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Kunst & Wissenschaft

Ein Menü aus verschiedenen Disziplinen

Unter der künstlerischen Leitung von Blanka Major lud das Art x Science Office der UZH und der ZFV zum Dinner «Devouring» im Green Kitchen Lab. Zahlreiche Gäste nahmen an dieser partizipativen Performance teil, die Positionen aus Kunst, Wissenschaft und Kulinarik vereint.
Lucia Salomé Gränicher

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Das Gericht «Brain» – gebackener Blumenkohl mit Blaubeere- und Walnusssauce, Eigelb und Toast. (Bilder: Art x Science Office/Yanik Bürkli)

Die Gänge des Hauptgebäudes Campus Irchel sind verlassen und still. Aus der Ferne erklingen leises Gläserklirren und heitere Gespräche. Die Geräusche locken ins Green Kitchen Lab, eine frisch renovierte Mensa, welche ausnahmsweise in dunkles Rot getaucht auf ihre Gäste wartet. Die Tische sind mit Nori- und Reisblätter, mit Zitronengel gefüllten Austernschalen und Tahinisauce in Eierschalen bedeckt. Projektionen organischer Anordnungen verschiedener Texturen begleitet von einer sphärischen Musiklanschaft erfüllen den Raum. Die Gäste der Performance Devouring (dt: verzehrt) nehmen Platz, und eine neugierige Erwartung, was wohl die nächsten vier Stunden bringen werden, breitet sich in der kunstvoll gestalteten Mensa aus.

Bereits im September lud das Art x Science Office zusammen mit dem ZFV, der Mensabetreiberin der Universität, und der Künstlerin Long Pan zum ersten Art x Science Dinner ein. «Mit der Serie Kunst, Wissenschaft und Kulinarik möchten wir ein modernes Gesamtkunstwerk schaffen, das alle Sinne anspricht und durch das kollektive Erlebnis eine Gemeinschaft herstellt», sagt Katharina Weikl, Leiterin des Art x Science Office. Long Pans Einblick in ihre Arbeit mit Pilzen und Myzelien sowie Mischa Heils Fungi-Menü förderte nicht nur den Wissensaustausch, sondern schufen eine gemeinsame sinnliche Erfahrung, die den Dialog über die Verbindungen von Kunst und Wissenschaft unter den Gästen vertiefte. Auch heute ist Mischa Heil, Chefkoch des Green Kitchen Lab, am Werk: Gemeinsam mit ihm und Cassandra Hänggi hat Blanka Major, die Speisen kreiert, die nun auf den Tischen stehen.

Blanka Major, künstlerische Leiterin des Events.

Eintauchen in den Körper

Das Konzept dieser partizipativen Performance, entwickelt von Blanka Major, umfasst Medizinethik, Bildende Kunst, Poesie, Gastroenterologie, Szenografie, Musik und Kulinarik. Aus dieser Verbindung ergibt sich eine transdisziplinäre Erkundung des Körpers als Landschaft, die mit dem gemeinsamen Essen beginnt. Jeder Gang lädt dazu ein, in die Welt eines Organs einzutauchen – von der Haut über das Fleisch, die Lunge, das Herz und das Gehirn bis hin zu den Knochen. In der Sprache der Kulinarik sind dies Nori- und frittierte Reisblätter, Austern- und Silberrohrpilze, Rote Beete, gebackener Blumenkohl und Meringue, verfeinert mit Zutaten, die die Gesundheit der jeweiligen Organe fördern, wie etwa Omega-3-Fettsäuren, die positiv auf das Gehirn wirken können.

Die Texturen der Speisen spiegeln die Körperteile wider und manifestieren diese greifbar auf dem Teller. Für Blanka Major, eine junge Architektin, welche in ihrer künstlerischen Praxis Kochen, Performance und Schreiben miteinander vereint, fungiert Essen als Medium zwischen den Disziplinen. Es transportiert auf seine Weise zugleich künstlerische und wissenschaftliche Aspekte, einerseits durch seine Zubereitung und stilisierte Herrichtung und andererseits durch seine Zutaten und die chemischen Prozesse, die die Nahrungsaufnahme auslöst.

