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Sprachenzentrum

«Die Englischkenntnisse haben sich stark verbessert»

Das Sprachenzentrum der Universität Zürich und der ETH Zürich feiert sein 20-jähriges Bestehen. Direktorin Sabina Schaffner zieht im Interview Bilanz und erklärt, warum massgeschneiderte Kurse immer wichtiger werden.
Nathalie Huber

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Deutschunterricht am Sprachenzentrum der UZH und ETH Zürich. Deutsch als Fremdsprache wird am meisten nachgefragt.


Zu Beginn eine etwas provokative Frage: Weshalb sollen wir überhaupt noch Fremdsprachen lernen, angesichts guter Übersetzungssoftware wie DeepL oder Echtzeit-Übersetzungsbrillen, wie Google sie kürzlich vorgestellt hat?

Ihre Frage ist durchaus berechtigt. Für einen rein funktionalen Sprachgebrauch braucht es tatsächlich keinen Unterricht mehr: Reisen organisieren, Hotels buchen, nach dem Weg fragen oder Essen bestellen, das alles kann ein Übersetzungstool auch. Was das Sprachenlernen attraktiv macht und kein Tool ersetzen kann, ist die direkte Begegnung mit Menschen, der sprachliche Austausch, der eine andere Qualität der Verständigung mit sich bringt und einen mit anderen kulturellen Phänomenen konfrontiert.

Was DeepL betrifft: Wir müssen solche Tools in den Sprachunterricht integrieren, das ist eine Realität! In Englischkursen auf höherem Niveau wird der Nutzen von DeepL thematisiert. Gleichzeitig zeigen wir den Lernenden auch die Grenzen solcher maschineller Online-Übersetzungen auf.

Ein Jubiläum bietet eine gute Gelegenheit für einen Rückblick. Was sind die wesentlichsten Errungenschaften?

Wir haben parallel zu den Entwicklungen an der Universität Zürich und der ETH unser Sprachlernangebot weiterentwickelt. Seit 2015 bieten wir massgeschneiderte Kurse wie Academic Writing und Workplace Communication an. Seit 2017 verfügen wir über ein zweites Selbstlernzentrum auf dem Hönggerberg. In beiden Zentren bieten wir auch Lernaktivitäten wie zum Beispiel Buchclubs, Filmabende oder virtuelle Touren durch europäische Museen an.

Und – wir wachsen laufend: Die Anzahl Sprachkurse hat im Vergleich zu 2007 um rund 40 Prozent zugenommen, die Zahl der Teilnehmenden ist auf aktuell 10'500 gestiegen. Heute können auch Alumni und Angehörige der Pädagogischen Hochschule Zürich und Zürcher Hochschule der Künste unsere Sprachlernangebote besuchen.

Last but not least: Das Sprachenzentrum leistet seit 2019 mit spezifischen Intensiv- und Semesterkursen in Deutsch als Fremdsprache einen wesentlichen Beitrag zur Integration von Geflüchteten, aktuell von Studierenden aus der Ukraine.

In Zeiten von Sprachlern-Apps und Online-Lernangeboten: Welchen Stellenwert haben Gruppenkurse heute?  

Gruppenkurse werden bei uns nach wie vor am stärksten nachgefragt. Die Sprachlernapps können uns sehr gut dabei unterstützen, uns das Vokabular und sprachliche Strukturen anzueignen. Durch die Interaktion in Gruppenkursen lernen wir Sprachen jedoch in einem realitätsnahen Umfeld. Viele Studierende sind auch motivierter und lernen disziplinierter, wenn sie einen Kurs besuchen. Und gerade für die Integration in eine Community und die Identifizierung mit der Universität sind Kurse vor Ort wichtig.

Wie hat sich der Fremdsprachenunterricht über die Jahre verändert?

Generell ist der Unterricht vielfältiger geworden. Durch die Digitalisierung stehen unendlich viele Materialien wie E-Newspapers, Videos oder Blogs zur Verfügung. Im Bereich Academic Writing können wir heute ganze computergestützte Textsammlungen, sogenannte Corpora, nicht nur Wörterbücher, nutzen. 

Im Verlauf der Jahre haben wir mehr Wert auf das autonome Lernen gelegt. Es wirkt sich nachhaltig auf den Lernerfolg aus, wie die Sprachlernforschung zeigt. Aktuell muss zwei Drittel der Lernzeit, die zum Erreichen der Kursziele nötig sind, im Selbststudium oder durch kollaborative Aufgaben ausserhalb des Klassenzimmers aufgebracht werden.  

