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«Es gibt keine Steuerung durch eine Instanz des Bösen»

Das scheinbar so schrankenlose World Wide Web steckt voller unsichtbarer Grenzen. Es kursiert die These, dass das Internet uns gar nicht die grosse weite Welt eröffnet, sondern dass wir Surfer in Wirklichkeit in einen Spiegel schauen. Medienwissenschaftler Michael Latzer nimmt im Interview differenzierend zu dieser These Stellung.
Interview: Marita Fuchs

Michael Latzer: «Das Internet nicht blauäugig nutzen.»
Herr Latzer, es gibt die Befürchtung, dass das personalisierte Internet mittels Algorithmen darüber bestimmt, wo wir wohnen, wie wir essen, was wir kaufen und wen wir lieben. Stimmt das?

Meiner Ansicht nach sind diese Behauptungen zu pauschal. Es werden uralte Ängste gegen eine als undurchschaubar erlebte Technik geschürt. Zudem sollte man bedenken, dass sämtliche Medien ein Zerrbild der Wirklichkeit liefern. Solange wir zwischen verschiedenen Medien und Inhalten auswählen können, sehe ich kein Problem. Und man muss wissen, dass Suchmaschinen nicht alles finden, was im Netz vorhanden ist. Eine Selektion liegt immer vor.

Ich sehe im Internet ein riesiges Potential, das uns Informations- und Interaktionsmöglichkeiten bietet, von denen wir vor Jahren nur geträumt haben. Wichtig ist es jedoch, das Internet nicht blauäugig zu nutzen.

Ist es mittlerweile nicht so, dass Suchmaschinen vorhergehende Eingaben speichern und mir bei der nächsten Suche darauf abgestimmte Vorschläge anbieten?

Ja, und das macht in Grenzen auch durchaus Sinn! Wir suchen ja nichts, was nichts mit uns zu tun hat und unseren Werten oder Präferenzen widerspricht. Eine Suche auf die Person abzustimmen, scheint mir in gewissem Masse durchaus sinnvoll, um die Informationsflut zu bewältigen.

Ich als Suchende fühle mich aber manipuliert, weil ich nicht weiss, was die Suchmaschine macht und nach welchen Kriterien sie meine Suche ausrichtet.

Das stimmt, aber Sie wissen auch nicht, nach welchen Kriterien Zeitungen oder das Fernsehen Inhalte anbieten. Und im Internet können sie ganz einfach mit unterschiedlichen Suchmaschinen arbeiten. Darüber können Sie Informationen auch via Onlinelexika, Twitter, Blogs, Sozialen Netzwerken, Onlinezeitungen und vielem mehr beziehen.

Ein Problem sehe ich eher darin, dass auf dem Suchmaschinenmarkt, aber auch bei anderen Online-Quellen,eine hohe Konzentration stattfindet. 80 bis 90 Prozent der Internet-User nutzen ausschliesslich Google. Man muss wissen, dass Google diese Daten speichert und nutzt. Letztlich geht es darum, Medienkompetenz zu entwicklen und herauszufinden, wie und wo man sich am besten seine Informationen besorgt ohne einem Anbieter zu viele Informationen von sich preiszugeben.

Selbst Internetprofis wissen nicht, wie die Algorithmen hinter den Suchmaschinen tatsächlich arbeiten.

Die Forderung, dass die Suchmaschinenanbieter mehr Transparenz zeigen, hat einen Haken: Falls die Anbieter alle Karten offen legen und ihren Algorithmus aufzeigen, würden alle Webseitenbetreiber versuchen, ihre Webseiten darauf zu optimieren, denn alle wollen in der Reihenfolge der Suchergebnisse ganz oben aufgeführt werden.

Die Suchmaschinenanbieter wollen jedoch nach eigenen und möglichst funktionalen Kriterien die Reihenfolge von Suchergebnissen bestimmen. Sie dürfen Ihre Kriterien nicht im Detail veröffentlichen, ansonsten würde das System ausgehebelt.

Und ausserdem muss nicht jeder technische Prozess bis ins Detail transparent sein. Das ist ja bei anderen Techniken auch nicht so. Wenn man etwas anderes will, gibt es im Netz auch andere Möglichkeiten. Dazu muss man jedoch bereit sein, sich mit dem Medium Internet auseinandersetzen und alternative Möglichkeiten zu suchen.

Wo sehen Sie denn die Gefahren des Internets?

Eine Gefahr sehe ich in einer zu starken Konzentration. Die Tendenz dazu zeichnet sich im Suchmaschinenbereich oder im Bereich der sozialen Netzwerke wie Facebook ab. Diese elektronischen Gemischtwarenläden sammeln Benutzerdaten aus mehreren Bereichen. Zum Beispiel können Sie via Google YouTube-Filme anschauen, im Internet surfen, auf Google-Maps geografische Daten orten und ihren Mail-Verkehr abwickeln. Alle diese Daten, persönliche und geschäftliche, können vom Betreiber kombiniert werden. Für die Firmen sind die Daten wertvoll, sie können teuer verkauft werden. In diesem Bereich sehe ich von gesellschaftlicher und politischer Seite einen dringenden Handlungsbedarf. Die Daten müssen geschützt werden.

Welche Massnahmen schlagen Sie vor?

Staatliche Regulierung allein reicht nicht, weil es sich um ein globales Problem handelt. Wenn aber staatliche Interventionen zu langsam greifen, so müssen sich andere Akteure um die Regelsetzung kümmern. Konzepte wie Selbstregulierung, also Arrangements, bei denen sich die zu regulierende Branche selbst Regeln auferlegt und für deren Einhaltung sorgt oder Co-Regulierung, bei der sich der Staat an der Selbstregulierung beteiligt, scheinen mir wichtig und notwendig.

Kann das funktionieren, Firmen sind doch auf Profit aus?

Diese Firmen sind grundsätzlich daran interessiert, ihre Reputation zu wahren. Deshalb sind sie auch bereit, Verhaltenskodizes zu entwickeln, die sie sich selbst auferlegen, im besten Fall unterstützt durch staatliche Rahmenbedingungen.

Ein Beispiel: Bei der Einführung von «Google +» hat die Firma verkündet, dass sie mehr Wert auf den Datenschutz legen wird. Kurz danach zog Facebook nach.

Könnte die Technik hinter dem Internet in Zukunft zu einem eigenen Akteur werden?

Das Zusammenspiel von Technik, Ökonomie und Politik im Internet ist typisch für komplexe Systeme. Doch entgegen Unkenrufen gibt es keine zentrale Steuerung des Bösen. Das Internet ist nicht von einzelnen Akteuren zentral steuerbar. Und genau dieser Umstand macht es zu einer Innovationsmaschine.

Weiterführende Informationen

Veranstaltungshinweis

Prof. Miriam Meckel

Total Recall - wie das Internet unser Denken und Leben verändert

Donnerstag, 1. März 2012, 18:15 Uhr bis 19:30 Uhr, in der Aula der UZH