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Aus ganz Europa kommen die sechzehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Summer School «Governing the Transition to a Bio-based Economy» ins Klosterstädtchen Einsiedeln angereist. So sitzt neben der Chemikerin aus Münster ein Umweltwissenschafter aus Wien, daneben eine Sozialwissenschafterin aus Amsterdam, einen Stuhl weiter ein Pflanzenwissenschafter der UZH, alles Master- und PhD-Studierende.
Auf dem Programm stehen Inputreferate aus den Naturwissenschaften, der Politologie und Ökonomie. Ein Referat behandelt zum Beispiel das Phosphatrecycling, ein anderes gibt Informationen zur Bioökonomie-Strategie der EU; unter «Bioökonomie» versteht man die Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie – wobei zur Herstellung von Nahrung, Materialien und Energie keine fossilen Ressourcen verbraucht werden sollen, sondern Biomasse aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen.
Doch nicht nur inhaltlich ist Bioökonomie an der Summer School in Einsiedeln ein Thema. Mindestens so zentral ist während der vier Tage (20.–23. August), wie die unterschiedlichen «Player» der Bioökonomie zusammenarbeiten können. Was braucht es, damit der Austausch zwischen Wissenschaft, Forschung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert, und wo liegen allfällige Grenzen? Diese Fragen werden auch mit praktischen Übungen den Teilnehmenden näher gebracht.
So soll als Einstieg in die Summer School jeder Teilnehmer eine Forschungsarbeit eines anderen aus einem ihm fremden Gebiet vorstellen. Englisch als gemeinsame Sprache ist dabei das kleinste Problem, das beherrschen alle mühelos. Der Perspektivenwechsel führt eher vor Augen, dass gewisse Begriffe wie «Transkriptionsfaktoren» oder «Signaling Pathways», die in Fachkreisen als klar verständlich erachtet werden, von Teilnehmern aus anderen Disziplinen erst hart erarbeitet werden müssen und in einer interdisziplinären Forschungsgruppe keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt werden können.
«In interdisziplinären Gruppen ist es oft enorm schwierig, sich gegenseitig zu verstehen», sagt Michael Stauffacher, der die Gruppe am Morgen des zweiten Tages leitet. Der Soziologe ist seit zwanzig Jahren an interdisziplinären Forschungsprojekten an der ETH beteiligt und kennt sich mit Sprachbarrieren zwischen den Disziplinen aus. «Diese, wie gemeinhin üblich, als Kommunikationsproblem anzusehen, greift zu kurz», erklärt Stauffacher. Hinter Verständnisproblemen, die durch unterschiedlich verwendete Begriffe oder mangelndes Fachwissen im anderen Gebiet entstehen, stecke ein viel tieferliegendes Problem: In den verschiedenen Wissenschaften herrschen unterschiedliche Kulturen.
Statt die Verständigungsprobleme zwischen den Disziplinen wie sonst üblich schnell aus dem Weg zu räumen, sollen die sechzehn Teilnehmer der Summer School diese zum Thema machen und so ihrem eigenen Wissenschaftsverständnis auf den Grund gehen. Stauffacher verteilt einen langen Katalog konkreter Fragen, die die Einzelnen zuerst für sich beantworten und anschliessend in der Gruppe diskutieren. «Sind reale Probleme wichtig für die Wahl deiner Forschungsfragen?» – «In welcher Form ist deine Forschung objektiv?», so lauten zum Beispiel die Fragen. Ziel ist es, sich bewusst zu werden, von welchem Wissenschaftsverständnis man sich leiten lässt.
Von der Morgensonne angezogen, steigen die zwei Gruppen auf die Dachterrasse des Bildungszentrums, um der Aufgabe nachzugehen. In der einen Gruppe, die nur aus Naturwissenschaftlern besteht, wird der Wert von Grundlagenforschung verhandelt oder darüber diskutiert, ob Forschung überhaupt jemals wertfrei sein kann.
In der anderen Gruppe sitzen Geisteswissenschaftler Naturwissenschaftlern gegenüber. Die Diskussion wirkt hier noch angeregter, leidenschaftlicher. «Man kann Erkenntnisse aus qualitativen Umfragen doch nicht als wissenschaftliche Fakten bezeichnen», meint ein Biologe zu den Forschungsmethoden der Kommunikationswissenschaftlerin. Diese erwidert, dass quantitative Analysen genau so wenig die Wahrheit an den Tag bringen, sondern nur solange Gültigkeit haben, bis sie widerlegt werden. Der bekannte Graben zwischen Naturwissenschaftlern und Geistes- und Sozialwissenschaftlern wird sichtbar, doch auch die Bemühung, die andere Sichtweise zu verstehen.
«Voraussetzung für einen gelingenden Dialog zwischen den Fächern ist, dass jeder die Grenzen der eigenen Disziplin erkennt», so lautet für Student Gerasimos Koulouris die Quintessenz seiner Diskussionsrunde. Koulouris studiert Engineering Management an der Technical University of Denmark und beschäftigt sich beruflich mit der Implementierung einer Biogas-Produktionsmethode. Interdisziplinär zu arbeiten ist er gewohnt. Wie viele der Teilnehmer hat er sich nicht nur wegen der Thematik der «Bio-Based Economy» für die Summer School beworben, sondern auch wegen der Kontaktmöglichkeiten und dem intensiven Austausch über die Disziplinen hinweg.
Am Ende der Diskussionen ist man sich einig, dass Geistes- und Sozialwissenschaftler von Anfang an in grosse naturwissenschaftliche oder technologische Forschungsprojekte einbezogen werden sollten. Am besten schon früh, wenn die den Projekten zugrunde liegenden Forschungsfragen formuliert werden. Wenn neue Technologien in der Gesellschaft eingeführt werden, dann müssten Soziologen die Neuerungen auf ihre Akzeptanz hin überprüfen. So hätten innovative, nachhaltige Produktionsmethoden eine bessere Chance, Verbreitung zu finden.