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Otfried Jarren, Rektor ad interim

«Die Wissenschaft lebt von Kontroversen»

Otfried Jarren hat nach dem Rücktritt von Andreas Fischer interimistisch die Leitung der Rektoratsgeschäfte übernommen. Im folgenden Interview gibt er eine persönliche Einschätzung zur Situation der UZH. Er nennt seine Prioritäten bei der Lösung der anstehenden Probleme und erklärt, wie er sich einen lebendigen inneruniversitären Dialog über kontroverse Fragen vorstellt.
Interview: David Werner

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«Die UZH soll ein Haus mit offenen Türen sein», sagt Otfried Jarren. Er führt die Rektoratsgeschäfte bis zum 1. Februar 2014. (Bild: Frank Brüderli)

Herr Jarren, seit Monaten steht die UZH wegen der Konflikte rund ums Medizinhistorische Institut in den Schlagzeilen. Der Fall überschattet das Bild der UZH in der Öffentlichkeit. Was ist Ihre Botschaft an die Mitarbeitenden, die sich um die Reputation der UZH sorgen?

Otfried Jarren: Meine Botschaft ist, dass die UZH nach wie vor auf einem sicheren Fundament steht. Wir sind ein grosses, stolzes Haus, erbaut durch den Willen des Volkes, wie es auch über dem Eingang des Hauptgebäudes geschrieben steht. Der Betrieb funktioniert. Es wird gelehrt, es wird studiert, es wird geforscht, es wird gearbeitet. Unser Anspruch, eine der besten europäischen Universitäten zu sein und in bestimmten Bereichen zur Weltspitze zu gehören, bleibt selbstverständlich bestehen. Die Messlatte liegt unverändert hoch. Ob sich die Turbulenzen, denen wir momentan ausgesetzt sind, mittel- und längerfristig auf die Reputation der UZH auswirken, kann zurzeit niemand wirklich vorhersehen. Ich persönlich bin sicher, dass uns die gegenwärtigen Probleme nicht dauerhaft belasten werden. Ich habe grosses Vertrauen in unsere Institution und weiss um das Verantwortungsbewusstsein und das hohe Engagement der UZH-Angehörigen.

Wie realistisch ist das Bild, das momentan in der Öffentlichkeit von der Universität Zürich gezeichnet wird?

Jarren: Die medialen Momentaufnahmen in der aufgeheizten Situation, in der wir uns befinden, lassen manches verzerrt erscheinen. Wir müssen nun die Relationen wieder zurechtrücken, ohne dabei die Probleme kleinzureden. Die Kritik – die externe und die interne – müssen wir ernst nehmen.

Sie werden nur zweieinhalb Monate im Amt sein und viele Brandherde zu löschen haben. Sehen Sie sich als Krisenmanager?

Jarren: Nein, so sehe ich mich nicht. Wir sind nicht in einer «Krise» – es geht nicht um Sein oder Nichtsein. Und es wäre völlig falsch, jetzt so zu tun, als müsste die ganze UZH umgekrempelt werden. Es herrscht kein gesamtuniversitärer Ausnahmezustand, und das Problemfeld lässt sich ziemlich präzise eingrenzen.

Wo sehen Sie den Handlungsbedarf?

Jarren: Es geht um Einzelfragen. Die Aufgabe ist, innerhalb kurzer Frist die Organisation der Führungsstrukturen zu überdenken und Optimierungsvorschläge zu unterbreiten. Das wird rasch, zugleich aber mit grosser Sorgfalt und vor allem in Wertschätzung aller Mitarbeitenden geschehen. Ich habe ein gut aufgestelltes Team im Rektorat angetroffen.

Für manche Kommentatoren sind die Ereignisse um das Medizinhistorische Institut ein Indiz für die angeblich mangelnde Zukunftsfähigkeit des bisherigen Modells der akademischen Selbstorganisation; sie fordern eine straffere, hierarchischere Führung der Universität. Was ist Ihre Meinung dazu?

Jarren: Das ist doch Unsinn. Das Haus der Wissenschaft kann nur selbstorganisiert funktionieren. Ich bin froh, dass der Universitätsrat signalisiert hat, dass er unserer selbstorganisierten Universität zutraut, die gegenwärtigen Probleme in den Griff zu bekommen. Straffe Führung ist sinnvoll und wichtig im Bereich der institutionellen Organisation und der Personalführung, aber nicht im universitären Kernbereich Forschung und Lehre. Wissenschaft «managt» man nicht. Universitäten sind im wissenschaftlichen Bereich nach dem Egalitäts- und Kollegialitätsprinzip aufgebaut, sie organisieren sich über Diskurs, Moderation und Aushandlung. Auf dieser Basis erarbeiten sie Lösungen. Wohin das Schiff steuert, wird nicht durch das Machtwort eines Einzelnen entschieden, sondern ist das Ergebnis eines gestaffelten Entscheidungsfindungsprozesses. Manchmal gibt es auch Streit und Unruhe. Aber das gehört dazu, die Wissenschaft lebt von Kontroversen nicht nur über Forschung, sondern auch über die beste Organisationsform von Wissenschaft.

