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Art x Science

Forschung auf dem Laufsteg

Das Recht als eine wärmende, schützende Jacke. Der Biodiversitäts-Fussabdruck von Unternehmen als sanft aufrüttelndes T-Shirt. Das Projekt nmesh des Art x Science Office an der UZH vernetzt Forschung mit Kunst und Mode. Die Kollektion mit sieben Stücken wurde am Montag auf dem Laufsteg an der Mode Suisse vorgestellt.
Theo von Däniken

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  • Performancekünstlerin Anna Anderegg setzte die Gegensatzpaare Unsichtbarkeit versus Präsenz sowie Individuum versus Kollektiv, die sie aus der Forschung von Menschenrechtsprofessorin Helen Keller destillierte, in sich überlagernden Bildern um. Bilder: Alexander Palacios / Mode Suisse
    Performancekünstlerin Anna Anderegg setzte die Gegensatzpaare Unsichtbarkeit versus Präsenz sowie Individuum versus Kollektiv, die sie aus der Forschung von Menschenrechtsprofessorin Helen Keller destillierte, in sich überlagernden Bildern um. Bilder: Alexander Palacios / Mode Suisse
  • Mit einem poetischen T-Shirt setzen Richard Ibghy + Marilou Lemmens eine Forschungsfrage des Ökonomen Alexander Wagner um: «Do investors care about biodiversity?» Grafiken aus seiner Forschung und eine Abwandlung des Spruchs «Put your money where your mouth is», sollen zum Nachdenken anregen.
    Mit einem poetischen T-Shirt setzen Richard Ibghy + Marilou Lemmens eine Forschungsfrage des Ökonomen Alexander Wagner um: «Do investors care about biodiversity?» Grafiken aus seiner Forschung und eine Abwandlung des Spruchs «Put your money where your mouth is», sollen zum Nachdenken anregen.
  • Dunkle Materie, welche die Astrophysikerin Laura Baudis erforscht, zählt zu den grössten Rätseln des Universums. Sie ist omnipräsent, aber dennoch kaum sicht- und fassbar. Die Grafikerin Andrea Mettler erkannte Parallelen zum Weissraum in der Grafik, der kaum wahrgenommen wird, aber ebenso wichtig ist für die Gestaltung.
    Dunkle Materie, welche die Astrophysikerin Laura Baudis erforscht, zählt zu den grössten Rätseln des Universums. Sie ist omnipräsent, aber dennoch kaum sicht- und fassbar. Die Grafikerin Andrea Mettler erkannte Parallelen zum Weissraum in der Grafik, der kaum wahrgenommen wird, aber ebenso wichtig ist für die Gestaltung.
  • Das Atelier Landolt-Pfister setzte das Konzept der bakteriellen Persistenz, an dem Infektiologin Annelis Zinkernagel forscht, in ein Muster aus unterschiedlich grossen Kreisen um. Sie symbolisieren das unterdrückte Wachstum, mit dem sich bestimmte Bakterien vor Antibiotika schützen.
    Das Atelier Landolt-Pfister setzte das Konzept der bakteriellen Persistenz, an dem Infektiologin Annelis Zinkernagel forscht, in ein Muster aus unterschiedlich grossen Kreisen um. Sie symbolisieren das unterdrückte Wachstum, mit dem sich bestimmte Bakterien vor Antibiotika schützen.
  • Dinge wie Piktogramme, Paletten oder Hochregallager machen den globalen Waren erst möglich, mit dem sich Historikerin Monika Dommann befasst. Die Bühnenbildnerinnen Helen Stein und Magdalena Schön setzten dies in ihrem Sweater um.
    Dinge wie Piktogramme, Paletten oder Hochregallager machen den globalen Waren erst möglich, mit dem sich Historikerin Monika Dommann befasst. Die Bühnenbildnerinnen Helen Stein und Magdalena Schön setzten dies in ihrem Sweater um.
  • Chemikerin Grate Patzke forscht unter anderem über das Molekül Cobalt Cubane, das von der natürlichen Photosynthese inspiriert ist und helfen könnte, aus Sonnenlicht Energie zu erzeugen. Seine kubische Struktur inspirierte die Designerin Mirabella Morganti zu einer einfach lesbaren Visualisierung der komplexen Molekülstruktur.
    Chemikerin Grate Patzke forscht unter anderem über das Molekül Cobalt Cubane, das von der natürlichen Photosynthese inspiriert ist und helfen könnte, aus Sonnenlicht Energie zu erzeugen. Seine kubische Struktur inspirierte die Designerin Mirabella Morganti zu einer einfach lesbaren Visualisierung der komplexen Molekülstruktur.
  • Leonie Böhm, Theaterregisseurin und Bildende Künstlerin entwickelte ihr Design zur Arbeit von Hirnforscher Sebstian Jessberger, der sich mit der Vererbung von Informationen in Nervenzellen befasst. Leonie Böhm interessierte dabei die Themen wie Verwandtschaft und das friedliche und produktive Miteinander zwischen verschiedenen Spezies.
    Leonie Böhm, Theaterregisseurin und Bildende Künstlerin entwickelte ihr Design zur Arbeit von Hirnforscher Sebstian Jessberger, der sich mit der Vererbung von Informationen in Nervenzellen befasst. Leonie Böhm interessierte dabei die Themen wie Verwandtschaft und das friedliche und produktive Miteinander zwischen verschiedenen Spezies.
  • Katharina Weikl, die Initiantin des Projekts.
    Katharina Weikl, die Initiantin des Projekts.
  • Ein seltenes Bild: Forschende und Models gemeinsam auf dem Laufsteg. (Videostill: Monia Rosenow)
    Ein seltenes Bild: Forschende und Models gemeinsam auf dem Laufsteg. (Videostill: Monia Rosenow)

