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Forschungskredit 2004

Mit Ironie gegen Frauen- und Männerklischees

Ein weiblicher Dandy und eine erotische Femme fragile: Die Romane von Annette Kolb und Franziska zu Reventlow demontieren auf subtile Art weibliche und männliche Rollenbilder. In ihrer vom Forschungskredit 2004 unterstützten Dissertation setzt sich die 31-jährige Germanistin Isabelle Gloria Stauffer neben literaturwissenschaftlichen auch mit Geschlechter-Fragen auseinander.
Isabelle Meier

Brach mit ihrer adligen Herkunft, schlug sich als alleinerziehende Mutter durch und verstörte durch ihre unkonventionelle Lebensart: die Schriftstellerin Franziska zu Reventlow.

«Diese Mischung aus Leichtigkeit, Eleganz und Ironie entsprach dem Wunschbuch in meinem Kopf», erinnert sich die Germanistin Isabelle Gloria Stauffer an ihren ersten Kontakt mit einem Roman von Annette Kolb (1879–1967). Deren Werk «Die Schaukel» stand auf derLeseliste für den Literatur-Akzess des Germanistikstudiums. Dieselbe Leichtigkeit und Eleganz entdeckte sie auch bei Gräfin Franziska zu Reventlow (1871-1918), einer Zeitgenossin von Kolb. Was Stauffer in den Werken der beiden Autorinnen jedoch besonders interessierte, war die Ironie. Denn hier bestand eine Forschungslücke: «Ironie war bisher kaum in geschlechtsspezifischer Hinsicht betrachtet worden», so Stauffer. In Untersuchungen über die Ironie sind nur Autoren, aber keine einzige Autorin vertreten, weder in der Theorie noch bei der Analyse einzelner Schriftsteller.

Weiblicher Dandy, engagierte Warnerin vor dem Nationalsozialismus und selbstbewusste Schriftstellerin: Annette Kolb.

Ein weiblicher Dandy

Diese Lücke möchte die Forscherin füllen. In ihrer Dissertation geht Isabelle Gloria Stauffer der Funktion der Ironie in den Texten von Kolb und Reventlow auf den Grund. Ironisiert werden vier Frauen- und Männerklischees, die um die Jahrhundertwende prominent waren: Die Femme fatale, die Femme fragile, der Dandy und der Décadent. So kommt bei Reventlow beispielsweise ein weiblicher Dandy vor. Oder bei Kolb werden der Femme fragile Eigenschaften der Femme fatale zugeschrieben – eine kränkliche, zerbrechliche Frau etwa, die jedoch als sehr erotisch wahrgenommen wird –, wodurch sich die beiden Klischees gegenseitig unterlaufen. «Die Ironie in diesen Texten weist darauf hin, dass die Geschlechtsidentitäten gesellschaftliche Konstruktionen sind», meint Stauffer. Indem die Autorinnen sich über sie mokieren, überschreiten und verwischen sie in ihren Romanen die herrschenden Frauen- und Männerbilder.

«Ich habe etwas zu sagen»

Diese Frauen- undMännerbilder waren von der damaligen sozialen Rollenverteilung beeinflusst. Um die Jahrhundertwende wurde den Frauen der private Bereich von Häuslichkeit und Familie zugewiesen, während der öffentliche Raum dem Mann vorbehalten war. Zugang zu Bildung war für Frauen noch nicht selbstverständlich. So war um 1880 die Schweiz das einzige deutschsprachige Land, das Frauen zum Universitätsstudium zuliess, während in Deutschland junge Frauen erst kurz vor der Jahrhundertwende zum Abitur zugelassen wurden. Gegen diese unterdrückende Geschlechterordnung formierte sich Widerstand. Die erste Frauenbewegung trat für bessere Bildungsmöglichkeiten und das Wahlrecht ein. Kolb und Reventlow liessen sich weder in die stille, häusliche Rolle zwängen noch von der Frauenbewegung vereinnahmen, sondern äusserten Zeit ihres Lebens ihre eigenen Meinungen.

