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Stellen Sie sich vor, sie sind ein keines Bäumchen am Zürichsee. Der rechte Nachbar ist eine ausladende Buche, links ein Haselnussstrauch. Der Frühling kommt und sie wollen auch zu einem stolzen Baum heranwachsen, Sie bereiten sich auf die Anstrengung vor, sich nach oben strecken – da kommt Ihnen eine Frage in den Sinn: In welche Richtung wachse ich am besten? Doch zum Glück gibt es ein Prinzip, das den Grossteil der Organismen auf dieser Erde vereint: der Lichtsinn. Es gibt kaum Pflanzen, die sich nicht nach der Sonne ausrichten.
Lorenzo Borghi ist Pflanzenwissenschaftler an der UZH und befasst sich mit der Kommunikation von Pflanzen. Während er wissenschaftlich die Kommunikation durch Hormone bei der Symbiose von Pflanzen und Pilzen erforscht, so hat er ein mit seinem Fachgebiet verwandtes Hobby, das ihn nicht loslässt: Er will wissen, wie Pflanzen ihre Umgebung wahrnehmen und wie durch sie das Wachstum gesteuert wird. Ausserdem treibt ihn die Frage um: Können die Pflanzen auch uns Menschen sehen und vielleicht sogar auf uns reagieren?
Borghi erklärt: «Eine Pflanze, die allein auf einem Feld steht, hat es gut, keine Nachbarn nehmen Licht oder Nahrung weg, Wurzeln und Blattwerk können sich bestens entwickeln.» Doch wie ist es, wenn die Pflanze sich gegen mächtige Nachbarn behaupten muss? Dann ist sie darauf angewiesen, sich zur Sonne zu strecken.
Am dicht bewaldeten Ufer des Zürichsees wird es für ein kleines Bäumchen schwierig, sich zu behaupten, die Konkurrenz ist überall. Wie richtet sich die Pflanze nun am besten aus? Dazu muss man sich die physikalischen Eigenschaften des Lichtspektrums vor Augen führen: Die Sonne liefert Licht in den Wellenlängen zwischen UV- und Infrarotlicht, sprich: alle Farben, die wir sehen können, aber auch das Nahe-Infrarot, das wir Menschen nicht sehen können. Grüne Pflanzen absorbieren sehr stark blaues und rotes Licht, reflektieren dafür grünes und nahes Infrarotlicht. Im Gegensatz zu Menschen nehmen die Pflanzen das Nah-Infrarot wahr. Sie quantifizieren das Verhältnis zwischen Rotlicht und Nah-Infrarotlicht, das sie aus der Umgebung erkennen. Wenn das Nahinfrarot-Licht den Rotlicht-Anteil übersteigt, «bemerkt» die Pflanze, dass sie im Wettbewerb mit einem pflanzlichen Nachbarn steht.
Borghi hat nun Fotoaufnahmen künstlerisch umgesetzt, die darstellen, wie Pflanzen diese Reflektion des Nahen Infrarotlichts von anderen Pflanzen wahrnehmen würden, wenn sie sehen könnten. Er benutzt dazu einen spektralen Filter, um ausschliesslich das Nah-Infrarot-Licht mit seiner digitalen Kamera abzubilden: Weiss bedeutet Präsenz der nahen Infrarot-Lichts, schwarz kein nahes Infrarotlicht.
Dazu ging Borghi mit seiner Kamera und einem entsprechenden Filter an den Zürichsee. Seine Schwarzweiss-Aufnahmen zeigen das Seeufer im nahen Infrarotlicht. Weiss sind die Bereiche mit starkem Infrarot, schwarz die ohne Infrarot. Entstanden sind ästhetische Aufnahmen, die Borghi bereits in der Photobastei Kunstausstellung zeigte.
Doch nun zur spannenden Frage, ob die Pflanzen auch uns Menschen wahrnehmen können. Die Fotos könnten uns einen Hinweis darauf geben: Pflanzen registrieren, wenn Menschen in der Nähe sind – aber nur, wenn diese auf bestimmte Weise angezogen sind. Dazu hat Borghi eine Erklärung: «Moderne Sportkleidung mit den Synthetikfasern sowie Pigmente aus unserer Kleidung reflektiert das nahe Infrarotlicht.» Das heisst, die Pflanze erkennt nicht uns, sondern nur unsere Leggings.