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Ein Job muss heute vieles leisten. Neben einem möglichst guten Lohn soll die Arbeit auch der Selbstverwirklichung dienen, sie soll sinnvoll, befriedigend und zwischen Freizeit und Familie gut ausbalanciert sein. Und idealerweise sollte sie auch gesellschaftlich zu einem guten Zweck beitragen. «Die Ansprüche sind mit der immer besseren Ausbildung der Menschen gestiegen und werden gerade zu Zeiten des Fachkräftemangels auch vermehrt eingefordert», stellt Georg Bauer vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der UZH fest. In seiner Forschung beschäftigt sich der Gesundheits- und Arbeitswissenschaftler mit der Frage, was gute Arbeit ausmacht.
Aktuell setzt er sich vor allem mit dem Thema «Job Crafting» auseinander. Der Begriff stammt aus der Arbeits- und Organisationspsychologie. Die Idee dahinter: Arbeitskräfte gestalten ihren Job möglichst nach ihren individuellen Bedürfnissen, Interessen und Stärken und sind dadurch gesünder, zufriedener und motivierter. Ganz neu ist dieser Gedanke nicht. «Menschen haben schon immer versucht, ihren Job so anzupassen, dass es für sie ein guter Job ist, den sie gerne machen und mit dem sie etwas bewirken können», sagt Georg Bauer. Das ist auch in Branchen möglich, in denen es auf den ersten Blick nur wenig Gestaltungsmöglichkeiten zu geben scheint – etwa in der Reinigung.
Dies haben bereits die Schöpferinnen des «Job Crafting»-Konzepts, die beiden amerikanischen Organisationspsychologinnen Amy Wrzesniewski und Jane Dutton, in einer Studie im Jahr 2000 erkannt. Die Forscherinnen stellten fest, dass die Reinigungskräfte eines Krankenhauses ihre Aufgabe ganz unterschiedlich auslegten. Während die einen einfach putzten, interpretierten andere ihre Arbeit weit kreativer.
Sie unterhielten sich mit Patientinnen und Patienten, tauschten sich mit dem Stationspersonal aus und sahen ihren Job ganz allgemein in einem grösseren Zusammenhang – als wichtigen Bestandteil der Spitalhygiene und so gesehen als Beitrag zur Gesundheit aller. Wie die beiden Forscherinnen zeigen konnten, waren diese Reinigungskräfte viel motivierter und zufriedener mit ihrem Job als diejenigen, die einfach nur putzten.
Dies bestätigt auch eine Studie, die Bauer und sein Team in diesem Jahr veröffentlicht haben. Sie zeigt, dass sowohl Arbeitsengagement als auch psychisches Wohlbefinden steigen, je stärker Erwerbstätige ihr Berufs- und Privatleben aktiv auf ihre Bedürfnisse ausrichten können. «Unternehmen sollten deshalb Mitarbeitende dazu ermuntern, ihren Job eigenständig und kreativ zu gestalten», sagt der Forscher. Zumal mit Job Crafting nicht nur Stress abgebaut und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhöht wird, sondern auch die Qualität der Arbeit für die Kundschaft verbessert werden kann – davon profitieren letztlich alle.
Unternehmen sollten Mitarbeitende dazu ermuntern, ihren Job eigenständig und kreativ zu gestalten.
Neben dem positiven Blick auf den eigenen Job, der bewussten Gestaltung von Beziehungen zu Kolleg:innen und Kundschaft, ist die Veränderung der eigenen Aufgaben die dritte Säule des Job Crafting. Damit das Gestalten des eigenen Jobs funktioniert, ist allerdings ein Kulturwandel in den Unternehmen nötig, der auf Vertrauen setzt und Hierarchien abbaut. Das Spannende an diesem Ansatz sei, dass nicht wie traditionellerweise üblich von der Führungsetage gutgemeinte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für alle angeregt werden, sagt Georg Bauer, sondern die Arbeitnehmenden selbst entscheiden, wie sie ihre Arbeit gestalten wollen.
Und weil Menschen sehr unterschiedlich sind, kann das bei gleicher Aufgabe zu ganz unterschiedlichen Resultaten führen. Während die einen gerne klar formulierte Aufträge erledigen, arbeiten andere lieber selbstbestimmt. Die einen setzen mehr auf Zusammenarbeit und den Austausch im Team, andere werkeln am liebsten für sich allein im stillen Kämmerlein. Job Crafting kann auch bedeuten, dass Mitarbeitende proaktiv neue Aufgaben übernehmen, die sie besonders interessant finden, und andere allmählich abgeben.
Gerade die Digitalisierung, die in vielen Branchen neue Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten schafft, ist eine Chance, das eigenständige Gestalten des Jobs zu fördern, ist Arbeitsforscher Bauer überzeugt. Sei es, weil mit Hilfe der digitalen Technologie Arbeitsort und -zeit immer flexibler bestimmt werden können, sei es, weil zunehmend digitale Tools zur Verfügung stehen, die uns individuell bei der Arbeit unterstützen. Gemäss Bauer bieten gerade die viel gehypten KI-Tools ganz neue Möglichkeiten für Job Crafting. Er empfiehlt, nicht jeden Trend mitzumachen, sondern die Werkzeuge bewusst abgestimmt auszuwählen, damit sie die eigenen Kompetenzen und Bedürfnisse stärken. So helfen sie, den Job besser und lieber zu machen.
Ob das Job Crafting gelingt, liegt aber letztlich nicht nur bei den Einzelnen. Eine gute Basis für das individuelle Gestalten eines Jobs sind Teams, in denen ein positives und wertschätzendes Betriebsklima gepflegt wird. «Wenn das soziale Umfeld stimmt, trauen sich die Leute eher, etwas auszuprobieren und Dinge mal anders zu machen als sonst oder auch nach neuen oder anderen Aufgaben zu fragen», sagt Georg Bauer. In Teams kann man sich zudem über Hindernisse und erfolgreiche Strategien im Job Crafting austauschen und sich darin unterstützen. Zu einem gelingenden Job Crafting beitragen soll künftig auch das «Crafting Playbook», das momentan gemeinsam von den Zürcher Hochschulen im Rahmen der Zürcher Digitalisierungsinitative (DIZH) entwickelt wird.
Die Smartphone-App will Menschen spielerisch dazu anregen, Beruf- und Privatleben bewusst zu gestalten. Sobald der Prototyp ausgereift ist, soll die kostenlose App auf den Markt kommen und damit auch zur weiteren Verbreitung des Job Crafting beitragen. Denn bislang ist der Ansatz noch nicht breit in der Arbeitswelt angekommen. Wie die Studie «Meet the psychological needs of your people – all your people» von McKinsey von 2022 zeigt, haben gerade schlechter ausgebildete und bezahlte Erwerbstätige deutlich weniger Chancen auf ein positives Erleben der Arbeit. Da besteht für die Zukunft also noch Unterstützungspotenzial.
Bei der Frage, wie sie sich weiterentwickeln wollen, müssten Unternehmen idealerweise ein doppeltes Ziel verfolgen, ist Georg Bauer überzeugt. «Sie sollten sich überlegen, wie sie Produkte und Dienstleistungen so entwickeln und optimieren können, dass gleichzeitig die Bedürfnisse der Kundschaft und der Mitarbeitenden befriedigt werden und diese ihren Job als sinnvoll erleben.» Das wäre dann im wahrsten Sinn des Wortes eine Win-win-Situation.
Dieser Text ist Teil des Dossiers «Mit Köpfchen und KI» aus dem UZH Magazin 3/24.