Mit dem Satz «Ich habe etwas zu sagen» erzwang sich Annette Kolb die Publikation eines Artikels in der «Neuen Deutschen Rundschau», als sie noch ganz am Anfang ihrer schriftstellerischen Laufbahn stand. Sie war eine engagierte, unerschrockene Warnerin vor dem Nationalsozialismus und emigrierte kurz nach der Machtergreifung Hitlers nach Amerika. Reventlow, 1871 in eine norddeutsche Adelsfamilie geboren, floh mit 21 aus ihrem steifen, aristokratischen Elternhaus, dessen strenge Forderungen die lebenshungrige junge Frau zu ersticken drohten. Sie malte, schrieb und versuchte sich und ihrem unehelichen Sohn das Leben zu finanzieren. Dabei schreckte sie auch vor Schulden und gelegentlicher Prostitution nicht zurück.

Ironie ist ein wirkungsvolles Mittel, einer traditionellen Umwelt entgegen zu treten: die Germanistin und Doktorandin Isabelle Stauffer.

Diversifizierung von Frauen- und Männerrollen

Beiden Autorinnen gemein ist das kritische, unkonventionelle Denken. «Sie sind beide Einzelgängerinnen in ihren künstlerischen und politischen Ansichten», meint Stauffer. Auf die Frage, was sie an den Autorinnen fasziniert, zögert sie und überlegt. «Ich gehe auch gerne meinen eigenen Weg», meint sie. Es störe sie, wenn ihr jemand vorschreibe, was und wie weit sie denken dürfe: «Ich hatte immer schon etwas gegen autoritäres Denken.» Besonders in der emotionsgeladenen Geschlechter-Debatte wird sie oft mit Schranken und Barrieren konfrontiert. «Die Menschen sollen nicht in eine Vorstellung eingesperrt sein, wie Frauen und Männer sein müssten», führt sie aus. An Gender Studies interessiert sie denn auch diese Möglichkeit der Diversifizierung von Frauen- und Männerrollen. Gender Studies untersuchen das Geschlechterverhältnis und beschäftigen sich mit den Rollen, die der Frau und dem Mann in einer Gesellschaft zugeteilt werden. «Zunehmend interessieren sich auch Männer für Gender Studies, weil auch sie sich mit ihrer gesellschaftlich vorgegebenen Rolle nicht identifizieren können», sagt Stauffer. Den ersten Kontakt mit Gender-Themen hatte sie im Gymnasium, als ihr ein Fischer-Taschenbuch aus der Reihe «Frau» in die Hände geriet. Darin beschrieb eine Mutter den Versuch, ihre Tochter nicht als Mädchen, sondern als Mensch zu erziehen. Seither hat sich die Forscherin für Geschlechterrollen interessiert. «Leider ist es an der Universität Zürich bisher nicht möglich, Gender Studies als Studienfach zu belegen», meint Stauffer.

«Feminismus sollte lachen können»

Wenn sie von ihrem Dissertationsprojekt erzählt, erfährt sie unterschiedliche Reaktionen. «Viele junge Frauen finden das Thema toll und unterstützen es.» Sie stösst aber auch auf Ablehnung: «Es gibt Leute, die der Meinung sind, Geschlechter-Themen seien vorbei. Ich wurde auch schon als Fossil bezeichnet», lacht sie. Eine Prise Humor im Umgang mit dem Thema ist ihr wichtig. «Feminismus sollte auch lachen können.» Und wie begegnet sie jenen konservativen Ansichten über Geschlechterrollen, die in letzter Zeit wieder vermehrt geäussert werden? Auf gänzlich unreflektierte Aussagen reagiert sie wie die beiden Autorinnen – mit Ironie. Denn «Ironie ist ein wirkungsvolles Mittel, auf Menschen mit traditionellen Ansichten zu reagieren», ist sie überzeugt, «es regt zum Nachdenken an.»

Isabelle Meier ist freie Journalistin.