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In einer anderen Haut

Virtual Reality erlaubt es uns, in fremde Welten einzutauchen und unseren Körper ganz neu wahrzunehmen. Die Neuropsychologin Jasmine Ho will solche Körperillusionen therapeutisch nutzen, etwa um Schmerzen zu lindern.
Simona Ryser

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Jasmine Ho
Die Doktorandin Jasmine Ho untersucht die therapeutische Wirkung von VR.

Unendliche Welten, ein wogendes Sternenmeer, Planeten, bunte Galaxien, leuchtende Nebel und Wolken schweben vorbei. Schwerelos und ganz ohne Hilfe fliegt der eigene Körper durchs Weltall. Was für ein Gefühl! 
Doch zurück in die Realität. Vor mir steht Jasmine Ho, Doktorandin an der Abteilung Kognitive Neuropsychologie. Auf die Frage, ob sie manchmal game, schüttelt sie lachend den Kopf. Das Equipment wäre vorhanden: ein Virtual-Reality-Headset, die Software, ein Computer, ein Liegestuhl. Allerdings befinden wir uns hier in einem Laborraum des Psychologischen Instituts. An den Wänden hängen Kopfnetze für die Messung von Hirnströmen. 
Jasmine Ho untersucht, wie Virtual Reality – also computergenerierte, interaktive, künstliche Welten – auf kognitive Prozesse wirkt und wie man sie therapeutisch nutzbar machen kann. Ein Freund aus der Filmbranche hatte ihr zum ersten Mal eine Virtual-Reality-Brille aufgesetzt. Ho war durch ein simuliertes Weltall geflogen und hatte es genossen. Sie war erstaunt, wie stark diese Illusion wirkt. Sie dachte sich, diese ungeahnten Möglichkeiten, künstliche Welten zu schaffen und den eigenen Körper als Avatar zu kreieren, müssten auch therapeutisch nutzbar sein. Heute versetzt die Neuropsychologin Probanden in virtuelle Umgebungen, führt mit ihnen Interviews und misst ihre Hirnströme.

Kleiner Moviestar

Dabei hätte Jasmine Hos Werdegang auch ganz anders verlaufen können. Anstatt zu forschen, wäre es durchaus möglich gewesen, dass Ho uns heute von der Kinoleinwand entgegenblinzelt. Ging sie doch als Jugendliche nach Amerika, um ins Filmbusiness einzusteigen. Schon als Kind war sie ein kleiner Moviestar, zumindest trat sie in den 1990er-Jahren in der «Mini Playback Show» von RTL auf und machte bei Kurzfilmen mit. 
Sie erzählt in unaufgeregtem Tonfall, in gemütlichem, innerschweizerisch gefärbtem Dialekt. Ab und zu ringt sie um ein Wort, dann kommt es in geschliffenem Amerikanisch. Aufgewachsen in Weggis als Kind eines amerikanisch-chinesischen Vaters und einer Schweizer Mutter, stand sie immer schon zwischen zwei Welten. Als Jugendliche verliess sie das ländliche Zuhause in der Schweiz und machte sich auf nach Amerika, dem anderen Zuhause. Dort, in LA, fühlte sie sich am richtigen Ort. Allerdings hielt das Filmbusiness sie nicht lange.

Doch eine akademische Karriere

Lieber wollte sie an der UCLA, der University of California Los Angeles, Psychologie studieren. Sie blieb in der Cognitive Neuroscience hängen. Als dann ihr Freund mit der Virtual-Reality-Brille auftauchte, war in ihr der Forscherinneninstinkt, mit VR zu arbeiten, angestachelt. 
Tatsächlich werden die Vorzüge von Virtual Reality in der Medizin bereits seit einiger Zeit genutzt, etwa als Trainingsmöglichkeit für Ärztinnen und Ärzte und Medizinstudierende, aber auch als therapeutisches Mittel, um Ängste – Spinnenphobien, Höhenangst, Flugangst – durch Simulation abzubauen. Einige Spitäler brauchen die Virtual-Reality-Technologie als Mittel zur Schmerzlinderung. Wenn etwa Verbrennungsopfern die Ban­dagen gewechselt werden müssen – was ein sehr schmerzhafter Vorgang ist –, werden sie abgelenkt, indem sie in eine virtuelle Schnee- und Eisumgebung versetzt werden, wo sie ein Game spielen. Die Wirkung kann so stark sein, dass die Patienten gar nicht merken, wenn der Bandagenwechsel beendet ist. 

Gestörtes Körperbild behandeln

Als Jasmine Ho die Fühler nach interessanten Forschungsgruppen ausstreckte, landete sie wieder in der Alten Welt, und zwar an der Universität Zürich, am Psychologischen Institut im Team von Bigna Lenggenhager, Abteilung Kognitive Neuropsychologie mit dem Schwerpunkt «Körper, Selbst und Plastizität». Ho stieg ein in eine Studie mit Probanden mit Body-Integrity-Dysphoria (BID). Bei dieser seltenen Form der Identitätsstörung nehmen Menschen eine Gliedmasse als nicht zu ihrem Körper zugehörig wahr und haben das Bedürfnis, diese zu entfernen. Sie leiden darunter, dass ihr Aussehen nicht mit dem inneren Körperbild übereinstimmt. 
Dieses Leiden kann zu gefährlichen Selbstamputationen oder zum Suizid führen. Im Virtual-Reality-Setting im Labor werden für die Probanden personalisierte Avatare kreiert, die dem gewünschten Körperbild entsprechen und eine Amputation simulieren. Ho und ihr Team messen mittels Elektroenzephalografie (EEG) die Gehirnaktivität der Probanden und beobachten, was während der simulierten Verkörperung neurophysiologisch passiert. Zur Vergleichsgruppe gehören Menschen mit Amputationen, bei denen untersucht wird, ob die Wahrnehmung von Phantomschmerzen mit der VR-Technologie beeinflusst werden kann. 

