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Vor rund vier Jahren, inmitten der damaligen Pandemie, berichtete ich auf diesem Kanal unter dem Titel «Ostern online» über die zu jener Zeit neu entstehenden digitalen Gottesdienstpraktiken: «Ob sich durch eine solche neue Begegnungskultur das religiöse Gemeinschaftsgefühl auf Dauer digital stabilisieren oder gar befeuern lassen wird, ist weiter zu erforschen. Aber sollte ein solches Gefühl von <believing and belonging> auf digitalen Wegen möglich werden – und vieles deutet bereits jetzt darauf hin – wird dies auch über die gegenwärtigen Zeiten hinaus das Erscheinungsbild der Religionen und ihrer gemeinschaftlichen Praxis mit Sicherheit erheblich verändern.»
Vielleicht war dies damals etwas sehr optimistisch, oder beinahe euphorisch formuliert. Die während der Corona-Krise digital erzeugte Kommunikations- und Reichweitendynamik kirchlicher Angebote liess eine neue Attraktivität von Glaubenskommunikation erhoffen. Tatsächlich hatten sich in der damaligen Osterzeit erstaunliche Live-Streaming-Innovationen bis hin zu digitalen Abendmahlsfeiern entwickelt und ereignet.
Ob sich aber das religiöse Gemeinschaftsgefühl durch digitale Möglichkeiten wirklich hat stabilisieren oder gar befeuern lassen, ist eher unsicher. Wir wissen jedenfalls aus unseren Studien der letzten Jahre, dass sich die Erwartung eines Digitalisierungsschubes in den Kirchen eher nicht erfüllt hat. Vieles scheint wieder in die Bahnen der gewohnten «Normalität» zurückzukehren.
Allerdings stellen wir zugleich durch unsere Forschung fest, dass es sich lohnt, den Blick nicht nur auf die klassischen Formate zu richten. Man könnte im Vergleich mit der Osterzeit im Pandemiejahr sagen, dass sich im Jahr 2024 eine ganz Menge bunte «Easter Eggs» (der Begriff stammt aus der Computerspiele-Industrie!) finden lassen – man muss nur genau hinschauen.
Heute emergieren vielerlei neue Formate religiöser Kommunikationspraxis: Digitale Netzwerkbildungen, globale Gebetsgemeinschaftsformate und nicht zuletzt die sogenannten religiösen Influencer:innen. Wir stellen in unserem universitären Forschungsschwerpunkt «Digital Religion(s)» fest, dass die Palette an religiöser Präsenz im Netz in den letzten Jahren deutlich bunter geworden ist.
Seit Herbst 2022 kommt ein Phänomen dazu, welches das Potenzial hat, die klassische religiöse Text- und Bildpalette weiter zu bereichern. Mit «Generative Pre-trained Transformern» werden die Grenzen dessen, was an kreativer Illumination und theologischer Artikulation möglich ist, deutlich ausgeweitet. Auch wenn man weiss, dass die wiedergegebenen Sätze und Bilder ihrerseits aus immer schon vorhandenen Inhalten generiert werden, ist doch ein gewisser kreativer, inspirierender und vielleicht sogar prophetischer Charakter von «ChatGPT & Co» nicht zu verneinen: Das lässt sich am Thema Ostern exemplarisch verdeutlichen. Auf die Aufforderung an DALL-E: «Zeichne mir ein Bild des christlichen Osterfestes in der Schweiz im Jahr 2054» entsteht in Sekundenschnelle folgende Illustration:
An diesem Bild ist besonders interessant, dass DALL-E prinzipiell davon ausgeht, dass im Jahr 2054 sowohl die Schweiz (samt deren Bergen!) wie Ostern immer noch existieren werden, was man ja schon einmal als hoffnungsvolles Zeichen interpretieren kann. Zum anderen ist eine christliche Signatur des Festes (trotz des expliziten Auftrags) nicht mehr zu erkennen. Die Figur am linken Bildrand, die möglicherweise einen Priester darstellt, könnte eine Ausnahme sein. Alles andere ist hingegen ohne jegliche christliche Symbolik.
