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Forensic Nurses

Das «Zürcher Modell» der forensischen Opferbetreuung

Seit Frühling 2024 werden Gewaltopfer ohne Anzeigewunsch an Zürcher Spitälern von forensischen Pflegefachleuten betreut. Die niederschwellige forensische Betreuung bringt erhebliche Vorteile. Massgeblich am Projekt beteiligt ist die Rechtsmedizin der UZH.
Marita Fuchs
Die Forensic Nurses garantieren u.a. eine professionelle Probennahme. (Symbolbild istock)

Eine Frau wird vergewaltigt. Nach der Tat begibt sie sich in ein nahegelegenes Zürcher Spital. Sie wird von einer forensischen Pflegefachperson betreut und beraten, die zugleich auch die Spuren der Gewalttat sichert und dokumentiert. Zudem stellt die Forensic Nurse Kontakt zu Opferhilfeberatungsstellen her. Dem Opfer wird nicht nur direkt medizinisch geholfen, sondern es werden zugleich auch die Grundlagen für die spätere rechtliche Verarbeitung des Übergriffs gelegt, sollte das Opfer sich später doch noch für eine Anzeige entscheiden. Im Vergleich zu früher ist das ein grosser Schritt, denn zuvor musste bei fehlendem Anzeigewunsch das Spitalpersonal forensische Spuren sichern, was nicht zu ihren Kernkompetenzen gehört.

Seit Frühling 2024 ist dies anders geworden: Mit dem Zürcher Modell des «Aufsuchenden Dienst Forensic Nurses» (ADFN) werden Betroffene auch ohne Anzeige auf einem Notfall der Zürcher Spitäler forensisch betreut. In den ersten fünf Monaten ihrer Tätigkeit seien bereits 80 Personen von Forensic Nurses unterstützt worden, und es kam insgesamt zu fünf Anzeigen, erklärten die Verantwortlichen am Montag an einer Veranstaltung an der UZH. Beatrice Beck Schimmer, Direktorin der Universitären Medizin Zürich, hatte diejenigen eingeladen, die massgeblich am Projekt «Aufsuchender Dienst Forensic Nurses» beteiligt waren. Darunter Regierungspräsidentin und Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli, die Regierungsrätin und Bildungsdirektorin Silvia Steiner, UZH-Professor Michael Thali, die Gesamtprojektverantwortliche seitens des Kantons Nadja Weir sowie einige forensische Pflegefachpersonen und die Leiterin der kantonalen Opferhilfestelle.

Der Aufsuchende Dienst Forensic Nurses befindet sich noch bis 2026 in der Pilotphase. Verantwortlicher medizinischer Projektleiter ist Michael Thali, Ordinarius am Rechtsmedizinischen Institut der UZH. Er verfolgte die Idee der Forensic Nurses bereits seit zehn Jahren und setzte sich auch für die Ausbildung und entsprechende Zertifizierung der Pflegefachpersonen ein. Insofern hat die Universität wesentlich zur aktuellen Entwicklung in der forensischen Versorgung von Gewaltopfern beigetragen.

Freuen sich über den erfolgreichen Start des Projektes «Aufsuchender Dienst Forensic Nurses (ADFN): UZH-Professor Michael Thali, Beatrice Beck Schimmer, Direktorin UMZH, Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli und Bildungsdirektorin Silvia Steiner (v.l.n.r.).

Im Vergleich zu anderen Kantonen werden im Kanton Zürich die Opfer dezentral in allen Spitälern betreut. Das Opfer muss in seiner Notlage keine weiten Wege zurücklegen, sondern kann sich in das nächstgelegene Spital begeben; es sind die Spezialistinnen, die zu ihm kommen. Anders als in anderen Kantonen werden nicht nur Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, behandelt, sondern auch Männer und Minderjährige, die Opfer von Gewalt wurden.

Professionelle Spurensicherung und emphatische Beratung

«Mit dem Zürcher Modell werden Opfer sexueller und häuslicher Gewalt von den Forensic Nurses ohne erfolgte Anzeige bei der Polizei umfassend betreut, durch eine professionelle Spurensicherung und eine empathische Beratung. Damit wird es den Opfern ermöglicht, auch zu einem späteren Zeitpunkt Anzeige zu erstatten», sagte Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli und fügte hinzu: «Es ist dank des niederschwelligen Zürcher Modells auch zu mehr Anzeigen gekommen.»

Das «Zürcher Modell» wurde im Anschluss an die Istanbul-Konvention entwickelt, die von der Schweiz im Jahr 2018 mitunterzeichnet wurde. Die Konvention verpflichtet dazu, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen.

Zeitnah und niederschwellig

«Der Aufsuchende Dienst Forensic Nurses am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich ist ein Meilenstein», sagte Bildungsdirektorin Silvia Steiner. Der Dienst sorgt dafür, dass Betroffene zeitnah und niederschwellig Hilfe in Anspruch nehmen können. Es ist wichtig, dass ein Institut mit solch umfassender Expertise in der Forensik diese Unterstützung bietet.»

Steiner betonte, dass das Projekt «Aufsuchender Dienst Forensic Nurses» die Opferhilfe erheblich verbessere. «Wir schaffen damit ein Betreuungs- und Beratungsangebot genau dort, wo es gebraucht wird. Und das an 24 Stunden jeden Tag in der Woche», sagte die Bildungsdirektorin. Schon früher – als Chefin der Kriminalpolizei der Stadtpolizei Zürich und der Zuger Kriminalpolizei – habe sie sich für die Opfer eingesetzt und dabei immer wieder erlebt, wie den Opfern die Schuld zugeschoben worden sei. «Ich habe auch erlebt, dass Opfer sich selbst Vorwürfe machen. Das hat mein Gerechtigkeitsgefühl stark strapaziert.» Die Betroffenen sollten gestärkt werden und Hilfe in Anspruch nehmen können.