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Knatternd landet ein Hubschrauber. Eine Hochschwangere presst schmerzverzerrt die Hände auf den Bauch und taumelt zum Krankenhauslift. Doch sie hat Glück: Im letzten Moment kann die Sturzgeburt im Klinikfahrstuhl noch verhindert werden. George Clooney, heldenhafter Kinderarzt in der Notaufnahme, rettet das Kind. Happy End im «Emergency Room».
Doch so wie in der bekannten und oft kopierten amerikanischen TV-Serie geht es in wirklichen Notfallaufnahmestellen nicht zu und her. «Das Klischee von den allwissenden Koryphäen auf der Notfallstation ist falsch», sagt UZH-Professor Edouard Battegay. An einem Vortrag des «Zentrums für Integrative Humanphysiologie» gab er Einblicke in die Arbeit am Universitätsspitals Zürich. Battegay ist neben seiner Lehrtätigkeit Direktor der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin am USZ und damit auch Leiter des medizinischen Teils der Notfallstation in Zürich. Die medizinische Versorgung – vor allem im Notfall – sei echte Teamarbeit, betonte er. «Helden sind fehl am Platz».
Von den Notfallpatienten des USZ werden 75 Prozent ambulant behandelt und 25 Prozent stationär. Diese Verteilung schwankt nicht, sie ist seit etwa zehn Jahren gleich konstant geblieben. Dagegen nimmt jedoch die Zahl der Patienten ständig zu.
Die Notfallstation des USZ wurde ursprünglich für 20'000 Patienten pro Jahr gebaut. Heute jedoch suchen doppelt so viele die Station auf. Das führt zu räumlicher Enge, und verursacht Stress. «Manchmal ärgern sich einzelne Patienten, dass sie nach einer Erstbeurteilung durch eine Pflegefachperson keine hohe Dringlichkeit zugeordnet erhalten», weiss Battegay. Doch das Prinzip sei einfach: die schweren Fälle werden zuerst behandelt.
Auch wenn es im Notfall oft schnell gehen muss, gehört zur Diagnose Zeit. «In der Notsituation», sagte Battegay, «bevor die ganze Kettenreaktion von Untersuchungen ausgelöst wird, muss sich ein erfahrener Arzt Zeit nehmen und mit dem Patienten reden. Schlechte Kommunikation führt zu falschen Diagnosen und sinnlosen Behandlungen». Deshalb sei es besser, zwei mal statt einmal nachzufragen.
Das Vier-Augen-Prinzip sorgt in der Notfallstation am USZ dafür, Fehler in der Diagnose zu vermeiden. Manchmal stellt sich dann heraus, dass hinter einer scheinbaren Bagatelle eine lebensbedrohliche Krankheit steckt.
So etwa bei einem 33-jährigen Patienten, der vor kurzem in den Notfall kam und über Husten klagte. Dem Husten war etwas Blut beigemischt. Die Untersuchung des Patienten erbrachte normale Werte, das Röntgenbild zeigte jedoch einen kleinen Schatten auf der Lunge. Radiologen, Internisten und Lungenspezialisten überlegten gemeinsam, ob es sich um eine Lungenentzündung, eine Autoimmunkrankheit oder Tuberkulose handeln könnte. Tuberkelbakterien konnten bei ersten Untersuchungen nicht eindeutig nachgewiesen werden. Gleichzeitig ist es aber erst mit weiteren, zeitintensiven Untersuchungen möglich, Tuberkelbakterien mit Sicherheit auszuschliessen. Die Ärzte entschieden sich deshalb dafür, den Patienten vorsorglich zu isolieren, denn TB ist höchst ansteckend.
In der Nacht nach der Aufnahme erbrach der Patient viel Blut, er musste sofort operiert werden. Weitere Untersuchungen zeigten Tuberkelbakterien. Die Entscheidung, den Patienten zu isolieren, die dank Teamarbeit und Rat von Fachspezialisten zustande gekommen war, hatte sich als richtig herausgestellt.
Besonders anspruchsvoll ist die Betreuung multimorbider Patienten, solchen also, die mehrere Krankheiten haben. Sie reagieren oft anders auf Arzneimittel als Personen mit einer einzelnen Krankheit. Achtzig Prozent aller Personen, die in den medizinischen Notfall zur stationären Aufnahme kommen, sind multimorbid. Battegay nannte als Beispiel einen 81-Jährigen mit einer Herzkranzerkrankung, einer leichten Demenz und Blutarmut. Der Mann, dessen Frau vor vier Jahren verstorben war, litt zudem unter einer Depression, hatte viel abgenommen und wirkte sehr vereinsamt. In solchen Fällen gilt es, sehr genaue Ursachenforschung zu betreiben.
Während Battegay im grossen Hörsaal des Careums spricht, hört man Rega-Helikopter über das Gebäude hinweg fliegen. «Schwerverletzte oder Patienten mit akuten Herzinfarkten müssen so schnell wie möglich ins Spital gebracht werde, um Spätfolgen zu vermeiden», erklärt Battegay. Im Schockraum der Notfallstation würde sich jetzt in diesem Moment ein Team von Spezialistinnen und Spezialisten zusammenfinden, um die Patienten in Empfang zu nehmen. Solche Momente seien tatsächlich filmreif. Auch in Zürich. Und auch ohne George Clooney.