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«Wir möchten keine Corona-Generation»

Rektor Michael Schaepman und Vize-Rektorin Gabriele Siegert machen im Gespräch deutlich, dass die Universität alles unternimmt, damit die Studierenden das Herbstsemester regulär abschliessen können. Technisch sei die Universität für den digitalen Unterricht gut aufgestellt, beim Personal stosse man aber an Grenzen, so ein Fazit.
Stefan Stöcklin

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Gabriele Siegert und Michael Schaepman im Gespräch: «Die Arbeitsbelastung hat in vielen Bereichen zugenommen.»

Gabriele Siegert, Sie waren bis Ende Juli Rektorin ad interim und steuerten die UZH durch die erste Welle der Pandemie. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und welches war die wichtigste Lehre aus dieser Krisensituation?

Gabriele Siegert: Die erste Welle war für alle Beteiligten sehr intensiv, weil wir laufend auf neue Gegebenheiten reagieren mussten. Am beeindruckendsten finde ich rückblickend, wie schnell es uns gelungen ist, die Lehre auf Online-Formate umzustellen und die Forschung anzupassen. Ich habe ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit wahrgenommen und das hat mich optimistisch gestimmt in Bezug auf die Universität insgesamt.

Wie haben Sie diese anstrengende Situation gemeistert? Sie mussten während Monaten am Wochenende durcharbeiten.

Siegert: Die Universitätsleitung arbeitet auch im Normalbetrieb fast immer am Wochenende. In einer Krisensituation erst recht. Die Situation war belastend und nur deshalb zu bewältigen, weil alle mitgeholfen und mich unterstützt haben.

Michael Schaepman, wir befinden uns in der zweiten Welle, die Lage ändert sich täglich und ist sehr dynamisch. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?

Michael Schaepman: Im Sommer hat sich die Lage zwischenzeitlich etwas entspannt und die Universität ist sehr gut aufgestellt. Die zweite Welle fordert uns erneut, aber aufgrund der Erfahrungen im Frühling sind die Abläufe eingespielt und funktionieren gut. Natürlich ist die Arbeitsbelastung hoch, aber sie ist bei allen UZH-Angehörigen markant gestiegen, nicht nur bei mir.

Was beschäftigt Sie als Rektor am meisten?

Schaepman: Unser grösstes Anliegen ist es zurzeit, den Studierenden möglichst alle Lehrveranstaltungen in einer Form zugänglich zu machen, dass sie das Semester regulär abschliessen können. Wir befinden uns bei der Lehre momentan in einem reduzierten Hybridunterricht, bei dem nur noch ausnahmsweise Veranstaltungen vor Ort stattfinden können, zum Beispiel Laborkurse. Es gibt somit viele Studierende, die nach dem Frühlingssemester zum zweiten Mal vom Präsenzunterricht in den digitalen Unterricht wechseln mussten. Das wirft Fragen zur Anschlussfähigkeit des Studiums auf, die wir unter allen Umständen sichern wollen.

Welches sind die wichtigsten Lehren aus der ersten Welle der Pandemie?

Siegert: Wir haben dank eines enormen Efforts die Umstellung auf Online-Formate geschafft. Hinsichtlich der digitalen Lehrformate und Lernformen müssen wir überlegen, wie wir das in Zukunft mit einem verträglicheren Aufwand bewerkstelligen können. Eine weitere Erkenntnis betrifft die unterschiedlichen Perspektiven verschiedener Bereiche der Universität auf die Pandemie. Das heisst, wir müssen die Sicht der Zentralen Dienste (ZDU) und diejenige von Forschung und Lehre noch besser aufeinander abstimmen und das Krisenmanagement anpassen.

Das tönt etwas abstrakt, was heisst das konkret?

