«Die USA werden Europa nie im Stich lassen»

Wie weiter mit Europa angesichts der globalen Turbulenzen und der brüchigen Allianz mit den USA? Im Talk im Turm, der gemeinsam von der UZH Kommunikation und UZH Alumni durchgeführt wird, schlugen die beiden Experten Tobias Straumann und Jonathan Slapin einen erstaunlich optimistischen Ton an: «Europa hat schon viele Krisen gemeistert. Es wird auch diese bewältigen», sagte Tobias Straumann, Professor für Geschichte der Neuzeit und Wirtschaftsgeschichte an der UZH im von Roger Nickl und Rita Ziegler moderierten Gespräch. Allerdings, so Straumann, müsse Europa sein Innovationspotenzial besser nutzen, die EU-Kommission müsse Regulierungen abbauen und der Binnenmarkt müsse gestärkt werden. Wenn die Europäer:innen mehr der in Europa hergestellten Güter selber konsumieren, wären Staaten wie Deutschland weniger abhängig von Exporten in die USA, auf die Trump gerade hohe Zölle geschlagen hat.
Dass Europa innovativ und erfolgreich sein kann, belegen etwa die European Space Agency (ESA), die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf oder der Flugzeughersteller Airbus – alles Initiativen und Zusammenschlüsse mehrerer EU-Staaten. Solche Allianzen der Willigen sind aus der Sicht von Straumann der Weg, um Europa voranzubringen – und nicht eine von der EU-Kommission gesteuerte Politik, die sich für seinen Geschmack zu stark in nationalstaatliche Fragen einmischt.
Zollstreit nicht eskalieren
Der aktuelle Zollstreit könnte gefährlich werden, wenn er die Finanzmärkte ins Trudeln bringt. Deshalb sollte ihn die EU nicht eskalieren, sagte Straumann. Allerdings sollte die EU auf bestimmte auch symbolisch wichtige Produkte wie Motorräder oder Whiskey ebenfalls höhere Zölle erheben, argumentierte Jonathan Slapin, Professor für politische Institutionen und europäische Politik an der UZH: «Das ist die Sprache, die Trump versteht.»
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Die Trump-Regierung ist erledigt.
Mit seiner erratischen Politik, den nach einem bizarren Schlüssel festgesetzten Zöllen und den teilweise haarsträubenden Fehlern seiner Administration habe Trump zu Hause bereits seinen Kredit verspielt, postulierte Straumann: «Diese Regierung ist erledigt.» Allerdings: Trump wird noch fast vier Jahre im Amt sein und in dieser Zeit noch allerhand Schaden anrichten können.
Strategische und militärische Unsicherheit
Zu den ökonomischen Herausforderungen gesellt sich für Europa die strategische und militärische Unsicherheit. Verlassen die USA die Nato? Wie weit würde ihre Unterstützung reichen, wenn Osteuropa weiter unter Druck kommt? Bei diesen Fragen waren sich die beiden Experten nicht einig. «Die USA werden Europa nie im Stich lassen», sagte Tobias Straumann. Jonathan Slapin ist sich da nicht so sicher: «Ich würde als Europäer nicht drauf vertrauen, dass das nicht geschieht. Wir können beispielsweise nicht mehr sicher sein, dass die USA im Rahmen der Nato die baltischen Staaten verteidigen, sollten diese von Russland angegriffen werden.»
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Wie im Kalten Krieg müssen alle zusammenarbeiten und sich vernetzen. An den Hochschulen braucht es Think Tanks, die sich mit militärischen und strategischen Themen beschäftigen.
Auf jeden Fall tut Europa gut daran, militärisch und strategisch unabhängig zu werden. Dazu brauche es auch Innovationen bei der Aufrüstung und der Militärpolitik, sagte Slapin. «Wie im Kalten Krieg müssen alle zusammenarbeiten und sich vernetzen. An den Hochschulen braucht es Think Tanks, die sich mit militärischen und strategischen Themen beschäftigen.» Auch die Schweiz sollte sich engagieren, findet Slapin. Als kleines Land werde sie nicht darum herumkommen, Kooperationen einzugehen, in der Wirtschaft und in der Sicherheitspolitik.
Führungsrolle für die liberale Welt?
Für die Schweiz sei es Zeit, aus ihrem sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf zu erwachen, sagte Straumann: «Man hat immer noch das Gefühl, das Ganze ginge uns nichts an. Offenbar befinden sich einige Politiker immer noch im sicherheitspolitischen Nirwana.» Der Historiker hofft auf eine neue Generation von Politiker:innen: «Politik ist jetzt wieder wichtig, weil wichtige Entscheidungen gefällt werden müssen.» Deshalb erwartet er, dass sich andere Leute politisch engagieren und es besser machen als die aktuelle Generation, der Straumann ein bescheidendes Zeugnis ausstellt.
Für Europa sei die aktuelle Situation, so unbequem sie im Moment auch sein mag, auch eine Chance, findet Slapin. Eine Chance, die Führungsrolle für die liberale Welt zu übernehmen, von der sich die USA unter Trump gerade verabschiedet. Straumann hofft, dass durch Europa ein Ruck geht wie in den 1980er-Jahren, als es nach den krisenhaften 1970ern zum grossen Aufbruch kam. «Ich bleibe optimistisch», sagte Slapin am Schluss des Gesprächs.