Die Menschenrechte sollen Menschen in ihrer Würde und Integrität schützen. Doch wer kann und darf diesen Schutz auch vor Gericht einfordern? Die scheinbar triviale Frage ist in der Praxis oft nicht so klar, erklärt die Menschenrechtsprofessorin Helen Keller. Sie war bis 2020 selber Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und beschäftigt sich in ihrer Forschung intensiv mit Menschenrechten und Klimawandel.

«Das Recht verlangt, dass man von einer Beeinträchtigung der Menschenrechte besonders betroffen ist, um dagegen zu klagen» erklärt sie. Das heisst, je verletzlicher eine Person oder eine Gruppe ist, desto stärker wird ihr Anspruch vor Gericht. So wird aus der Verletzlichkeit im juristischen Prozess eine Stärke.

Besondere Verletzlichkeit

Die Klimaseniorinnen konnten in ihrer erfolgreichen Klage vor dem EGMR genau diese besondere Betroffenheit ins Feld führen: «Der Gerichtshof befand die Gruppe der älteren Frauen, für welche die vier Klägerinnen einstanden, für besonders betroffen und somit klageberechtigt.»

  • Die Künstlerin Anna Anderegg setzte die Gegensatzpaare Unsichtbarkeit versus Präsenz sowie Individuum versus Kollektiv mit sich überlagernden Bildern einer Bewegunsperformance um. (Bild: Anna Anderegg)
    Die Künstlerin Anna Anderegg setzte die Gegensatzpaare Unsichtbarkeit versus Präsenz sowie Individuum versus Kollektiv mit sich überlagernden Bildern einer Bewegunsperformance um. (Bild: Anna Anderegg)
  • Ein Detail aus der Performance diente als Grundlage für die weitere Bearbeitung. (Bild: Anna Anderegg)
    Ein Detail aus der Performance diente als Grundlage für die weitere Bearbeitung. (Bild: Anna Anderegg)
  • Die unterschedlichen Transparenzen und Sichtbarkeiten wurden in Farben übersetzt. (Bild: Anna Anderegg)
    Die unterschedlichen Transparenzen und Sichtbarkeiten wurden in Farben übersetzt. (Bild: Anna Anderegg)
  • Im fertigen Sweater wurde die Grafik durch verschiedenen Stricktechniken und Garne umgesetzt. (Bild: Monia Rosenow)
    Im fertigen Sweater wurde die Grafik durch verschiedenen Stricktechniken und Garne umgesetzt. (Bild: Monia Rosenow)

