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Podiumsdiskussion

Was die Bilateralen für die Schweiz bedeuten

Das neu ausgehandelte Vertragspaket zwischen der Schweiz und der EU war Thema einer angeregten Diskussion an der UZH mit Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Eingeladen zur Podiumsveranstaltung hatte die Zürcher Handelskammer.
David Werner

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Teilnehmende der Podiumsveranstaltung in der UZH-Aula (v.l): Silvan Wildhaber, Balz Hösly, Stefanie Walter, Michael Schaepman, Magdalena Martullo-Blocher, Karin Lenzlinger, Balz Halter.
Teilnehmende der Podiumsveranstaltung in der UZH-Aula (v.l): Silvan Wildhaber, Balz Hösly, Stefanie Walter, Michael Schaepman, Magdalena Martullo-Blocher, Karin Lenzlinger, Balz Halter. (Bild: ZvG)

Ende letzten Jahres gaben die Schweiz und die EU den Abschluss ihrer Verhandlungen zu den Bilateralen III bekannt, nun wird in der Schweiz über die Vor- und Nachteile diskutiert. Das Paket beinhaltet unter anderem neue Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit sowie die Aktualisierung und Weiterentwicklung bestehender Abkommen. Als vorgezogenes Zugeständnis der EU kann sich die Schweiz seit Januar 2025 wieder an fast allen Ausschreibungen der EU-Forschungsprogramme beteiligen.

UZH-Rektor Michael Schaepman lobte den Verhandlungserfolg in seiner Begrüssungsrede als eine «Top-Leistung in Sachen Diplomatie, Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen». Für die UZH und für den Forschungsstandort Schweiz seien gute Beziehungen zur EU zentral. «Die exzellenten Schweizer Hochschulen stärken den Europäischen Forschungsraum, der wiederum für die Schweizer Forschung von grösster Bedeutung ist», sagte er.

Europäische und globale Dimension

Schaepman hob auch die globale Dimension der Wissenschaft hervor. Die Forschung in der Schweiz müsse sowohl am europäischen als auch am globalen Wettbewerb teilnehmen können – «nur so fördern wir die hohe Qualität unserer Forschung», sagte er. Angesichts der angespannten geopolitischen Situation seien stabile Verhältnisse mit den Nachbarländern besonders wichtig. «Mit der EU haben wir Partnerländer, mit denen wir unsere Werte der Wissenschaftsfreiheit oder der Forschungsethik teilen.» 

Aus geopolitischen Erwägungen werde der Zugang zu Technologien leider zunehmend beschränkt, sagte Schaepman. «Hier ist es wichtig für die Schweiz, nicht zwischen Stuhl und Bank zu fallen, sondern auf eine starke Partnerschaft mit der EU und weiteren Ländern zählen zu können.»

Goldener Mittelweg

Als goldenen Mittelweg zwischen einer Vollmitgliedschaft in der EU und einem blossen Freihandelsabkommen beschrieb Staatssekretär Alexandre Fasel die Bilateralen III. In seinem Inputreferat erklärte er den Verhandlungsansatz der Schweiz. «Wir sind so weit gekommen, weil wir eine schweizerische Logik verfolgt haben», sagte Fasel. Anders als im 2021 gescheiterten Rahmenvertrag habe man in den Bilateralen III die institutionellen Aspekte nicht übergeordnet behandelt, sondern sie in die einzelnen sektoriellen Abkommen integriert.