Ein CEO an der Spitze der UZH könnte sich nicht behaupten?

Jarren: Nein, universitäre Führungspersonen müssen akademiegerecht agieren. Sie sind immer Teil der Akademie. Eine von oben eingesetzte Person, die nicht zur Akademie gehört, würde nicht akzeptiert. Gelingende akademische Leitung erfolgt am besten durch Leadership.

Der Universitätsrat hat vor einigen Tagen beschlossen, den 2012 eingeleiteten Prozess zur Optimierung der Führungsorganisation an der UZH unter eine externe Leitung zu stellen. Verträgt sich das mit dem Bild der selbstorganisierten Wissenschaftsorganisation, das Sie gezeichnet haben?

Jarren: Für mich durchaus. Dass jemand von ausserhalb der Universität beigezogen wird, ist legitim. Die Person wird nicht in unser akademisches Kerngeschäft von Forschung und Lehre eingreifen, sondern ausschliesslich unsere Führungsstrukturen und -prozesse mit uns reflektieren. Das wird mit Kritik verbunden sein, wie immer bei einer Aussenbetrachtung. Ich sehe das aber positiv. Wir werden das aushalten können und dann selbstbestimmt Optimierungsprozesse veranlassen.

Der Universitätsrat hat die Universitätsleitung beauftragt, die Positionierung des Medizinhistorischen Instituts zu überprüfen. Wie schnell wird dies geschehen?

Jarren: Mit hoher Priorität. Wir müssen rasch handeln. Wir werden in Kürze eine Projektorganisation aufgleisen und dann müssen wir Entscheide fällen.

Welche Ziele verfolgen Sie ausserdem?

Jarren: Ich schaue mal in die Zukunft: Die Universitätsleitung wird Massnahmen einleiten, um die Leitung der UZH zu professionalisieren – auf allen Stufen. Wenn wir als Universitätsangehörige die Geschicke der Universität selbst bestimmen wollen, müssen wir zeigen, dass wir selbstorganisationsfähig sind. Längere – also mindestens vierjährige statt zweijährige  – Amtszeiten der Dekane sehe ich zum Beispiel als eine Voraussetzung dafür. Wichtig erscheint mir aber vor allem ein Ausbau des internen Weiterbildungsangebots für Kaderleute in den Fakultäten, in den Instituten und in den Zentralen Diensten – und zwar auf allen Stufen, nicht nur auf den unteren.

Ziel muss sein, die Führungskompetenzen von Dekanen, Instituts- und Abteilungsleitern zu verbessern. Neben dem How-to-do kann man auf diesem Weg auch eine UZH-spezifische Führungskultur vermitteln und etablieren. Ausserdem würde eine solche Weiterbildung den inneruniversitären Austausch über die Fakultäten und Abteilungen hinweg fördern. Für die UZH wäre das ein wichtiger Schritt. Moderne Grossorganisationen brauchen den Kitt einer solchen gemeinsamen Kultur.

Sie sagten, dass der Streit der Argumente zur akademischen Kultur gehöre. Im Augenblick gibt es einige Kontroversen an der UZH. Wie weit darf die Auseinandersetzung an der UZH gehen? Wo liegen die Grenzen?

Jarren: Die Grenzen sind überschritten, wenn Regeln und Normen missachtet werden. Universitäre Selbstorganisation funktioniert nur, wenn die Regeln und  Normen beachtet werden, die gemeinsam ausgehandelt wurden. Und natürlich gelten für uns die allgemeinen gesetzlichen Regeln und Normen.

In letzter Zeit wurde die Universitätsleitung mehrfach vehement von UZH-Angehörigen kritisiert: Die Unterzeichner des «Zürcher Appells» zum Beispiel zeigten sich besorgt, dass der Vertrag mit der UBS die wissenschaftliche Freiheit beeinträchtigt. Verletzt eine solche öffentlich gut vernehmbare Kritik die Loyalitätspflicht gegenüber der Universität?

Jarren: Dissens, ich wiederhole es, gehört zur Universität. Als Akademie leben wir von der kritischen internen Auseinandersetzung. Es ist erlaubt und erwünscht, Kritik selbst in aller Schärfe zu äussern. Allerdings kommt es schon auch auf die Form und den Ton an.

