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Neurowissenschaften

Wie das Hirn sich fit hält

Um zu wachsen und sich zu Nervenzellen zu entwickeln, müssen Stammzellen im erwachsenen Gehirn ihren Fettstoffwechsel massiv ankurbeln. Diese neue Erkenntnis bietet Ansatzpunkte für die Entwicklung von Medikamenten gegen den alters- oder krankheitsbedingten Verlust von Hirnsubstanz.
Peter Rüegg
Eine ruhende Stammzelle mit Fortsätzen (links) wird mittels Fettsäurenbildung aktiviert und zu einer sich teilenden Stammzelle (Mitte), deren Tochterzelle zu einer neuen Nervenzelle (rot) ausreift.

Gehirnstammzellen produzieren täglich tausende neue Nervenzellen in zwei Regionen des erwachsenen Gehirns: in der subventrikulären Zone der Seitenventrikel und im so genannten Gyrus dentatus, einem Teil des Hippocampus.

Dieser Vorgang, adulte Neurogenese genannt, ist wichtig für verschiedene Lern- und Gedächtnisprozesse. Störungen der adulten Neurogenese gehen einher mit einer Vielzahl von Erkrankungen des Gehirns wie Depressionen, Epilepsie oder der Alzheimer-Krankheit.

Ein Team um Sebastian Jessberger, Professor am Institut für Hirnforschung der UZH, hat einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt. Dieser Vorgang spielt bei der Neurogenese und damit für die lebenslange Aktivität von Stammzellen im Gehirn von Erwachsenen eine Schlüsselrolle. «Das gibt uns hoffentlich einen neuen Ansatzpunkt, um Medikamente gegen Depressionen oder neurodegenerative Krankheiten zu entwickeln», sagt der Neurobiologe. Die Studie ist soeben in Nature online erschienen.

Stammzellen machen ihre Lipide selbst

Jessbergers Gruppe konnte zeigen, dass Stammzellen darauf angewiesen sind, aus Glucose neue Fette und Lipide zu produzieren. Dabei spielt ein spezielles Enzym eine Schlüsselrolle: die Fettsäuresynthese (fatty acid synthase, «Fasn»). Wird sie in neuralen Stammzellen von Mäusen blockiert, können sich die Stammzellen nicht mehr teilen, die Zahl neugebildeter Nervenzellen sinkt.

Damit die Stammzellen aber nicht dauernd zur Teilung angeregt werden, gibt es auch einen Gegenspieler, der die Aktivität des Enzyms «Fasn» reguliert: «Spot14», ein Regulationsprotein. Diese Kontrolle über Fasn ist wichtig, um zu verhindern, dass sich Stammzellen zu häufig teilen und sich somit zu früh verbrauchen», erklärt Jessberger.

Überrascht haben die Forschenden aber auch festgestellt, dass neurale Stammzellen im Gegensatz zu ihren Tochterzellen und anderen sich teilenden Zellen des Nervensystems in einem grundsätzlich unterschiedlichen «metabolischen Zustand» zu sein scheinen. Das heisst, dass Stammzellen und sich teilende Zellen unterschiedliche Stoffwechsel haben.

Die sich teilenden Zellen decken ihren Bedarf an neuen Fettsäuren hauptsächlich über das Blut, Stammzellen dagegen synthetisieren die grossen Moleküle selbst, wie die Gruppe jetzt herausfand. Die Fettsäuren sind wichtig für die Struktur von Zellmembranen, für die Signalübertragung und als Energiespeicher.

Möglicher Angriffspunkt für neue Medikamente

Die von der Jessberger-Gruppe publizierten Resultate liefern einen neuen Angriffspunkt, um zum Beispiel bei Depressionen, welche die adulte Neurogenese vermindern, die Teilung von Stammzellen im erwachsenen Gehirn medikamentös anzuregen.

«Zunächst müssen wir aber sehr viel detaillierter verstehen, warum die Stammzellen in diesem besonderen metabolischen Zustand sind», sagt Marlen Knobloch, Postdoc in der Jessberger-Gruppe und Erstautorin der Studie. Die Forschenden haben deshalb zurzeit im Labor Experimente laufen, bei denen sie die Zahl der neugebildeten Nervenzellen durch gezielte Manipulation des Lipidstoffwechsels zu verändern, respektive zu erhöhen versuchen.

Simon Braun, Co-Erstautor der Studie, dämpft allzu hohe Erwartungen an die schnelle Entwicklung neuer Medikamente: «Dennoch hoffen wir, die Zahl neugebildeter Nervenzellen durch gezielten Eingriff in den Fettstoffwechsel auch im menschlichen Hirn erhöhen zu können und damit Leid zu mildern.»

An der vorliegenden Arbeit waren mehrere Institutionen beteiligt. Neben der Universität Zürich und der ETH Zürich waren auch die EPFL Lausanne und verschiedene Gruppen aus dem Ausland involviert. Sebastian Jessberger selbst war bis August diesen Jahres Assistenzprofessor am Institut für molekulare Gesundheitswissenschaften der ETH Zürich. Nun leitet er als Professor eine Gruppe am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich.