehefrau zusammenlebten, ihren Alkoholkonsum besser im Griff hatten und in einer günstigeren Lebenssituation standen als Männer, die alleine lebten. Bei den Frauen bestand dieser Unterschied jedoch nicht, sondern deutete eher in die gegenteilige Richtung: Frauen, die mit einem Partner zusammenlebten, hatten einen so genannt «starken Konsum» häufiger als Frauen, die alleine lebten.

... weibliche ...

Noch ausgeprägter waren die Geschlechtsunterschiede, wenn das Zusammenleben mit Kindern erfasst wurde: Wenn Männer mit Kindern zusammenlebten, waren ihre Erfolgsindikatoren am positivsten (Abstinenzrate: 48,9 Prozent). Wenn Frauen mit Kindern zusammenlebten, hatten sie die ungünstigsten Erfolgsindikatoren (Abstinenzrate: 6,7 Prozent). Eine Partnerschaft, insbesondere eine solche mit Kindern, war für die Männer somit eine Ressource, für die Frauen dagegen nicht.

Es spielte bei den Frauen keine Rolle, ob sie berufstätig oder als Hausfrau tätig waren, die Erfolgsindikatoren waren ähnlich. Sobald jedoch diese Tätigkeiten mit der Betreuung von Kindern verbunden waren, sanken die Erfolgsindikatoren.

Als geschlechtsspezifisch erwies sich auch das Vorhandensein einer nahen Vertrauensperson, das für Frauen als Ressourcefaktor fungierte, beiden Männern jedoch keine solche Bedeutung hatte. Trennung oder Scheidung waren dagegen für beide Personengruppen ein Risikofaktor.

... Suchtgewohnheiten.

Scheidung als Risikofaktor

Das unterschiedliche Profil der Risiko und Schutz- oder Ressourcefaktoren hat für die Frauen eine paradoxe Komponente: Für Frauen ist die Ehe kein Schutzfaktor (wie bei den Männern), Trennung und Scheidung sind jedoch Risikofaktoren. Die unterschiedliche Bedeutung von Ehe und Partnerschaft für Männer und Frauen wurde auch schon durch andere Studien belegt. Zudem ist bekannt, dass verheiratete Männer im Vergleich zu unverheirateten und allein lebenden Männern eine höhere Lebenserwartung, eine bessere körperliche und psychische Gesundheit und im Krankheitsfall bessere Chancen haben, wieder gesund zu werden.

Überraschend ist die deutlich andere Situation bei den Frauen und die zusätzliche Belastung, wenn sie mit Kindern zusammenleben. Dies könnte damit in Zusammenhang stehen, dass die Frauen der Studie relativ häufig in ihrer Partnerschaft mit einem alkoholabhängigen Partner verbunden und/oder häufiger mit Gewalt konfrontiert waren. Kehren sie nach einer Suchtbehandlung in ihre Familie zurück, ist nicht selbstverständlich damit zu rechnen, dass Gewalttätigkeiten ausbleiben. Ferner erhalten Männer mit Alkoholproblemen in stärkerem Masse Unterstützung von der Partnerin als umgekehrt. Auch wäre es möglich, dass Frauen in einem fortgeschritteneren Stadium der Alkoholkrankheit eine stationäre Behandlung beginnen als Männer, sodass die Situation nach Austritt für sie schwieriger zu meistern ist als für Männer.

Beim kritischen Rückblick auf die Ergebnisse muss darauf hingewiesen werden, dass sich das hier vorgefundene geschlechtsspezifische Muster auf eine spezielle Personengruppe bezieht. Und selbst bei diesen Personen gibt es Fälle, bei denen die Männer für die Frauen unterstützend und die Frauen für die Männer belastend wirken. Das hier vorgefundene Muster passt jedoch zu anderen Studien, in denen nachgewiesen werden konnte, dass Ehe und Partnerschaft für Frauen nicht in gleichem Masse ein Schutzfaktor ist wie für Männer. Einmal mehr zeigt sich anhand der Forel- Studie die Wichtigkeit geschlechtsgetrennter Forschung.

Martin Sieber ist Titularprofessor am Psychologischen Institut und Leiter der Abteilung Forschung und Evaluation in der Forel Klinik Ellikon.