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Ob als übler Schafsmörder oder süsser Welpe – das Bild, das die Medien vom einheimischen Raubtier zeigen, ist alles andere als nüchtern. Von Gegnern wie Befürwortern einer Anwesenheit des Wolfs in der Schweiz werden Ängste und Sehnsüchte bedient. Dies erschwert die Suche nach einer sinnvollen Lösung für das Zusammenleben zwischen Mensch und Wolf.
Heute leben in der Schweiz lediglich 18 Wölfe. Damit ist der Wolf noch weit von einer gesicherten Population entfernt. Welche praktischen, biologischen, juristischen und ethischen Fragen sich beim Zusammenleben von Mensch und Wolf stellen, war am vergangenen Donnerstag Thema einer Veranstaltung des studentischen Vereins TUN (Biologen nehmen Stellung im Einsatz für Tier und Natur).
Ralph Manz führte als Vertreter des Vereins KORA (Koordinierte Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz) in die Problematik der Schweizer Wolfsbestände ein. Landwirtschaft, Politik und Jagd stellen gemäss Manz drei Konfliktfelder dar, in denen verhandelt wird, ob der Wolf als bedrohte Tierart eines strikten Schutzes bedarf oder als böser Eindringling geschossen werden soll.
Das Bild des bedrohlichen, gefrässigen Wolfes ist durch Fakten nicht zu stützen. Im Vergleich mit der Zahl der Schafe, die durch Krankheit, Blitzschlag oder Abstürze umkommen, ist die Zahl der von Wölfen gerissenen Tiere verschwindend klein – sie machen weniger als 3 Prozent der Verluste aus.
Ohnehin ist es gemäss Manz sinnvoller, den Herdenschutz durch Schäferhunde zu fördern, als gegen den Wolf anzukämpfen. Ein konsequenter Herdenschutz bringt nämlich nicht nur eine Verbesserung der Tierhaltung mit sich. Er zahlt sich für die Tierhalter auch ökonomisch aus, da weitere Verluste – etwa durch Abstürze – verhindert werden können.
Auch die Gelder, die für die Förderung des Herdenschutzes aufgewendet werden, liess Manz nicht als Argument gegen den Wolf gelten. Die Kosten seien sehr gering und die Ersatzzahlungen für gerissene Schafe kämen den Bund viel teurer zu stehen. Auch im Bereich der Jagd beruht das Feindbild Wolf nicht auf rationalen Argumenten.
Der Wildbestand hat gemäss dem Referenten in einer Weise zugenommen, dass Raubtiere und Jagd sich problemlos ergänzen. Angesichts der Tatsache, dass 50 Prozent der einheimischen Pflanzen- und Tierarten potentiell vom Aussterben bedroht sind, stellte Manz die Frage: «Wer ist nun der Wicht: Der Wolf oder der Mensch?»
Einen Einblick in die aktuelle Gesetzeslage zum Schutz des Wolfes gab anschliessend der Jurist Guido Mühlemann. Obwohl der Schutz bedrohter Tierarten, zu der auch der Wolf gehört, in der Bundesverfassung verankert ist, können die Kantone unter bestimmten Bedingungen eine Abschussbewilligung erteilen. Aus rechtlicher Sicht besteht gemäss Mühlemann somit ein Spielraum, der für den Wolf lebensgefährlich ist. In der Revision der Jagdschutzverordnung, die momentan in der Vernehmlassung ist, finden sich nun allerdings Artikel zur Förderung des Herdenschutzes.
Eine weitere Dimension der Thematik eröffnete Christoph Ammann, der als Oberassistent am Institut für Sozialethik der UZH unter anderem zu Tierethik forscht. Er ging in seinen Ausführungen der Frage nach: «Was geht uns der Wolf an?» und skizierte verschiedene ethische Optiken, um den Konflikt zwischen Mensch und Raubtieren zu erhellen. Wie wir mit den Wölfen und den Raubtieren in der Schweiz umgehen, hängt nach Ammann wie jeder ethische Konflikt davon ab, welche Sichtweise wir einnehmen – wobei keine dieser Sichtweisen per se richtig oder falsch ist.
Aus tierethischer Sicht etwa kann der Schutz des Wolfes nicht über den Schutz des Schafes gestellt werden, da beide Tiere als empfindende Wesen gleichgestellt sind. Ammann plädierte für eine Sichtweise auf die Natur, die den Rahmen des Anthropozentrismus sprengt. Eine Haltung also, in der die Natur als etwas an sich Wertvolles betrachtet wird und der Wolf als Wesen und nicht um seines Nutzens als Ökodienstleister wegen zu achten ist.
Bei der Diskussionsrunde zeigte sich, dass hinter dem Konflikt tiefgreifende Probleme stecken. SRF-Moderator und Biologe Andreas Moser («Netz Natur») meinte, dass unser grundlegendes Verhältnis zur Natur aus dem Gleichgewicht geraten ist. Schon das Wort Raubtier zeige, dass wir uns nicht mehr als Teil der Natur sehen, den Wolf als Bedrohung unseres Besitzes betrachten.
Eine Meldung aus dem Publikum verdeutlichte, dass dem Konflikt ein soziales Problem zugrunde liegt. Andreas Michel bemängelte als Vertreter des Schweizerischen Schafzuchtverbandes die einseitige Sichtweise der Vortragenden. Er sprach die grossen Spannungen an, die zwischen den Tierhaltern bestehen. Wer sich unter den Schäfern für eine Förderung des Herdenschutzes durch Hunde ausspreche, gelte schnell einmal als Befürworter des Wolfes und damit als Verräter.
Moser und Manz pflichteten bei, dass diesbezüglich grosse Schwierigkeiten bestünden. Der Wolf scheint bei den Bergbauern, die sich in ihrer Identität bedroht fühlen, zu einer Art Ventil geworden zu sein, sagte Manz, der die Ängste der Bauern gut kennt: «WTO-Landwirtschaftsbestimmungen kann man nicht abschiessen, den Wolf schon.»
Selbst wenn Massnahmen zum Herdenschutz auf Akzeptanz stossen, sind sie nicht immer leicht umzusetzen, wurde in der Diskussion deutlich. Gerade in touristischen Gebieten gibt es immer wieder Probleme mit Herdenschutzhunden – etwa, wenn Touristen von ihnen gebissen werden. Der Herdenschutz zahlt sich zudem erst bei einer bestimmten Grösse der Alp aus. «Was ist das für eine Gesellschaft, in der man kein Geld mehr hat für den Herdenschutz?», fragte Moser, womit er nicht die Bergbauern meinte, sondern vor allem die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten.
Eine Lösung des Konflikts, so zeigte die Debatte, kann jedoch nicht einfach durch höhere Ersatzgelder für gerissene Schafe oder Investitionen in die Förderung des Herdenschutzes erkauft werden. Damit die Wölfe wieder zu einer gesicherten Population wachsen könnten, sind sie vor allem auf die Akzeptanz der Menschen angewiesen. Dazu ist zuerst eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema nötig. Die Diskussionsveranstaltung am Campus Irchel war ein gutes Beispiel für eine solche sachliche Auseinandersetzung.