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Versteckspiel kann zu höheren Medikamentenpreisen führen

Bei der Festsetzung von Medikamentenpreisen handeln Behörden und Pharmafirmen oftmals geheime Rabatte aus. Solche Rabattsysteme können den Zugang von Arzneimitteln für Patienten beeinträchtigen, zeigt eine Studie der UZH. Mittelfristig kann diese Praxis sogar zu steigenden Arzneimittelpreisen führen.

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Die zunehmende Intransparenz bei der Festsetzung der Medikamentenpreise dient nicht den Patienten. (Bild: Istock.com/alvarez)
Die Intransparenz bei der Festsetzung der Medikamentenpreise dient nicht den Patienten. (Bild: Istock.com/alvarez)

In der Schweiz und anderen europäischen Ländern sind Arzneimittelpreise reguliert, um die Kosten besser eindämmen zu können. In den letzten Jahren haben zahlreiche europäische Länder Rabattmodelle bei Arzneimitteln eingeführt, die mit dem Hersteller ausgehandelten Rabatte jedoch meist geheim gehalten. Dies bedeutet, dass ein Land grundsätzlich zwei Arzneimittelpreise hat – einen offiziellen, höheren Preis sowie einen tatsächlichen, tieferen Preis. Im internationalen Vergleich wird jedoch regelmässig der höhere angegeben. Auch die Schweiz hat solche Rabatte, die vermehrt geheim bleiben, eingeführt und möchte diese Praxis nun auch gesetzlich verankern. Derzeit läuft die Revision des Krankenversicherungsgesetzes.

Nationale Behörden und Arzneimittelhersteller rechtfertigen diese Intransparenz damit, dass diese Strategie einen schnellen Zugang zu innovativen und hochpreisigen Arzneimitteln ermögliche und zudem Kosten gespart werden könnten. Im Rahmen einer empirischen Analyse hat das Forschungsteam um UZH-Professorin Kerstin N. Vokinger diese Argumente nun untersucht.

Arzneimittel mit Rabatten häufig ohne hohen klinischen Nutzen

Die UZH-Wissenschaftler identifizierten 51 Arzneimittel, denen zwischen Januar 2012 und Oktober 2020 in der Schweiz Rabatte gewährt wurden. 32 dieser Arzneimittel waren Krebsmedikamente (63 Prozent). Basierend auf einem anerkannten Nutzenbewertungssystem wiesen nur 15 der 51 Arzneimitteln (29 Prozent) einen hohen Nutzen auf, 25 (49 Prozent) hatten einen tiefen Nutzen. Für 11 Medikamente (22 Prozent) konnte der Nutzen nicht bestimmt werden. Damit zeigt sich, dass nicht nur innovativen Arzneimitteln Rabatte gewährt werden. Insgesamt haben solche Rabattsysteme in den letzten Jahren stark zugenommen.

Zudem gab es in diesem Verfahren eine grosse Varianz bei den Preisen und den gewährten Rabatten: Bei den Medikamenten mit gewährtem Rabatt handelt es sich nicht nur um hochpreisige Arzneien. Vielmehr reichten die Monatskosten solcher Therapien von circa 3’000 bis 35'000 Franken. Auch bei den transparent ausgewiesenen Rabatten gab es eine grosse Bandbreite von 4 bis 58 Prozent Preisreduktion.

Längere Verfahren und steigende Preise

Das Schweizer Verfahren zur Preisfestsetzung dauerte bei Arzneimitteln mit Rabatt mehr als doppelt so lang, im Median rund 302 Tage. Bei Arzneimitteln ohne Rabatt wurde dagegen der Preis im Median bereits nach 106 Tagen verbindlich festgelegt. «Unsere Studienergebnisse zeigen, dass Medikamente, denen ein Rabatt gewährt wird, den Zugang für Patienten beeinträchtigen können – auch weil solche Rabattsysteme zumindest mittelfristig zu steigenden Arzneimittelpreisen führen können», erklärt Studienleiterin Vokinger.

Dies gilt umso mehr, als bei der Preisfestsetzung der sogenannte «Auslandpreisvergleich» ein massgebendes Kriterium in fast allen europäischen Ländern ist. Dieses regulatorische Instrument hat zum Ziel, dass die Arzneimittelpreise in der Schweiz ähnlich sein sollen wie in vergleichbaren Ländern. Die Strategie von geheimen Rabatten führt jedoch dazu, dass der offizielle, höhere Preis als Referenz gilt. Somit orientieren sich alle Länder am höheren Preis – und damit besteht die Gefahr, dass die Arzneimittelpreise generell in die Höhe getrieben werden.

Transparente Zusammenarbeit gefordert

«Die zunehmende Intransparenz dient nicht der Gesellschaft oder den Patienten», ist Vokinger überzeugt. Nur transparente Arzneimittelpreise, welche die Realität widerspiegeln, würden eine funktionierende Preisregulierung ermöglichen. Gefordert wird dies auch in der WHO-Resolution, die von der Schweiz unterstützt wird. Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen europäischen Ländern könnten den nationalen Behörden helfen, besser informierte Entscheide bei der Festsetzung der Medikamentenpreise zu treffen. «So könnte auch der Zugang der Patienten zu innovativen Therapien gestärkt werden», erklärt Vokinger.

Literatur:

David L Carl, Kerstin N Vokinger: Patients’ Access to Drugs with Rebates in Switzerland – Empirical Analysis and Policy Implications for Drug Pricing in Europe. The Lancet Regional Health – Europe, 17. Februar 2021. Doi: 10.1016/j.lanepe.2021.100050

https://www.thelancet.com/journals/lanepe/article/PIIS2666-7762(21)00027-2/fulltext

Weiterführende Informationen

Kontakt

Prof. Dr. iur. et Dr. med. Kerstin Noëlle Vokinger
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Universität Zürich
Tel.: +41 (0)44 634 51 80
E-Mail