Ich stelle mich dem Streit. Ich betrachte den «Zürcher Appell» als einen Anstoss, auch intern kritisch über Regeln und Normen zu diskutieren. Wir müssen uns auch immer wieder überlegen, wie wir als Institution mit Dissens umgehen, und wie wir aus dem Dissens heraus zu tragfähigen Lösungen kommen. Wir sollten uns zukünftig stärker bemühen, die Konfliktparteien untereinander in Dialog treten zu lassen.

Welches ist Ihre Haltung zu dem Inserat, das aus Protest gegen die Entlassung von Iris Ritzmann veröffentlicht wurde, und auch von Angehörigen der UZH unterzeichnet wurde?

Jarren: Ich teile die Meinung der Inserenten zwar nicht, aber ich finde es legitim, auf Dinge aufmerksam zu machen. Allerdings sollte man das im vollständigen Wissen um Sachverhalte tun.

Nach der Entlassung von Iris Ritzmann wurde der Universitätsleitung unterstellt, sie habe auf politischen Druck hin gehandelt.

Jarren: Das ist definitiv falsch. Der Entscheid, Frau Ritzmann zu entlassen, erfolgte einzig aus arbeitsrechtlichen Erwägungen und keineswegs auf politischen Druck hin. Wir haben bezüglich dieses Entscheides ein Gutachten an eine Fachperson in Auftrag gegeben.

Die Kommunikation der Universität in Arbeitskonflikten wurde als defensiv und intransparent charakterisiert. Warum entstand dieser Eindruck?

Jarren: Wenn es zu Arbeitskonflikten kommt, können sich Einzelpersonen bei den Medien viel leichter Gehör verschaffen als Institutionen. Einzelpersonen werden als Opfer wahrgenommen – mit Institutionen dagegen hat selten jemand Mitgefühl. Die Universität konnte und kann zudem vieles, was zur Erklärung ihrer Entscheidungen notwendig wäre, nicht öffentlich machen, weil es mit dem Datenschutz oder den Persönlichkeitsrechten konfligieren kann oder weil es Gegenstand von Verhandlungen war.

Die Affäre um das Medizinhistorische Institut hat eine ungeheure mediale Sogwirkung entfaltet. Hat diese Dynamik Sie als Kommunikationswissenschaftler überrascht?

Jarren: Theoretisch gesehen nicht. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass auf ein grosses mediales Aufreger-Thema noch weitere Themen draufgesattelt werden, die sonst vielleicht gar nicht beachtet worden wären. Die erhöhte Aufmerksamkeit für die Führungsentscheide der Universität Zürich wird ausgenutzt. So kommt es zu einer Verkettung von Ereignissen und zu einer Verklumpung verschiedener Themen. Mit dem konstruktiven akademischen Streit, den ich schätze, hat das natürlich rein gar nichts zu tun. Vielmehr geht es um die Durchsetzung von Partikularinteressen auf Kosten der Institution UZH.

Sie führen heute Freitag Gespräche mit den Angehörigen der UZH. Wer nimmt daran teil?

Jarren: Es nehmen Vertreterinnen und Vertreter aller Stände teil. Ich habe die Vorstände des Verbandes der Studierenden (VSUZH), der Vereinigung akademischer Mittelbau (VAUZ) und der PD Vereinigung sowie des Vereins des Infrastruktur-Personals (VIP) angefragt. Selbstverständlich gibt es auch Gespräche mit Professorinnen und Professoren.

Sie haben schon vorletzte Woche mit Studierendenvertretern und Professoren über die Konfliktthemen gesprochen. In den Medien wurde unterstellt, das seien «Geheimtreffen» gewesen.

Jarren: Das war alles andere als ein Geheimtreffen. Die Gespräche fanden ganz offen hier im Rektorat statt.

Was versprechen Sie sich persönlich von den heute stattfindenden Gesprächen?

Jarren: Ich bin offen für das, was kommt. Ich möchte einerseits wissen, wie die UZH-Angehörigen die momentane Situation sehen, anderseits möchte ich ihnen vermitteln, was unsere Haltung ist – auf eine persönlichere und direktere Weise, als dies in einem schriftlichen Interview wie diesem hier möglich ist.

Wird es weitere Möglichkeiten zum Dialog geben?

Jarren: Ja, die UZH soll ein Haus mit offenen Türen sein. Wir, die Mitglieder der Universitätsleitung, werden auf jeden Fall weiterhin den Dialog mit den Angehörigen der UZH suchen.

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