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150 Jahre Schweizer Alpen Club (SAC)

Einöde der Helvetier

Die Zentralbibliothek Zürich lädt mit der Ausstellung «Bergwelten» zu einer Wanderung durch ein halbes Jahrtausend alpiner Literatur. Die Ausstellung gewährt auch einen Einblick in die Arbeit von Computerlinguisten der UZH, die die Publikationen des SAC analysieren. 
Thomas Gull

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Drachen im Gebirge: Im 18. Jahrhundert wurden die Alpen als Hort des Dämonischen wahrgenommen.

Die Berge waren in der Vorstellung der Menschen nicht immer schön und erhaben. Die erste gedruckte Karte der Schweiz, die 1513 in Strassburg herausgegeben wurde, nennt unser Land «Einöde der Helvetier». «Die Bezeichnung erinnert an die in mittelalterlichen Texten gepflegte Vorstellung eines locus horriblis», schreibt Kurator Jost Schmid in der Begleitpublikation zur Ausstellung, «dieser Ort musste nicht zwingend schrecklich oder abschreckend wirken, sondern konnte auch ein schönes Erschauern aufgrund der erhabenen Natur bedeuten.»

Berge romantisch

So ist das mit den Bergen: Sie sind einfach schaurig schön. Dieses Grundgefühl zieht sich durch die Gebirgsliteratur der letzten 500 Jahre. Eine Auswahl besonders schöner und instruktiver Beispiele sind jetzt in der Zentralbibliothek Zürich (ZB) zu sehen. Sie stammen aus der Zentralbibliothek des SAC, die seit 1890 in die Stadtbibliothek Zürich eingegliedert ist.

Die Literatur spiegelt, wie sich der Blick auf die Berge und der Alpinismus verändert haben: Waren die Berge einst ein bedrohlicher Ort, wo Ungeheuer hausten und unbekannte Gefahren drohten, wurden sie später romantisch überhöht, wissenschaftlich erkundet und vermessen, von den Engländern als Feriendestination und «playground» entdeckt und von den Faschisten und Nationalsozialisten ideologisch vereinnahmt, um schliesslich von der Tourismusindustrie kommerzialisiert und von dem Schweizer Extrembergsteiger Ueli Steck im Eilzugtempo bestiegen zu werden. Man darf gespannt sein, wie diese Geschichte weitergeht.

Berge digital

Die Mitglieder des SAC haben nicht nur Berge bestiegen, sondern auch darüber geschrieben. Der Alpenclub gibt seit 1864 Publikationen heraus: Zuerst das «Jahrbuch des S.A.C.» (bis 1923), dann die «Alpen» (1925 bis heute). Die beiden Reihen sind eine wertvolle Sammlung von Berichten, Aufsätzen und Reflexionen über den Alpinismus. Sie dokumentieren, wie seit dem Bestehen des SAC über das Bergsteigen berichtet und nachgedacht wurde.

Diese einzigartige Quelle für die historische, kulturwissenschaftliche und sprachliche Erforschung des Alpinismus wird im Rahmen des Projektes «Text+Berg digital» unter der Leitung von Martin Volk, Professor für Computerlinguistik an der Universität Zürich, digital erfasst und linguistisch aufbereitet. Die «Bergwelten»-Ausstellung gibt Einblick in diese Arbeit.

Ihren Anfang nimmt die Digitalisierung mit der physischen Zerstörung der Bücher, deren Rücken abgetrennt werden, um sie Seite für Seite einscannen zu können. Die digitalisierten Texte können dann auf verschiedene Weise ausgewertet werden, sprachlich und inhaltlich, indem die Struktur der Sprache analysiert oder typische Inhalte, Denkfiguren oder Topoi ausfindig gemacht und verglichen werden.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man mächtige Firnfelder rund um das Saastal ausmachen. Heute sind viele Teile der Gletscher verschwunden.

Berge verherrlicht

Die im Rahmen des Projektes digitalisierten Texte spiegeln das Selbstverständnis der Berggänger der jeweiligen Epoche. Die Bergsteiger des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatten andere Motive als heutige Alpinisten, um eine Bergtour zu machen, und sie schilderten dieses Erlebnis auch mit anderen Worten, die uns heute oft fremd anmuten, wie diese Beschreibung des Altmann, des zweithöchsten Berges des Alpsteinmassivs, illustriert. Im Jahrbuch von 1901 wird er als königlicher Hüne verherrlicht:

«Eine noble, königliche Erscheinung darf man ihn füglich nennen, diesen zweithöchsten Gipfel des Alpsteins. Ob von Norden oder Osten, von Süden oder Westen gesehen, allüberall macht er auf uns den Eindruck einer harmonischen Schönheit. Fesselt uns von Nordosten – z. B. vom Schwendithal aus gesehen – die massige, breitschultrige Hünengestalt, die so unvermittelt dem Thalkessel von Oberkellen entragt, so imponiert er vom Fählensee aus nicht minder durch seinen turmartigen Aufbau. Und wie schön dem schmucken Gesellen das flimmernde Silberband steht, das von der wuchtigen Schulter herabwallt!»

Berge fotografiert

Die digitalisierten Jahrbücher sind nicht nur sprachlich und ideengeschichtlich interessant. Sie belegen auch den Wandel der fotografischen Ideale. Das zeigt sich in den Bildern selbst und in den Aufsätzen, die fotografischen Rat geben. «Im Auge des heutigen Betrachters erscheint manch eines der in solchen Aufsätzen als misslungen bezeichneten Bilder als besonders gelungen und interessant», wie auf der Website des Projektes «Text+Berg» nachzulesen ist.

Die Ausstellung in der ZB erlaubt, beispielhaft nachzuvollziehen, wie sich unser Blick auf die Berge verändert hat. Der Gipfel der Wanderung durch die Zeit ist das prächtige Panorama der Berner Oberländer Alpen, vom Lauberhorn aus gesehen, aus dem Jahr 1830. Es zeigt auch die Eiger Nordwand, die die Alpinisten bis heute fasziniert und herausfordert.

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