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Religionswissenschaft

«Gott ist wie eine Mama»

Wie erklären sich Kinder den Himmel? Petra Freudenberger-Lötz von der Universität Kassel zeigte auf dem XIV. Europäischen Kongress für Theologie an der Universität Zürich, dass Kinder und Jugendliche je nach Entwicklungsstand konkrete Gottesvorstellungen haben, über die sie gern offen reden und diskutieren. Nur häufig fehle der richtige Gesprächspartner. 
Marita Fuchs

Die vierjährige Klara denkt sich die Welt in Stockwerken: Unten sind die Häuser, die Bäume, die Menschen, dann das Firmament und darüber der Himmel als Wohnort Gottes. «Dieses mythische, archaische Weltbild ähnelt demjenigen der ersten Kulturvölker», sagte die Kassler Theologieprofessorin Petra Freundenberger-Lötz auf dem XIV. Europäischen Kongress für Theologie der vom 11. bis 15. September an der Universität Zürich stattfand.

Freudenberger-Lötz erläuterte anhand von Klara exemplarisch die religiöse Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen. So beschreibt das Mädchen mit fünf Jahren Gott als ein Wesen mit grossen Augen, damit er alle Menschen sehen, grossen Ohren, damit er alle hören und vielen Mündern, damit er mit allen sprechen kann. In einer anderen Zeichnung stellt sie Gott als Frau dar. «Gott ist wie eine Mama», so Klara.

Kinderzeichnung: Gott ist im Himmel. Er hört alles, sieht alles und hat einen grossen Mund, damit er mit allen sprechen kann.

«Im Vergleich zur älteren Generation existiert das Bild eines strafenden Gottes bei den Kindern von heute kaum noch», sagte Freudenberger-Lötz. Die Theologin stützt sich bei ihren Aussagen auf umfangreiche empirische Studien zu Gottes- und Himmelsvorstellungen von Kindern und Jugendlichen an den Forschungsstätten in Karlsruhe und Kassel.

Gott ist im Mensch zuhause

Wichtig sei es, Gott ganz selbstverständlich in die Alltagskommunikation zu integrieren, rät Freudenberger-Lötz. Erwachsene seien bei den Gottesfragen oft überfordert oder übervorsichtig, während Kinder sich ganz natürlich zu Gott äussern. Das zeige beispielhaft folgende Gesprächssituation:

«Kai (3 Jahre) zeigt auf einen Gegenstand und fragt seine Mutter: «Was ist das?» Mutter: «Ein Brillenetui.»
Kai: «Warum?»
Mutter: «Da kommt die Brille hinein, wenn ich sie nicht trage. Das ist wie ein Zuhause für die Brille.»
Kai: «Und was ist das Zuhause für das Auto?»
Marvin (5 Jahre) etwas genervt: «Na, die Garage!»
Kai: «Und was ist das Zuhause für Gott?»
Mutter: «Das ist eine schwierige Frage, die kann ich dir so schnell nicht beantworten.»
Marvin: «Ich weiss es, der Mensch!»

Über die grossen Fragen sprechen

Anders als im Vorschulalter entwickeln Kinder im Alter von 9 bis 10 Jahren ein hybrides Weltbild. Sie stellen sich Gott nicht mehr als auf einer Wolke schwebend vor, wissen aber, dass Gott irgendwo da ist. Oder sie zweifeln ihn an; oft ausgedrückt durch die Frage: «Wenn ich Gott nicht erfahren kann, woher weiss ich dann, dass es ihn gibt?»

Gerade in dieser Entwicklungsstufe sei es wichtig, so Freudenberger-Lötz, dass Lehrer, Eltern oder andere Betreuer mit den Kindern in einen produktiven Dialog treten, um die grossen Fragen über das Leben zu diskutieren. Dazu gehöre bei den Lehrern zum Beispiel eine Professionalisierung in theologischer Gesprächsführung.

Zwischen naturalistischem Weltbild und Gottesglaube

In der Pubertät kommt es zu einer Ausdifferenzierung des Weltzugangs und der Gottesvorstellung. Manche Jugendliche wenden sich ganz einem naturalistischen Weltbild zu, während andere Fragen und Zweifel als Chance zur Weiterentwicklung sehen. So schreibt Klara mit 13 Jahren: «Also ich denke, dass es Gott gibt. Auch wenn es nicht wissenschaftlich belegbar ist. Und es ist ja nicht schlimm, wenn man Fragen hat.»

Auch wenn der naturalistische Zugang in der Pubertät überwiege, herrsche bei den Jugendlichen nicht einfach Desinteresse an religiösen Themen, stellt Freudenberger-Lötz fest. «Leider fehlen in der Regel die entsprechenden Gesprächspartner.» Diese zu stellen, sei eine der wichtigsten Herausforderungen der Religionspädagogik.