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Hodlers Projekt für die Aula

Bacchantischer Tanz

Das Wandbild in der Aula der Universität Zürich stammt vom Zürcher Maler Paul Bodmer und entstand 1933. Eigentlich hätte der viel bekanntere Ferdinand Hodler den Auftrag ausführen sollen. Dazu kam es aber nicht. Über die Hintergründe berichtete Professor Oskar Bätschmann am Mittwochabend in der kunsthistorischen Vortragsreihe zum 100-Jahr-Jubiläum des UZH-Hauptgebäudes.
Thomas Müller
Ferdinand Hodler, Skizze zu «La Floraison», 1914 (Januar oder Juni), Feder, in: Carnet 1958-176/209.04, Cabinet d'arts graphiques, Musée d'art et d'histore, Genf

Wer in der Aula sitzt, nimmt sie an der Wand hinter dem Rednerpult vielleicht wahr: Frauen, die in lockeren Gruppen in einem Hain zusammenstehen. Das Wandbild von Paul Bodmer sticht nicht ins Auge. Es wirkt bleich, fast durchscheinend. Die verhaltene Darstellung unterstreicht diesen Eindruck. Jede Frau schaut woanders hin, scheint in sich versunken, die langen Gewänder fallen lose. Zarte Farbtöne unterstreichen die Innerlichkeit der Stimmung, im Hintergrund beobachten nackte Jünglinge die Szene. Der Maler hatte sich in der Region einen Namen gemacht, nicht zuletzt mit dem 1932 fertiggestellten Freskenzyklus im Kreuzgang des Fraumünsters. Bis dahin waren die knapp 36 Quadratmeter, die Karl Moser, der Architekt des 1914 erstellten Hauptgebäudes, für das Wandbild ausgespart hatte, mehr als ein Jahrzehnt leer geblieben. Denn man wollte keinen ausländischen Meister, sondern nur einen Schweizer mit der Aufgabe betrauen.

Ursprünglich war der Auftrag an den sechzigjährigen Ferdinand Hodler ergangen, den grössten, wenn auch nicht ganz unumstrittenen Schweizer Maler der damaligen Zeit. Schon mehrfach hatte er im In- und Ausland mit meisterhaften Werken unter Beweis gestellt. Sein Wandbild von 20,5 Quadratmetern für die Universität Jena zeigte, dass er auch grosse Formate beherrschte. Für Zürich sah Hodler ein Bild vor, dem er den Titel «La Floraison» verlieh. Während mehreren Jahren habe sich der Maler intensiv mit dem Auftrag beschäftigt, sei aber letztlich gezwungen gewesen, auf die Ausführung verzichten, erläuterte Professor Oskar Bätschmann in seinem Vortrag: «Er war nicht einmal mehr imstande, sich für eine seiner zahlreichen Kompositionsideen zu entscheiden und einen Entwurf im Originalformat – einen sogenannten Karton – anzufertigen», so der Emeritus der Universität Bern und wissenschaftliche Leiter eines bis 2017 laufenden Hodler-Forschungsprojekts am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich.

Ferdinand Hodler, La Floraison, 1914 (Januar oder Juni), Feder, in: Carnet 1958-176/209.07 

Wie der Kunsthistoriker nach seiner akribischen Rekonstruktion des verhinderten Kunstwerks aufzeigte, arbeitete Hodler an einem eindrücklichen Wandgemälde, geprägt von den Themen Erblühen und Lebensfreude. Blumenstilleben hätten zwar nicht zu den Vorlieben des Malers gehört, wohl aber blühende Bäume. Blumen und Blüten waren den Frauen und Kindern und natürlich dem Frühling zugeordnet. Der in Bern geborene Maler war nicht der einzige «Florale» seiner Zeit, wie Bätschmann mit Hinweisen auf das Umfeld aufzeigte, einer Zeit, in der sich Kräfte des Aufbruchs dem fatalistischen Gefühl eines Fin-de-siècle gegenüberstellten. Den zweiten Schwerpunkt, die Lebensfreude, drückte Ferdinand Hodler mit Figuren in Tanzbewegung aus. Inspirationen bot weniger der klassische, sondern der moderne Tanz, wie ihn eine Loïe Fuller in Paris zeigte oder der archaische «danse du futur» der Choreografin Isadora Duncan in Berlin. Eine ganze Reihe von Skizzen und Zeichnungen versammelt unterschiedliche Figuren und Gruppierungen und zeigt teilweise geradezu bacchantische Tanzszenen.

Der Professor stuft das Projekt «La Floraison» für die Aula der Universität Zürich als das wichtigste unter den unausgeführten Vorhaben von Ferdinand Hodler ein. Die Spurensuche in den über 250 Skizzenheften des Malers erwies sich allerdings als schwierig. Hodler arbeitete zugleich an einem Gemälde mit ähnlichen Dimensionen für das Kunsthaus. Und Ideen für das Kunsthaus-Gemälde flossen auch in das Aula-Bild für die Universität ein, so dass die Zuordnung erschwert ist. Doch etliche sind klar mit «La Floraison» beschriftet oder durch ihre Komposition als Vorarbeiten erkennbar. «Zwischen 1914 und 1917 entstand eine grosse Zahl von Skizzen und Zeichnungen mit ganz unterschiedlichen Motiven», sagte Bätschmann.

Oskar Bätschmann: «Floraison ist das wichtigste unter den unausgeführten Vorhaben von Ferdinand Hodler.»

Hodler hatte den Auftrag 1913 bekommen. Vorgeschlagen hatte ihn der Architekt des Hauptgebäudes, Karl Moser, der auch das Kunsthaus erbaut hatte. Der Vertrag sah vor, dass er bis zur Einweihung des Universitätsgebäudes im April 1914 quasi als Muster einen Karton in Originalgrösse abliefern und bis zum Herbst 1915 das eigentliche Gemälde fertigstellen würde. Als Honorar für den Künstler sei der Betrag von 20’000 Franken vereinbart worden, eine enorme Summe, die damals dem vierfachen Jahresgehalt eines Ordinarius entsprach. «Wir können nicht wissen, für welche Idee sich Hodler entschieden hätte», sagte Bätschmann, «aber was immer er ausgeführt hätte, es wäre keine Idylle geworden.»

In den Skizzen habe Hodler Utopien einer friedlichen, weiblich belebten Welt entworfen – als Gegensatz zur Realität, in der seit Spätsommer 1914 das grosse Morden in der männerbeherrschten Welt angefangen habe. Hodler habe sich zwar kaum zum aktuellen Geschehen auf den Schlachtfeldern rund um die Schweiz geäussert und auch den Ersten Weltkrieg in seinen Werken nicht direkt thematisiert. Indirekt nahm er das Thema jedoch durchaus auf, indem er sich für sein Gemälde der «Schlacht bei Murten» im Landesmuseum zwischen 1915 und 1917 intensiv mit dem Kriegsgeschehen befasst habe. «Es ist wichtig zu realisieren, dass Hodler gleichzeitig an den Projekten ‚Schlacht bei Murten’ und ‚La Floraison’ arbeite, sich also zugleich mit den grösstmöglichen thematischen und darstellerischen Gegensätzen befasste.»

Noch 1917 meinte Hodler, ihm blieben zehn weitere Jahre des Schaffens. Doch er starb am 19. Mai 1918 unerwartet mit 65 Jahren in Genf.