Navigation auf uzh.ch
UZH News: Herr Stocker, warum sollen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 14. Juni aus Ihrer Sicht Ja stimmen zur Stipendieninitiative?
Josef Stocker: Es geht dem Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) mit der Initiative um mehr Gerechtigkeit bei der Vergabe von Stipendien. Heute bestehen sehr grosse Unterschiede zwischen den Kantonen, was die Anzahl der unterstützten Personen und die Höhe der Stipendien anbelangt. Der Föderalismus mag in vielen Politikbereichen sinnvoll sein, aber nicht bei der Ausbildungsfinanzierung. Es kann nicht sein, dass Studierende ungleich behandelt werden, nur weil ihre Eltern in unterschiedlichen Kantonen wohnen. Deshalb braucht es eine Harmonisierung des Stipendienwesens auf nationaler Ebene. Zudem will die Initiative festschreiben, dass die Ausbildungsbeiträge einen minimalen Lebensstandard garantieren müssen.
Wird mit der Initiative eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Studierende geschaffen, wie das Kritiker bemängeln?
Nein. Wir gehen davon aus, dass Studierende durch Beiträge der Eltern und eigene Erwerbstätigkeit in der Regel mindestens die Hälfte der Lebens- und Ausbildungskosten selber tragen können. Wer nicht auf reiche Eltern zählen oder viel arbeiten kann neben dem Studium braucht aber Unterstützung. Private Stiftungen verteilen nur sehr selektiv Geld für bestimmte Studienrichtungen oder Personen. Bildung ist eine öffentliche Aufgabe und entsprechend ist es auch Aufgabe des Staates, das Studieren finanziell zu ermöglichen.
Das kommt nicht nur den Studierenden zugute. Die Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Unsere Initiative sorgt für den nötigen Nachwuchs, indem mehr interessierte und begabte junge Menschen an einer Universität, Fachhochschule oder höheren Fachschule studieren können. Gemäss einer Erhebung des Bundesamtes für Statistik erfolgen rund zwanzig Prozent der Studienabbrüche aufgrund finanzieller Probleme.
Die bürgerlichen Parteien als Gegner der Initiative argumentieren, die Zahl der Studierenden habe in den letzten zwanzig Jahren auch ohne Stipendieninitiative stark zugenommen.
Das mag sein, aber die Wirtschaft klagt trotzdem über einen Mangel an Fachkräften. Und inflationsbereinigt hat das Stipendienvolumen in den letzten 20 Jahren um rund 15 Prozent abgenommen – bei steigenden Studierendenzahlen. Nicht zuletzt wegen der Umstellung auf das Bolognasystem bleibt den Studierenden aber weniger Zeit, neben dem Studium zu arbeiten. Wer arbeiten muss, studiert länger, was mehrere Nachteile mit sich bringt: Dem Staat entstehen höhere Kosten, die Wirtschaft muss länger auf die Absolventinnen und Absolventen warten und einer akademischen Karriere ist es auch nicht förderlich, wenn man nach dem Abschluss ein höheres Alter hat.
Ist der Weg zu einer Harmonisierung des Stipendienwesens mit dem bestehenden Stipendienkonkordat nicht schon eingeschlagen?
Das Konkordat zeigt, dass der Bedarf nach einer Harmonisierung anerkannt wird. Aber das Stipendienkonkordat ist eine freiwillige Vereinbarung. Viele Vorgaben sind zudem so offen formuliert, dass es trotzdem zu grossen, unfairen Unterschieden zwischen den Kantonen kommt. Eine wirkliche Harmonisierung findet nicht statt.
Das Parlament legt mit dem revidierten Ausbildungsbeitragsgesetz einen indirekten Gegenvorschlag vor, der bei einem Nein zur Initiative automatisch in Kraft tritt. Darin ist vorgesehen, dass der Bund den Kantonen neu nur noch Subventionen an ihre Ausbildungsbeiträge gewährt, wenn sie die Bestimmungen des Stipendienkonkordats einhalten. Wäre das nicht eine Verbesserung?
Nein, weil das Konkordat wie gesagt zu offen formuliert ist. Ausserdem sind die Subventionen des Bundes seit 1993 von 100 auf 25 Millionen gesunken. Sie machen heute nur rund acht Prozent der Ausbildungsbeiträge der Kantone aus. Das ist ohnehin zu wenig, um einen wirksamen Anreiz zu setzen, sich an die Bestimmungen des Konkordats zu halten.
Der Bundesrat rechnet bei einer Annahme der Stipendieninitiative mit Mehrkosten in der Höhe von 500 Millionen Franken. Er warnt, dieses Geld würde anderswo im Bereich Bildung eingespart werden.
Stipendien sollten nicht nur als Kosten betrachtet werden. Sie sind in erster Linie eine Investition in die Zukunft. Der Fachkräftemangel kostet die Schweiz gemäss Schätzungen jährlich 4,2 Milliarden Franken. Was ein Staat in die Bildung investiert, erhält die Volkswirtschaft gemäss Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in dreifacher Höhe zurück.
Wie hoch die Mehrkosten nach einem Ja zur Stipendieninitiative genau sein werden, kann man erst sagen, wenn das ausführende Bundesgesetz vorliegt. Der VSS rechnet mit rund 450 Millionen Franken Mehrkosten. Es wäre sicher nicht im Sinne der Initianten, diese Gelder anderswo im Bildungswesen einzusparen.
Der Zürcher Kantonsrat hat im März beschlossen, den jährlichen Beitrag für Stipendien und Darlehen um sechs auf rund 45 Millionen Franken zu erhöhen. Sind Sie damit zufrieden?
Es ist grundsätzlich positiv, dass mehr Studierende im Kanton Zürich finanziell unterstützt werden sollen, zumal der Kanton bisher einen sehr geringen Anteil an Stipendienbezügern aufwies. Problematisch sind aber die vom Kantonsrat vorgesehenen Einschränkungen. Er geht von einer Normbiografie aus. Wer zum Beispiel älter ist als 35 Jahre, soll keine Stipendien, sondern nur noch Darlehen erhalten. Wer über 45 Jahre alt ist, erhält gar nichts. Das macht keinen Sinn. In den letzten Jahren wurde viel getan für die Durchlässigkeit im dualen Bildungssystem. Jetzt sollten wir nicht diejenigen benachteiligen, die dies nutzen und sich weiterbilden wollen.
Studierendenverbände lehnen Darlehen zur Finanzierung der Ausbildung grundsätzlich ab. Warum?
Ja, der VSS ist gegen Darlehen zur Finanzierung des Studiums, weil junge Menschen nicht mit Schulden ins Berufsleben starten sollten. Schulden zu machen kann grundsätzlich abschreckend wirken und von einem Studium abhalten. Zudem sind die Verwaltungskosten bei Darlehen im Vergleich zu Stipendien höher.
Die Stipendieninitiative macht allerdings keine Aussage zur Fragen nach Stipendien und Darlehen, sie spricht nur von Ausbildungsbeiträgen. Falls das Parlament bei einer Annahme der Initiative beim Ausführungsgesetz aber zu sehr auf Darlehen setzen sollte, müsste sich der VSS meiner Ansicht nach ein Referendum überlegen.