Siegert: Um hier ein Beispiel zu nennen: Aus Sicht des Krisenstabs und der ZDU macht es zum Beispiel Sinn, bestimmte Räume zu schliessen, aber aus Sicht der Studierenden, die auf Arbeitsplätze angewiesen sind, ist oft nicht nachvollziehbar, warum so etwas gemacht wird. Die Kommunikation dazu ist anspruchsvoll. Wenn ich in der Lehre Änderungen beschliesse, muss ich 26 000 Studierende ansprechen, die in Hunderten von Programmen studieren. Ich muss sie informieren und ihnen versichern, dass sie ihr Semester regelkonform abschliessen können, obwohl die konkreten Angaben von Fakultäten und Instituten kommen müssen. Das unterscheidet sich von Mitteilungen an die Mitarbeitenden der ZDU über Homeoffice und Dienstzeiten, hier sind die Vorgaben einheitlicher, obwohl die konkrete Ausgestaltung ebenfalls bei den Abteilungen liegt.

Welches sind für Sie die wichtigsten Lehren aus der ersten Welle?

Schaepman: Zum einen haben mich die kreativen Lösungen überrascht, die diese Krisensituation hervorgebracht hat. Ich habe noch nie an so vielen digitalen Cafés teilgenommen wie in der letzten Zeit. Zum anderen ist mir die grosse Solidarität unter den Studierenden aufgefallen. Leute aus unterschiedlichsten Kulturen haben sich gegenseitig geholfen, um beispielsweise die Vorgaben der Behörden und der Universitätsleitung umzusetzen. Was die Forschung betrifft, haben sich spontan neue Netzwerke gebildet, zum Beispiel mit der ETH und dem USZ. Leute, die in der Corona-Forschung aktiv sind, haben sich mit Kolleginnen und Kollegen verbunden, die sie vorher kaum gekannt hatten.

Im Moment weiss niemand, wann sich die Situation wieder normalisieren wird. Kann die Qualität des Studiums gewährleistet werden, wenn der digitale Unterricht längere Zeit andauern müsste?

Siegert: Ja, wir können die Qualität der Lehre weitgehend garantieren, aber es braucht dafür sehr viel Aufwand, um den interaktiven Austausch gut zu gestalten. Für alle Arten von Lehrformaten ist der interaktive Teil eine Herausforderung, aber für Online-Lehrformate gilt das ganz besonders, da braucht es einen zusätzlichen Effort. Mit der Zeit wird sich dieser Zusatzaufwand verkleinern, aber momentan bedeutet er viel Mehrarbeit.  
Schaepman: Mir ist wichtig anzufügen, dass es Teile des Curriculums geben kann, die wir mit digitalen Lehrformaten nicht einfach ersetzen können, zum Beispiel Kompetenzen in den berufsbildenden Lehrgängen, die Praktika erfordern. Auch Übungen mit Patientinnen und Patienten in der Medizin können im Moment nicht stattfinden, weil Spitäler aus verständlichen Gründen keine Studierenden in ihren Gebäuden zulassen. Wir haben solche Veranstaltungen teilweise bereits vom Frühlings- aufs Herbstsemester geschoben, nun müssen wir sie noch einmal verschieben.  

Man spricht bereits von einer Corona-Generation …

Schaepman: Wir sind bestrebt, die Qualität aufrechtzuerhalten. Wir möchten eine Corona-Generation verhindern, der nachgesagt wird, dass sie weniger kompetent sei. Beim Homeoffice sehen wir, dass sich die Studierenden sehr viel Mühe geben, um ihren Qualitätsstandard hoch zu halten. Ihre Selbstverantwortung ist extrem hoch, die Studierenden haben ja kein Interesse an schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Aber wir wissen heute noch zu wenig genau, ob sie zu Hause schlechter oder besser lernen als im Präsenzunterricht. Positiv ist, dass sich die Studierenden neue Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien aneignen. Diese werden in Zukunft gefragt sein.
Siegert: Wir führen dieses Semester eine flächendeckende Evaluation der Lehrveranstaltungen bei den Studierenden und Dozierenden durch. Sobald wir diese repräsentativen Resultate haben, werden wir sehen, was gut und was weniger gut geklappt hat.