Dass sich die Verletzlichkeit – eine vermeintliche Schwäche – im juristischen System als Stärke erweist, war für die Künstlerin Anna Anderegg der Ausgangspunkt, von dem aus sie eine Verbindung zwischen der Forschung Helen Kellers und ihrer Performancekunst knüpfen konnte. Diese Schwäche und die Tatsache, dass die Klimaseniorinnen nicht als Individuen, sondern als Gruppe auftraten, verliehen ihnen juristische Handlungsmacht. Daraus leitete Anna Anderegg Überlegungen ab zur Frage: «Wer darf überhaupt vor Gericht erscheinen und ist im juristischen System sichtbar, wer bleibt ausgeschlossen?»

Verdichtung

Ihre Arbeit zu Helen Kellers Forschung drehte sich deshalb um die Gegensatzpaare Unsichtbarkeit versus Präsenz sowie Individuum versus Kollektiv. In der Umsetzung arbeitete sie mit Fotografien von bewegten Körpern, die sie übereinanderlegte. Dadurch entstanden Muster mit unterschiedlicher Dichte. Stellen, an denen die Körper verschwommen und kaum sichtbar sind, wechseln mit Stellen, an denen sie sich klar abzeichnen. Vereinzelt sind Hände, Arme oder Beine als Silhouetten erkennbar.

Die Bilder wurden in einem zweiten Schritt auf die Kleidungsstücke übertragen. Dabei wurden unterschiedliche Farben, Garnen und Stricktechniken kombiniert, wodurch sich der Eindruck der Vielschichtigkeit verstärkt.

Neue Perspektive

Der Austausch mit der Künstlerin Anna Anderegg hat für Helen Keller eine neue Perspektive auf ihre eigene Arbeit gebracht. «Dass aus einer Verletzlichkeit eine Stärke werden kann, von der die Gesellschaft profitieren kann, war mir vorher so nicht bewusst», erklärt sie.

Für sie war es spannend und anregend zu sehen, wie jemand die eher abstrakten Themen, mit denen sie sich beschäftigt, in Bilder und Kleidungsstücke überträgt. «Das Ergebnis ist wie ein Echo auf die eigene Forschung», sagt sie. Als Forscherin will sie dazu beitragen, den Menschen, die von Folgen des Klimawandels betroffen sind, Möglichkeiten an die Hand zu geben, sich zu wehren: «Wir sind der Klimaerwärmung nicht völlig ausgeliefert«, sagt Keller, »sondern können etwas unternehmen. Die Gerichte können dazu einen Beitrag leisten.» Für Keller ist es eine schöne Vorstellung, dass diese Botschaft nun auch in den Kleidungsstücken steckt: «Ich freue mich, dass ein Gedanke, der heute so wichtig ist, auf diese Art in die Gesellschaft getragen wird.»

Intensiver Austausch

Insgesamt sind im Projekt nmesh noch sechs weitere von Forschung inspirierte Stricksweater entstanden. «Das Projekt bringt ganz viele Beteiligte mit ihren unterschiedlichsten Perspektiven und unterschiedlichsten Kompetenzen zusammen», erklärt Initiantin Katharina Weikl, Leiterin des Art x Science Office an der UZH.

In jedem der Teilprojekte transformierten Künstlerinnen und Künstler jeweils einen bestimmten Forschungsansatz in eine je eigene künstlerische Sprache und Ausdrucksform. Daraus entstanden in einem weiteren Schritt die Kleidungsstücke. Dabei mussten sich die Künstlerinnen und Künstler nochmals auf eine neue Weise mit ihrem eigenen Werk auseinandersetzen – mit der Materialität der verwendeten Garne, den Möglichkeiten der Stricktechnik, den Farben. «Alle tauchten ein in einen Bereich, den sie vorher nicht gekannt hatten», so Katharina Weikl. Dadurch hätten alle Beteiligten gegenseitig voneinander lernen können.

Das Projekt nmesh macht abstrakte Forschung sinnlich erfahrbar. Es verwandelt Wissenschaft in Kleidungsstücke, die zum Nachdenken anregen und zugleich – ganz praktisch – wärmen und schützen.