Sabina Schaffner
Sabina Schaffner, Direktorin Sprachenzentrum der UZH & ETH Zürich

Wie haben sich die Fremdsprachkenntnisse Ihrer Zielgruppen verändert?

Generell haben sich – vor allem bei Schweizer Studierenden – die Englischkenntnisse stark verbessert, während die Französischkenntnisse leider oft auch nach jahrelangem Unterricht bis zur Matura nicht sehr solide sind.

Ausserdem sehen wir uns heute vermehrt mit sehr komplexen Sprachlernbiografien konfrontiert. Viele unserer Nutzerinnen und Nutzer sind in einem bi- oder multilingualen Umfeld aufgewachsen. Sie beherrschen aber nicht jede ihrer Herkunftssprachen mündlich bzw. schriftlich gleich gut. Darüber hinaus stellen wir fest, dass generell die sprachliche Kompetenz, vor allem, was das Schreiben anbelangt, in den letzten Jahren abgenommen hat.

Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um?

Im Gruppenunterricht berücksichtigen wir die individuellen Lernbedürfnisse mithilfe spezieller didaktischer Methoden und Hilfsmittel so weit wie möglich. In unseren Selbstlernzentren erhalten Lernende eine persönliche Sprachlernberatung und im Writing Center kann man sich online coachen lassen.

Zudem haben wir seit Kurzem ein sehr individualisiertes Angebot in Spanisch und Russisch für Lernende mit einem herkunftssprachlichen Hintergrund. Sie erhalten einerseits persönliche, an ihren Vorkenntnissen und Zielen orientierte Lernaufgaben, andererseits treffen sie sich für gewisse Arbeiten in der Gruppe. Solche Tailor-made-Angebote möchten wir zukünftig auch in anderen Sprachen anbieten.   

Bemerken Sie einen Unterschied in der Einstellung gegenüber dem Fremdsprachenlernen im Gegensatz zu früher?

Durch die verstärkte Internationalisierung gehören Fremdsprachenkenntnisse zu einem selbstverständlichen Teil des Studiums und zum universitären Alltag. Umgekehrt ist durch diese Allgegenwärtigkeit teilweise das Bewusstsein verschwunden, dass Sprachenlernen intensive Lernarbeit bedeuten kann und nicht einfach nebenher geht.

Welches sprachliche Rüstzeug braucht man heute für Lehre und Forschung?

An unseren Universitäten ist – neben Deutsch – Englisch nach wie vor das «Must Have», sowohl für das Verfassen von Publikationen sowie für die Lehre in international ausgerichteten Studiengängen. Das birgt allerdings auch gewisse Nachteile und bringt neue Ansprüche mit sich. 

Können Sie das konkretisieren?

Bei gewissen Forschungsgegenständen oder -disziplinen ist die Wahl von Englisch nicht immer adäquat, weil Sprache und Denken zusammengehören. Wer etwa auf Englisch über Deutsche Philosophie diskutiert oder forscht, riskiert eventuell einen Erkenntnisverlust.

Weltweist sind die meisten Publikationen auf Englisch von Nicht-Muttersprachlerinnen und -sprachlern verfasst. Damit die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand nicht verarmt, braucht es für das akademische Englisch sowohl ein sehr hohes Sprachniveau als auch spezifische fachsprachliche Kenntnisse. Hier sind wir als Sprachenzentrum gefordert; wir müssen den Lernenden aufzeigen, welche Kenntnisse in welchem Kontext vorausgesetzt werden.

Aber Englisch bleibt nach wie vor die Lingua franca?

Im Hochschulkontext wird der Abstand anderer Linguae francae wie zum Beispiel Spanisch oder Russisch zum Englischen noch eine Weile gross bleiben. Beim Russischen wird sich zeigen, ob und wie sich politische Veränderungen auf den Sprachgebrauch auswirken. 

Wird Mandarin in Zukunft dem Englischen Konkurrenz machen?

Das bezweifle ich. Aktuell gibt es keine Evidenz, dass die Entwicklung in diese Richtung geht.

Welche neuen Formate wird das Sprachenzentrum in Zukunft anbieten?

Für 2023 ist ein reiner Online-Kurs «Survival Deutsch als Fremdsprache» für Studieninteressierte geplant.

In Zukunft wollen wir das sogenannte projektbezogene Lernen fördern: Dabei erstellt man in einem Sprachkurs zum Beispiel gemeinsam eine Website oder einen Blog. Ein solcher Kurs könnte auch im Rahmen eines «international Classrooms» angeboten werden, bei dem Studierende von mehreren Sprachenzentren aus unterschiedlichen Ländern zusammenarbeiten.

Wir denken zudem darüber nach, weitere Fremdsprachen anzubieten – zum Beispiel Türkisch.