Angeregte Debatte: Balz Halter, Magdalena Martullo-Blocher, Moderator Daniel Fritzsche, Silvan Wildhaber, Balz Hösly, Stefanie Walter und Alexandre Fasel.
Angeregte Debatte (v.l.): Balz Halter, Magdalena Martullo-Blocher, Moderator Daniel Fritzsche, Silvan Wildhaber, Balz Hösly, Stefanie Walter und Alexandre Fasel. (Bild: ZvG)

Die Übernahme von EU-Recht erfolge nur in den begrenzten Anwendungsbereichen der Verträge, so Fasel. Automatismen gebe es dabei nicht. Die Verfassungsordnung der Schweiz müsse nicht modifiziert werden. In Fällen, in denen die Schweiz nicht einverstanden sei, könne sie sich wehren, dafür sei beispielsweise ein Schiedsgericht vorgesehen. Die Verträge würden für beide Seiten die nötige Rechtssicherheit schaffen. Die EU könne nicht mehr willkürlich «den Stecker ziehen», wie es beim Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe im Juni 2021 geschehen war.

Unpopuläre EU, beliebte Bilaterale

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU haben eine komplizierte Geschichte. UZH-Professorin Stefanie Walter nannte als Grund für das schwierige Verhältnis mangelndes gegenseitiges Verständnis.

In der Schweizer Bevölkerung sei die EU nicht populär, sagte die Politologin. Erhebungen hätten wiederholt gezeigt, dass in kaum einem anderen europäischen Land die Vorbehalte gegenüber der EU grösser seien als in der Schweiz. Im Gegensatz zu einem EU-Beitritt seien die bilateralen Verträge in der Schweiz sehr beliebt, weil sie massgeschneiderte Lösungen bieten würden. Um die Vorteile des bilateralen Wegs weiterhin nutzen zu können, müsse man die bisherigen Verträge erneuern, weil sie sonst langfristig an Kraft verlören, so Walter.

Warnung von Überregulierung

Anders argumentierte SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher. Es gebe bessere Wege, um den Zugang zum europäischen Markt sicherzustellen, sagte sie. Sie warnte vor einer Regulierungsflut, sollten die Bilateralen III in Kraft treten. Der Begriff «Bilaterale» sei irreführend, da es sich nicht um ein Abkommen auf Augenhöhe, sondern um einen «Unterwerfungsvertrag» handle, der die Schweiz dazu zwinge, heutiges und zukünftiges EU-Recht zu übernehmen. Das gemeinsame Schiedsgericht sei nicht unabhängig, sondern an EU-Recht gebunden. Statt sich noch enger an die EU anzulehnen, solle die Schweiz neutral bleiben und auf Freihandelsabkommen mit Partnern auf der ganzen Welt setzen, sagte Martullo-Blocher.

Eintrittsticket zum Schweizer Heimmarkt

Balz Hösly, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Zürcher Handelskammer, betonte demgegenüber die besondere Bedeutung des europäischen Binnenmarktes für die Schweiz. Schweizer Firmen, insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen, seien darauf angewiesen, dass sie den europäischen Markt wie ihren Heimmarkt bewirtschaften könnten. «Mit den Bilateralen Verträgen sichern wir uns das Eintrittsticket in den Schweizer Heimmarkt», sagte er.

Staatsbürgerliche und humanistische Motive

Die Diskussion in der voll besetzten Aula nahm im Laufe des Abends immer mehr  Fahrt auf. Dabei ging es nicht nur um wirtschaftliche Gesichtspunkte.

So sagte Balz Halter, Verwaltungsratspräsident der in der Bau- und Immobilienbranche tätigen Halter Gruppe, er sei primär nicht aus unternehmerischen, sondern aus staatsbürgerlichen Gründen gegen die Bilateralen III, weil die Schweiz damit auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten müsse.

Umgekehrt argumentierte Silvan Wildhaber, CEO des Textilunternehmens Filtex AG: Die Bilateralen seien für ihn nicht nur wegen des Marktzugangs zur EU von entscheidender Bedeutung, sondern auch als gesellschaftliches Projekt. «Als Humanist finde ich, dass wir uns in Europa freundnachbarschaftlich begegnen sollten», sagte er.

Karin Lenzlinger, Präsidentin der Zürcher Handelskammer, plädierte in ihrem Schlusswort für die Bilateralen III. «Wir brauchen ein geregeltes Verhältnis zur EU», sagte sie.
 

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