Wie planen Sie die nächsten Semester?

Siegert: Agilität und Flexibilität sind in dieser Situation gefragt: Im Bereich Lehre haben wir die Vorgabe kommuniziert, dass das Frühjahrssemester 2021 gleich wie das aktuelle Herbstsemester 2020 geplant werden soll, also sowohl für Präsenzunterricht als auch für Online-Unterricht. Damit wir je nach Lage rasch wechseln können.

Wo wirkt sich die Pandemie am stärksten auf die UZH aus?

Schaepman: Es gibt verschiedene Bereiche in Lehre und Forschung, die von der Pandemie betroffen sind. Am gravierendsten aber ist aus meiner Sicht die Behinderung der «Serendipity», das heisst der zufälligen Beobachtungen und Entdeckungen. Die akademische Welt lebt von nicht geplanten, überraschenden Beobachtungen und Diskussionen, sei es bei einem Experiment im Labor, in einer Cafeteria oder im Büro. Dieser spontane Austausch ist digital kaum ersetzbar. Das trifft alle Fakultäten gleichermassen.  
Siegert: Die Bemerkung über zufällige Begegnungen und spontanen Austausch, die auf der Strecke bleiben, ist wichtig. Das spüren wir als Universität im Moment sehr stark. Wir brauchen informelle Begegnungen und Gespräche.

Was bedeutet diese Situation für Nachwuchsforschende?

Schaepman: Wir haben nach dem ersten Lockdown Notfallmassnahmen beschlossen und mit Zusatzfinanzierungen und Verlängerungen versucht, Verzögerungen bei den Forschungsarbeiten aufzufangen und Chancengleichheit zu gewährleisten. Was aber in dieser Pandemiesituation wegfällt, ist die Selbsteinschätzung und Positionierung im Vergleich mit Kolleginnen und Kollegen. Diese findet in der Regel an Konferenzen und Meetings statt und lässt sich mit digitalen Formaten nur schwer ersetzen, denn solche Interaktionen laufen über informelle und zufällige Kontakte. Der Wegfall von Konferenzen ist ein grosses Problem, auch wenn ich nicht genau weiss, wie gravierend die Folgen sein werden.  

Neben den Studierenden, Dozierenden und Forschenden sind auch die Mitarbeitenden der ZDU betroffen. Was sagen Sie zu deren Lage?

Schaepman: Die Arbeitsbelastung hat in vielen Bereichen der ZDU zugenommen, etwa bei der Unterstützung der Digitalisierung von Vorlesungen oder beim Gebäudeunterhalt während des Lockdowns. Dass der Betrieb aufrechterhalten werden kann, ist zu einem grossen Teil den enormen Anstrengungen in diesen Serviceabteilungen zu verdanken.

Ist die UZH digital gut genug gerüstet, falls die Pandemielage noch längere Zeit andauern sollte?

Schaepman: Ich möchte die technischen und die personellen Ressourcen trennen: Auf der technischen Seite sind wir sehr gut aufgestellt, wir hatten bis heute keine grösseren Zwischen- oder Ausfälle. Was die personelle Belastung betrifft, da stossen wir an Grenzen. Die Dozierenden müssen einen substanziellen Mehraufwand leisten.
Siegert: Die digitalisierte Lehre bedeutet nicht weniger, sondern mindestens gleich viel Arbeit und bedarf vor allem zusätzlicher Fähigkeiten. Das will ja erst einmal gelernt sein, eine Veranstaltung über Zoom zu moderieren, Arbeitsgruppen einzuteilen oder separate Breakout Sessions abzuhalten.

Rechnen Sie damit, dass sich die Lehre aufgrund der ­Pandemieerfahrungen langfristig verändern wird, auch nach der aktuellen Krise? 