Die eingeladenen Wissenschaftler:innen spinnen den Gedanken des Körpers als soziale und medizinische Landschaft weiter. Nikola Biller-Andorno, Professorin für Biomedizinische Ethik, widmet sich in ihrem Vortrag den gesellschaftlichen und ethischen Dimensionen von Muttermilch – die, wie sie zu Beginn anmerkt, eigentlich Menschenmilch heissen müsste. Schon diese begriffliche Präzisierung verdeutlicht die Vielschichtigkeit dieser besonderen Körperflüssigkeit. Darf mit Muttermilch Handel betrieben werden, und wer darf daran verdienen? Diese Fragen werfen zugleich ethische und produktionsbezogene Diskussionen über tierische Nahrungsmittel auf – und erst jetzt bemerken einige Gäste, dass das Menü aus weitgehend veganen Zutaten besteht.

Michael Scharl, Professor für Gastroenterologie und Hepatologie, lenkt die Aufmerksamkeit auf das oft vernachlässigte Mikrobiom und zeigt den Gästen eine ganz neue Perspektive auf ihre Verdauung. Er betont nicht nur die Bedeutung einer vielfältigen Darmflora für ein gesundes Immunsystem, sondern auch, wie Stuhltransplantationen die Heilung schwer kranker Menschen, einschliesslich Krebspatient:innen, fördern können. Beide Beiträge erweisen sich an diesem Abend als wesentliche Bestandteile des Zusammenspiels von Kunst und Wissenschaft. Sie wecken grosses Interesse und teils Erstaunen, wobei die jeweils eingebaute Prise Humor der Sprecher:innen neben der wissenschaftlichen Bedeutsamkeit der Themen auch für heitere Momente sorgt.

Verschiedene Aggregatszustände

Überhaupt ist die Stimmung ausgelassen und die Menschen folgen aufmerksam dem abwechslungsreichen Programm. Tatjana Blasers Lesung eines vom Menü inspirierten poetischen Textes weckt Fantasien, die weit über die Gerichte hinausgehen, während auch Johanna Hullárs Arbeit die kulinarischen Landschaften visuell in den Raum überträgt. Die Künstlerin erhielt in diesem Jahr den Swiss Design Award und hat eigens für diesen Abend eine Videoinstallation entwickelt. Die auf Leinwände projizierten mikroskopischen Nahaufnahmen fokussieren auf ineinandergreifende Farben, Formen und Texturen innerhalb eines Glaskastens. Durch zusätzliche Projektion ausserhalb der Mensa erweitern die verschiedenen Aggregatszustände den physischen Raum von der warmem Innenatmosphäre bis hinaus in die kalte und verschneite Aussenwelt des Lichthofs.

Videoinstallation von Johanna Hullár.

Durch die Neuinterpretation eines vertrauten Ortes – einer Mensa, in der Studierende und Mitarbeitende der UZH täglich essen – wird die Wahrnehmung auf diesen Raum und die «andersartigen» Geschehnisse in ihm geschärft. Nikola Biller-Andorno beschreibt die experimentelle Note des Abends, die generationenübergreifende Mischung der Gäste und die Möglichkeit, die Mensa in einem völlig neuen Kontext zu erleben, als inspirierend. Sinne vertiefendes Essen, Horizont erweiternde Beiträge, ausgelassene Gespräche, und visuell und auditiv stimulierende Kunstwerke kumulieren in einer immersiven Erfahrung.

«Verzehrt» wurde hier nicht nur metaphorisch ein Körper, sondern viel mehr: Das Art x Science Dinner habe ein neues Verständnis von Nahrung und Wissen geschaffen sowie eine Plattform für den Dialog zwischen den Disziplinen, sagt Katharina Weikl. Dadurch eröffnen sich für die Gäste neue Perspektiven und sensorische Erlebnissen. Das nächste Art x Science Dinner mit dem Künstler Thomas D’Enfert ist bereits in Planung.

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