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Ringen um Palästina

Für eine Anerkennung – im Interesse Israels

In New York hat die 66. Uno-Vollversammlung begonnen. Zentrales Thema: Der voraussichtliche Antrag von Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, auf Anerkennung eines Staates Palästina. Zwar ist der genaue Wortlaut noch nicht bekannt, aber für den UZH-Historiker Hans-Lukas Kieser ist klar, die Dinge so zu belassen wie bisher, geht nicht. 
Hans-Lukas Kieser

Menahem Froman war im Sechstagekrieg ein Fallschirmjäger, dann Mitbegründer der Siedlerbewegung Gush Emunim. Er lebt heute in der Siedlung Tekoa und ist ein angesehener Rabbiner in Judäa und Samaria, der 1967 von Israel eroberten Westbank. Er hat kürzlich den palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas besucht und ihn öffentlich unterstützt im Begehren, Palästina durch die UN-Generalversammlung als Staat und Mitglied anzuerkennen. Daran koppelt er die Erwartung, den blockierten Friedensprozess wieder in Bewegung zu bringen. Froman steht nicht allein, aber er hat weder die Mehrheit der Siedler noch der Politiker in der Regierung, der Opposition oder der westlichen Staaten hinter sich.

Palästinensische Jugend: Werden sie bald in einem eigenständigen Staat leben?

Keine Zukunft

Ebenso wie manche politische Analytiker sieht er die israelische Zukunft abhängig von funktionierenden Beziehungen mit «normal» lebenden arabischen Nachbarn, Mitbewohnern und Mitbürgern. Amerikanische Waffen, westliche Beteuerungen und die israelische Armee können diesen Eckpfeiler israelischer Sicherheit nicht ersetzen. Auch die schweizerische Diplomatie weiss dies. Sie unterstützt daher seit bald zehn Jahren die Genfer Initiative. Insofern sie eine bisher schwächelnde, ungleiche Verhandlungskonstellation verbessert, liegt die Anerkennung Palästinas in deren Logik.

Es ist freilich möglich, die Dinge zu belassen oder – ob aus Angst, Gleichgültigkeit, Skepsis oder Kalkül – auf bestehende Blockaden oder gar einen apokalyptischen Clash zu setzen. Diese Haltung antizipiert die Radikalisierung von Akteuren. Auf jeden Fall können, solange eine Seite diskreditiert und herabgewürdigt bleibt, weder Beziehungen noch Verhandlungen weiter entwickelt werden. Die Herabwürdigungen vor Ort sind real: Den Angehörigen der schwächeren Seite werden seit Jahrzehnten dramatisch schlechtere Lebensbedingungen zugemutet; eine vernünftige Zukunftsplanung bleibt ihnen weitgehend verwehrt.

Rabbiner Menahem Froman unterstützt Palästina im Begehren um die Anerkennung als eigenständiger Staat.

Gegenseitige Blockade

Die internationale Diplomatie folgt seit zwei Jahrzehnten einem Prinzip, das bereits 1937 im Bericht von Lord Peel und 1947 im UN-Teilungsbeschluss artikuliert worden war: die «Zweistaatenlösung» für das Land zwischen Mittelmeer und Jordan in den Grenzen vor dem Sechstagekrieg. Auf arabischer Seite waren die böse Illusion, Israel zu vernichten und schwerwiegende strategische Fehler bis hin zur Kanterniederlage 1967 dafür verantwortlich, dass die Perspektive eines arabischen neben einem jüdischen Staat in den Hintergrund geriet.

Als Israel eine Position der Stärke erlangt hatte, wollte es seinerseits nichts mehr davon wissen – bis es in den 1980er Jahren von der ersten Intifada, Problemen der Besatzung und der eigenen, bis heute andauernden Ungewissheit darüber eingeholt wurde, was für ein Staat es eigentlich sein, welche Grenzen, was für eine Verfassung und welches Zivilrecht es haben wollte. Im Osloer Friedensprozess begann es sich, unschlüssig, auf das frühere Prinzip zurück zu besinnen.

Koexistenz historisch diskreditiert

Grundlegende – fragwürdige, neu bedenkenswerte – Weichen waren bereits in den 1910er Jahren gestellt worden. Nationalistische Akteure, darunter David Ben Gurion, der spätere «Vater» des jüdischen Staates, konzipierten damals die nachosmanische Welt als nationale Herrschaft ethnoreligiöser Gruppen über Territorien, nicht mehr als multireligiöse Koexistenz unter supra-ethnischer Staatlichkeit. Denn die spätosmanische Koexistenz war trotz der weitgehend demokratischen osmanischen Verfassung von 1908 nicht wirklich egalitär geworden. Sie war daher vom Balkan bis nach Palästina diskreditiert, zumal das jungtürkische Komiteeregime sie im Ersten Weltkrieg durch den Armeniermord negierte.

In grossen Teilen Mittel- und Osteuropas war dies in der Zwischenkriegszeit ähnlich: Ethnischer Nationalismus feierte Urstände. «Andere» auf dem Territorium der Mehrheit, wurden zu minderen Minderheiten gemacht – die europäischen Juden schliesslich zur Zielscheibe eines exterminatorischen Hasses.

In der Ära der Weltkriege konzipierte auch der europäische Zionismus, ob von links, so Ben Gurion, oder rechts, so Wladimir Zeev Jabotinsky, das «Projekt Israel» als einen Nationalstaat «fortschrittlicher» Juden zu Lasten «rückschrittlicher» arabischer Palästinenser. Ein partnerschaftlicher Aufbau erschien den meisten auf beiden Seiten unmöglich. Ben Gurion hatte immerhin erwogen, eine arabisch-palästinensische Staatlichkeit parallel zum Projekt des Zionismus zu unterstützen.

Erfolgserlebnis gefragt

Das, wofür damals die Ressourcen fehlten, wäre ihm heute plausiblerweise wünschbar, zumal es historisch verankert ist und der Zielsetzung seit Oslo entspricht. Ob Zweistaatenlösung oder am Ende ein daraus hervorgehendes föderales Gebilde im ehemals britischen Mandatsgebiet: Falls die Zielsetzung und Verhandlungen ernst gemeint sind, bedarf der schwächere Part eines domestizierenden Empowerments – des Erfolgserlebnisses, dass er Akteur, Staat und Mitglied, nicht Spielball, der Staatenwelt ist. Umso weniger ist er dann versucht, Rückendeckung bei unzuverlässigen «Freunden» zu suchen.

Man täusche sich nicht: Die palästinensische Jugend lässt sich nicht hinhalten. Und sie darf nicht der Ausweglosigkeit oder dem, was die Gewaltforschung einen (selbst)zerstörerischen tragic mind genannt hat, überlassen werden. Obgleich eine «Kopfnuss» für die jetzige Regierung, ist aufwertende Anerkennung im Interesse Israels. Sie ist auch im Sinne der schweizerischen Israel- und Palästina-Politik.

Falls der Antrag auf einen Staat Palästina konstruktiv formuliert ist und die Verpflichtung zu friedlicher Aushandlung einschliesst, hat die Schweiz keinen Grund, ihm nicht zuzustimmen. Rabbi Froman hat seine Bereitschaft erklärt, auch unter palästinensischer Hoheit in seiner Siedlung Tekoa bleiben zu wollen. Was zähle, sei die «Heiligkeit des Landes» und mit ihr ein respektvoller Umgang von Mensch zu Mensch zwischen aufgewerteten muslimischen, jüdischen und christlichen Partnern vor Ort.

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