Siegert: Ich könnte mir für die Zukunft schon vorstellen, dass Lehrveranstaltungen modularer aufgebaut sein werden. Damit meine ich kurze Podcasts in Kombination mit interaktiven Präsenzveranstaltungen. Das würde eine neue Art des Lehraufbaus bedingen.
Schaepman: Ich sehe in der verstärkten Digitalisierung auch die Chance, neue, flexible Möglichkeiten der Lehre zu entwickeln. Interessant ist die Frage, ob wir durch die digitale Lehre den Stoff gut genug oder sogar besser als zuvor vermitteln können. Meine These ist, dass die Authentizität der Dozierenden einen viel grösseren Einfluss auf den Lernerfolg hat als die Art der Vermittlung, sprich ob ein Stoff digital oder analog angeboten wird. Aber Authentizität ist digital viel schwieriger zu vermitteln als im Präsenzbetrieb!

Kommen gute, authentische Dozierende digital gleich gut rüber wie im Vorlesungssaal?

Siegert: Es gibt Dozierende, denen liegt der Präsenzunterricht, und es gibt Dozierende, denen liegt der Online-Unterricht. Möglicherweise sind es gar nicht dieselben Dozierenden wie beim Präsenzunterricht, die online herausstechen.

Was erwarten Sie längerfristig beim Homeoffice? Werden wir künftig auch nach der Pandemie vermehrt zu Hause arbeiten?

Schaepman: Homeoffice bei den Studierenden sehe ich weniger, viele wohnen in WGs und haben zu wenig Privatsphäre, einmal abgesehen davon, dass an gewissen Orten die Bandbreite der Internetzugänge problematisch sein dürfte. Bei den Mitarbeitenden ist die Situation ähnlich, eigene Arbeitszimmer zu Hause sind Luxus. Aber das Homeoffice wird in Zukunft zur Flexibilisierung des Arbeitsplatzes beitragen, die Leute werden vermehrt einen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause und einen Teil am Arbeitsplatz verbringen. Wobei man die Belastung der Leute mit Kindern im Homeoffice nicht unterschätzen sollte.
Siegert: Es braucht natürlich die entsprechende technische Ausrüstung. Wir haben im Frühjahr festgestellt, dass nicht alle Mitarbeitenden einen Laptop zur Verfügung haben, um zwischen Büro und Homeoffice wechseln zu können.

Die Corona-Pandemie trifft den Wissenschafts- und ­Hochschulbetrieb im Mark. Die Mobilität und der Austausch sind eingeschränkt. Wie wird die Pandemie den Wissenschaftsbetrieb langfristig verändern?

Siegert: Man kann das ja auch aus einer positiven Perspektive betrachten. Im Namen der Nachhaltigkeit haben wir früher postuliert, Konferenzen mit Online-Formaten zu substituieren und den Flugverkehr zu reduzieren. Nun ist das Realität geworden und ein Teil wird bleiben, davon bin ich überzeugt. Als Forschende werden wir in Zukunft stärker zwischen physischer und digitaler Präsenz abwägen müssen. Aber Präsenzkonferenzen werden auch künftig stattfinden, sie sind nötig für das Networking, den Zufall, den Kontakt mit Menschen.
Schaepman: Ich denke auch, dass wir in Zukunft vermehrt darüber entscheiden werden, was wir digital verfolgen können und wann Präsenz an Konferenzen gewinnbringend ist. Ich halte das für einen Gewinn, denn wir können dadurch besser eigene Prioritäten setzen und bestimmen, in welchen Netzwerken wir präsent sein wollen, was wichtig ist und was nicht. Die Flexibilisierung des Konferenzwesens bedroht die Wissensgesellschaft nicht, aber sie hilft ganz sicher der Nachhaltigkeit.

 

Michael Schaepman ist seit August 2020 Rektor der Universität Zürich.
Gabriele Siegert ist Vize-Rektorin und Prorektorin Lehre und Studium.

Das Gespräch wurde Anfang November geführt und erscheint auch im Journal 4/2020.