Alternative zu Arzneimitteln 

Jasmine Ho schüttelt ihr schwarzes Haar. Die Möglichkeit, mit VR-Technologie so stark auf das Körperempfinden einzuwirken, fasziniert sie. Sie hat untersucht, ob mit Avataren auch ein Placeboeffekt erzielt werden kann. Gerade im Bereich der Schmerztherapie besteht ein grosser Bedarf an Alternativen zu Arzneien – wie in jüngster Zeit das Problem der Medikamentenabhängigkeit in den USA zeigt. Tatsächlich konnte Jasmine Ho zum ersten Mal nachweisen, dass es nicht nötig ist, dem Körper ein Placebo zu verabreichen, um Schmerzen zu lindern. Sie konnte zeigen, dass es reicht, das Placebo dem Avatar, dem virtuellen Körper, zu geben, um einen schmerzlindernden Effekt zu erzielen. Für das Experiment erhielten die Probanden einen Handschuh aus vermeintlich schützendem Hightech-Material, um sie vor einem Hitzeschmerz am Arm zu bewahren. Ho führte das Experiment in drei Realitätsstufen durch. Einmal trugen die Testpersonen den Handschuh wirklich in der physischen Realität, als ihnen der Hitzeschmerz zugefügt wurde. In der zweiten Stufe, der erweiterten Realität, sahen sie durch die VR-Brille den eigenen echten Körper, der Handschuh wurde aber bloss virtuell angezogen. Auf der dritten Stufe wurden sie in eine komplett virtuelle Welt versetzt, das heisst, die Probanden sahen ihren Avatar, der den Handschuh trug. Es war also von vornherein klar, dass der Handschuh in der virtuellen Welt ein Placebo ist. Das erstaunliche Resultat war, dass der Handschuh in allen drei Realitätsstufen schmerzlindernd wirkte.  

Das Geschlecht wechseln

Jasmine Ho setzt sich aufrecht auf den Bürostuhl und nickt. Virtuelle Umgebungen und Verkörperungen beeinflussen uns stark. «Das Gefühl für das eigene Körperempfinden lässt sich erstaunlich leicht verändern», sagt sie, «schon nach wenigen Minuten in der künstlichen Welt passt sich unser Gehirn der Körperillusion an.» Am Anfang einer VR-Session, sobald die Probanden das Headset tragen, werden sie gebeten, ein Bein zu bewegen. Diese Bewegung wird durch Sensoren auf den Avatar übertragen, sodass dieser die gleiche Bewegung macht. Spätestens dann nimmt man den Avatar als eigenen Körper wahr. 
Mit so einem Avatar, den man nach Belieben kreieren kann, lässt sich leicht in eine andere Haut schlüpfen. «Als Mann kann man sich als Frau erkunden und umgekehrt, man kann sich als andersfarbigen Menschen sehen oder sich im Körper einer älteren Person wahrnehmen», sagt Jasmine Ho. Sie erwähnt eine Studie der Universität Stanford, die Empathieverhalten und soziale Interaktion mittels Virtual Reality untersucht hat und von positiven Erfahrungen berichtet. So wurde beobachtet, dass durch den Perspektivwechsel zumindest kurzfristig Vorurteile und negative Haltungen gegenüber anderen sozialen Gruppen abgebaut werden konnten. 

Suche nach Sponsoren

Jasmine Ho hat mit ihrer Forschung Menschen mit chronischen Schmerzen im Fokus. Man weiss, dass diese Patienten eine verzerrte Körperwahrnehmung haben. Sie erleben den schmerzenden Arm als schwer, erhitzt, rot flammend, vergrössert. Ho will eine Art Plattform schaffen, auf der verschiedene Avatare zur Verfügung stehen, mit denen man das eigene Körperbild positiv verändert und den Arm beispielsweise beweglicher erleben kann. 
Für die Neuropsychologin ist es mit Grundlagenforschung allein aber nicht getan. Ihr Ziel ist, dass ihr Wissen auch in die Praxis einfliesst und eine sinnvolle Anwendung findet. Tatsächlich steht sie schon in den Startlöchern für eine Start-up-Firma. Mit ihrer Idee, die Technologie des Virtual Embodiment für die Medizin nutzbar zu machen und mit Avataren Schmerzen zu lindern, hat sie am Digital Entrepreneurship Bootcamp der UZH gewonnen. Jetzt geht es darum, Sponsoren zu suchen und das Projekt aufzugleisen. 
Wie erholt sie sich, bei so viel Forschungselan? ­Jasmine Ho zuckt mit den Schultern. Sie erkundet die Welt in real, macht Exkursionen, Wanderungen, Spaziergänge und träumt zuweilen von der Weite Amerikas. Sie könnte sich ja einfach die VR-Brille aufsetzen und schon wäre sie drüben. Sie lächelt. Das braucht sie nicht. Gut möglich, dass der grosse amerikanische Markt auf ihr Start-up wartet, dann könnte sie wieder in ihre zweite Heimat fliegen. In echt.

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