Wenigstens eine Reminiszenz an die lichtvolle Tradition der Auferstehungsbotschaft wäre denkbar gewesen. Stattdessen strahlen hier nur zwei Sonnenschirme um die Wette und ein Dachsolarpanel gewisses Licht aus. Ansonsten bevölkern avataristische Wesen und Hasen die Szenerie, was auf ein ziemliches säkulares «Easter Egg» in der Software von DALL-E hinweisen könnte. Auch der erläuternde Text hilft nicht weiter, wenn es heisst: «Here is a visual interpretation of a future Easter celebration in Switzerland in the year 2054, showcasing a blend of traditional and futuristic elements.» Die Tradition scheint hier vollständig in einer helvetischen Alpenkulisse verankert zu sein, jedenfalls ohne jegliche religiöse Konnotation.
Selbst wenn auch diese Erwägungen seltsam emotionslos und blass daherkommen, sind sie offenbar nicht aus Dokumenten der Freidenker- oder Humanistenverbände generiert. Und immerhin zeigt sich in den weiteren Konkretisierungen, dass Ostern offenbar eine Zukunft hat: Fast prophetisch benennt ChatGPT als Zukunftsszenarien, dass «mit fortschreitender Technologie digitale Plattformen eine grössere Rolle bei den Osterfeierlichkeiten spielen», «mit der Zeit Elemente anderer Kulturen und Religionen in die Osterfeierlichkeiten integriert werden [könnten], was zu einem noch vielfältigeren und inklusiveren Fest führt» und es könnten auch «neue Traditionen entstehen, die moderne Technologien wie Augmented Reality (AR) für Ostereiersuchen oder künstlerische Installationen, die die Osterbotschaft auf zeitgenössische Weise interpretieren, einbeziehen.»
Ein zweiter Frageversuch an ChatGPT liefert mehr Einblicke: Auf die Frage, ob in der Schweiz im Jahr 2054 das christliche Osterfest noch gefeiert wird und, falls ja, in welcher Form, antwortet der Chat-Bot: «Es ist schwer vorherzusagen, wie genau die Feierlichkeiten und Traditionen in der Zukunft aussehen werden, einschliesslich des christlichen Osterfestes in der Schweiz im Jahr 2054. Jedoch können wir einige Überlegungen anstellen basierend auf aktuellen Trends und der Geschichte des Osterfestes.»
Das ist insofern schon einmal ein schlauer Einstieg, weil sich damit der Textgenerator vornehm verschiedene Optionen offenhält. Immerhin fällt die Zukunftsvision in diesem Fall etwas substanzieller aus, wenn es heisst: «Das Osterfest, das die Auferstehung Jesu Christi aus dem christlichen Glauben feiert, hat eine tiefe historische und kulturelle Bedeutung, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Es ist tief verwurzelt in der Tradition vieler Gemeinschaften und wird wahrscheinlich auch in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.»
Im UZH-Artikel des Jahres 2020 schrieb ich: «Die unerfüllbare Gleichzeitigkeit von virtueller und realer Raumsphäre hat möglicherweise sogar mehr mit der Osterzeit zu tun, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Denn theologisch gesprochen, lebt die Karfreitags- und Osterverkündigung von einem hybriden Charakter von Leid, Kreuzestod und Trauer, der existenziell-personalen Begegnung am Ostermorgen einerseits – und vom geheimnisvoll Unverfügbaren und dem einstweilen <auf Hoffnung hin> Verkündigten andererseits.»
Tatsächlich zeigt manche aktuelle religiös-digitale Praxis, dass die Dinge bunter werden, sich Grenzen zwischen virtuellen und analogen Sphären weiter verschieben und zugleich eine ganze Menge «geheimnisvoll» bleibt. Einstweilen gehe ich aber davon aus, dass auch das christliche Osterfest 2054 anschaulich zur Sprache gebracht werden wird – vielleicht durch andere, gegenwärtig noch ganz unbekannte digitale Ausdrucksformen.