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Schweizer Film

Die schräge Schweiz

Die Stärke des Schweizer Films liegt in der Exzentrik; Mainstream-Produktionen sind die Ausnahme, sagt Marcy Goldberg. In ihrer Dissertation, die vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt wird, ist sie Dokumenten einer «schrägen» Schweiz auf der Spur.
Brigitte Blöchlinger

«Die Schweizer Filmschaffenden sind extrem kosmopolitisch», hat die Filmwissenschaftlerin Marcy Goldberg erfahren.

Acht Jahre hat die Kanadierin Marcy Goldberg in der Schweizer Filmbranche gearbeitet. Was sie dabei kennen gelernt hat, erschien ihr nur auf den ersten Blickfremd. Wie in Kanada ist auch die Filmszene inder Schweiz überschaubar und – wegen der unterschiedlichen Sprachkulturen und Regionen – sehr vielfältig. «Aber die Motive», erzählt Marcy Goldberg, «die sind hier schon anders.» Im kanadischen Filmschaffen gehe es häufig darum, sich vom grossen Bruder USA zu unterscheiden und die eigene Identität zu schützen. «In Kanada meint man zu wissen, wie diese Identität aussieht», bilanziert Goldberg, «in der Schweiz wird sie ständig in Frage gestellt.»

Diese permanente Auseinandersetzung mit der Identität hat eine lange Tradition in der Schweizer Literatur und prägt auch den Film. Darüber hinaus, und im Gegensatz zu Kanada, wo zu über neunzig Prozent Hollywood-Streifen über die Leinwände flimmern, ist man in der Schweiz mit verschiedenenKinotraditionen vertraut.

«Extrem kosmopolitisch»

So verwundert es nicht, dass die meisten Filmschaffenden hierzulande nicht versuchen, den grossen Blockbuster herzustellen, sondern etwas Eigenes, Persönlicheres zu kreieren. «Unter dem Arbeitstitel ‹Die schräge Schweiz›», so Marcy Goldberg, «versuche ich, diese Vielfalt unter einen Hut zu bringen.» «Schräg» heisst im Zusammenhang mit ihrem Dissertationsprojekt, das vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt wird, «seltsam» oder «ungewöhnlich». Im Begriff klingen aber auch komische oder satirische Aspekte an.

«Schräg» bedeutet jedoch nicht, dassdie Filmschaffenden als weltabgewandte Bastler vor sich hin werkeln. Im Gegenteil: Die meisten kennen sich bestens im internationalen Kinoschaffen aus, verfügen über das neuste technische Know-how für Video und Internet und sind allgemein – wie das Schweizer Kinopublikum auch – «extrem kosmopolitisch», findet Goldberg. Mit diesem weltläufigen Background gehen sie dannan ihre lokalen Geschichten heran.

Narrenfreiheit und Nischenvorteile

Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Dokumentarfilm «Hans im Glück» von Peter Liechti. Der Regisseur inszeniert sich darin als «einer, der auszog, das Rauchen loszuwerden». Liechti wanderte so lange zigarettenlos zwischen seinem Wohnort Zürich und seinem Heimatort St. Gallen hin und her, bis er es geschafft hatte. Drei Anläufe brauchte es dazu. Die Bilder, Erkenntnisse und Erinnerungen, die er auf seinen Märschen mitnahm, bilden den Fundus zu dieser «Heim-Suchung eines Rauchers», wie der Regisseur schreibt. «Liechti ist ganz der Künstler, der mit seiner Persönlichkeit arbeitet», sagt Goldberg, «und sich auf seiner Wanderung im konkreten wie übertragenen Sinn zwischen Moderne und Tradition bewegt. Und dabei bringt er erst noch einen lustigen, sehr unterhaltsamen Film hervor.»

Autorenfilm fördern

Nun könnte man sich fragen, weshalb gerade in der reichen Schweiz eine Kultur des Schrägen und nicht etwa eine Mainstream-Hochburg entstanden ist. Geld wäre ja genug vorhanden. Marcy Goldberg überlegt kurz. «Die Schweiz ist ein reiches Land, aber sie hat nie eine sehr grosszügige Kulturpolitik gehabt.» Auch aus sprachlichen, volkswirtschaftlichen und historischen Gründen blieb die Kinematographie in der Schweiz klein. Länder wie die USA, Frankreich, Deutschland und Italien entwickelten schon zu Stummfilmzeiten eine beachtliche Filmindustrie. Dafür ist es in der Schweiz fast zu spät, findet Marcy Goldberg. Sinnvoller sei es, den Vergleich mit kleineren Filmländern wie etwa Belgien, Österreich, Dänemark oder eben Kanada zu ziehen. «Diese Länder haben sich erfolgreich auf den Autorenfilm konzentriert. Die Schweiz könnte ebenfalls ihre Nische etablieren.»

Das Nischendasein weist durchauspositive Aspekte auf, sagt Goldberg. Man hat zum Beispiel die Freiheit, «dem Publikum mit ganz eigenen, sehr persönlichen, skurrilen, ortsbezogenen Filmen eine Alternative zum internationalen Mainstream zu bieten.» Ein Problem müsste allerdings noch behoben werden: «Man müsste mehr tun, um die Aufmerksamkeit im Ausland auf Schweizer Filme zu lenken.» Vielleicht werde ja die neue Organisation Swiss Films die erhofften Synergien bringen.

Lokale Geschichten, globale Bedeutung

Die Schweiz ist eine Gesellschaft im Umbruch, und ihre Filme spiegeln die grossen Herausforderungen der Globalisierung wider: Themen wie die veränderte Arbeitswelt, die Migration, die Umwelt. Da haben die Schweizer Filmschaffenden, die sowohl inhaltlich wie auch ästhetisch mit dem Spagat zwischen Tradition und Moderne arbeiten, einiges dazu zu sagen.

Brigitte Blöchlinger ist Redaktorin unipublic und Journalistin BR.

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