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Die Passionsgeschichte – der Leidensweg von Jesus Christus – wird in den Evangelien erzählt. Dieses so genannte Passionsnarrativ fasziniert seitdem die Menschheit. Bis heute wird es immer wieder in Film, Literatur, Musik und bildender Kunst aufgegriffen und bearbeitet. Es gibt inzwischen unzählige filmische Adaptionen des Motivs. Vom Sandalenfilm über das opulent inszenierte Historiendrama bis hin zum experimentellen Autorenkino werden dabei unterschiedlichste Genres bedient.
Mehrere dieser Filme werden dieses Semester im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Leid-Bilder – die Passionsgeschichte in der Kultur» an der UZH diskutiert. Veranstaltet wurde die Reihe von der Kommission Interdisziplinär, die jedes Semester eine Ringvorlesung zu einem bestimmten Thema zusammenstellt.
Intention der aktuellen Reihe ist es, aus verschiedenen fachlichen Blickrichtungen das Phänomen der filmischen Adaptionen der Passionsgeschichte zu beleuchten. In den wöchentlich stattfindenden Vorlesungen stellt jeweils ein Referent den Film vor und analysiert ihn, ein zweiter ergänzt aus seiner Perspektive das Gesagte. Gesamthaft weitet sich so für die Zuhörerinnen und Zuhörer der Blick für die Möglichkeiten kultureller Adaptionen eines Themas.
Letzte Woche stand eine Debatte mit dem Schriftsteller Lukas Bärfuss und dem UZH-Theologieprofessor Konrad Schmid über den Film «Film Jésus de Montréal» von Denys Arcand auf dem Programm. Diese Woche ging es um den Film «Breaking the Waves» des dänischen Regisseurs Lars von Trier. Es ist ein wuchtiger Film. Er erzählt eine Passionsgeschichte ohne Hoffnung. Hauptfigur ist eine Heilige, die sich aus Liebe und Gottesfurcht zur Hure macht.
Inhaltlich geht es bei «Breaking the Waves» um die Grenzen von Liebe, Glaube und Opferbereitschaft und um die Frage der Passion als Selbstopferung. Eine Frau, Bess, lebt in einer schottischen puritanischen Religionsgemeinschaft. Sie heiratet Jan, der bei der Arbeit auf einer Bohrinsel lebensgefährlich verletzt wird und querschnittgelähmt heimkehrt. Bess betet zu Gott und glaubt, sie könne ihn retten, wenn sie aus Liebe das grösste Opfer bringt: Sie prostituiert sich auf Wunsch ihres Mannes und berichtet ihm von ihren sexuellen Erfahrungen. Schliesslich wird sie brutal misshandelt, mehrfach vergewaltigt und tödlich verletzt.
Martig würdigte den Film als explizite Auseinandersetzung mit religiösen und theologischen Fragestellungen. Die Bildsprache spiele dabei eine grosse Rolle. Von Trier habe authentische Schauplätze gewählt, Requisiten habe er nicht verwendet, ausserdem habe er bloss mit einer Handkamera gefilmt. Der Film sei grosses «Kino der Irritation», er breche auf faszinierende Weise die Erwartungshaltung des Publikums, sagte Martig.
Im Gegenzug beurteilte Schneider den Film als manieristischen Bilderkitsch und deutete das Selbstopfer der Heldin als sexuell aufgeladen. Freuds Konzept der «Miterregung» komme hier zum Tragen – eine Theorie über die Lust an Schmerz und Demütigung. Der Film, bilanzierte Schneider, sei vor allem die Inszenierung eines moralischen Masochismus.
In der nächsten Woche geht es weiter: Dann diskutieren der Neutestamentler Moisés Mayordomo Marín und der Soziologe Ueli Mäder, beide von der Universität Basel, über «La vie de Jésus», ein Film von Bruno Dumont aus dem Jahr 1997.