Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Paläontologie

Das Supermeerschweinchen

Es war so gross wie ein Rhinozeros, lebte in küstennahen Feuchtgebieten und konnte rennen und schwimmen. Madeleine Geiger, Studentin am Institut für Paläontologie der Universität Zürich, geht in ihrer Masterarbeit den fossilen Spuren des skurrilen Urzeit-Tiers nach.
Alice Werner

Phoberomys pattersoni – «furchteinflössendes Nagetier» – trägt seinen Namen nicht umsonst: 1,30 m hoch, 3 m lang und bis zu 700 kg schwer, ist Phoberomys das wohl montröseste Meerschweinchen aller Zeiten. Ein urzeitliches Riesenbaby mit kräftigen Hinterbeinen und spitzen Schneidezähnen. Seine gewaltige Grösse scheint dem Dinosaurier unter den Nagern allerdings kaum Vorteile gebracht zu haben: Ausser ein paar Zähnen und Knochen ist heute nichts mehr von ihm übrig. Evolutionsbiologisch hatten die kleineren, flinkeren Nagetiere das Näschen vorn.

Gigant unter Giganten

Umso aufregender ist es für Madeleine Geiger, Masterstudentin am Paläontologischen Institut der Universität Zürich, den wenigen Spuren des Urviechs nachzugehen – auf südamerikanischem Boden. Urumaco im Norden Venezuelas ist ein Eldorado für Paläontologen und eine der bedeutendsten Fundstellen für Wirbeltierfossilien aus dem Miozän, der Zeit vor 24 bis 5 Millionen Jahren. Hier stiessen Forscher vor einigen Jahren auch auf das fast vollständige Skelett von Phoberomys pattersoni. Die Erforschung der spektakulären Knochenfunde ergab folgendes Bild: In Gesellschaft anderer riesenhafter Reptilien und Säugetier-Gigantomane lebte das Supermeerschweinchen am Uferrand seichter Lagunen und Flüssen. Pflanzenfressende Riesenfaultiere und vorsintflutliche Paarhufer, die äusserlich einer Kreuzung von Kamel und Pferd glichen, streiften durch die Gegend, in den Gewässern tummelten sich Krokodile, Seekühe und Riesenschildkröten. «Unter diesen Nachbarn», sagt Madeleine Geiger und lacht, «fiel Phoberomys gar nicht weiter auf.»

Die Studentin hat während einer Forschungsreise ihres Lehrstuhls die Grabungsgebiete rund um Urumaco besucht, im Handgepäck die wichtigsten Utensilien eines Paläontologen: Hammer, Lupe und Feldbuch. «Wir haben die Fundstellen einzeln abgeklappert», sagt Geiger tapfer, «aber leider nicht mal Knochensplitter gefunden.» So enttäuschend dies gewesen sein mag: «Es gibt genügend katalogisierte Fossilien, um die sich bislang kaum jemand gekümmert hat.» Das soll sich jetzt ändern: Nach einem zähen Marathon durch verschiedene Behörden vor Ort, «um den üblichen Papierkram zu erledigen», ist es der Exkursionsgruppe aus Zürich gelungen, Abdrücke der versteinerten Knochen sowie Originalfunde in die Schweiz einzuführen.

Madeleine Geiger auf Fossiliensuche in Urumaco.

Knochenanalyse

Anhand vergleichender Analysen der fossilen Oberschenkelknochen und über Analogien zum Knochensystem lebender Arten versucht Madeleine Geiger im Rahmen ihrer Masterarbeit nun mehr über diese riesenhafte Tierform mit den grossen Nagezähnen herauszufinden. «Zunächst geht es darum, die Verwandtschaft zu anderen Nagern zu überprüfen, vorhandene Erkenntnisse zu sichern, um dann Rückschlüsse auf evolutionäre Trends innerhalb der Meerschweinchenverwandten zu ziehen.»

Geiger stützt sich dabei auf wissenschaftliche Publikationen ihres Betreuers Marcelo Sánchez, Assistenzprofessor für Paläontologie an der Universität Zürich, der den Riesentieren seiner Heimat ebenfalls auf der Spur ist. Ihre eigenen Berechnungen, die sich aus verschiedenen Merkmalen gefundener Oberschenkelknochen – den häufigsten fossilen Überresten von Phoberomys pattersoni – ergaben, lassen die Vermutung zu: Vom urzeitlichen Nagetier existierten zwei Typen, ein gewichtiger und ein graziler. «Beim zierlichen Typus», erklärt die Studentin, «ist der grosse Trochanter, der Ansatz für die Gesässmuskulatur, weniger massiv ausgebildet.»

Phoberomys im CT

Knochenmessungen zur Schätzung des Körpergewichts bei Fossilien sind allerdings nie hundertprozentig genau: Unterschiede in der mechanischen Belastung des Skeletts beeinflussen das Längen- und Dickenwachstum der Knochen – unabhängig vom Gewicht des Tiers. Ein genaueres Mass ist die Dicke des Kortex, also des Knochengewebes, das den Hohlraum im Innern des Knochens umgibt, da die Menge an kortikalem Gewebe in direktem Zusammenhang mit dem tatsächlich zu tragenden Körpergewicht steht. Im Computertomographen liessen Madeleine Geiger und Marcelo Sánchez die ausgeführten Phoberomys-Knochen gründlich durchleuchten, um die Gewichtsschätzungen zu verifizieren.

Vermessen und durchleuchtet, circa 30 cm lang: Oberschenkelknochen von

Woher aber wissen die Paläontologen, dass die deutliche Gewichtsdifferenz zwischen dem robusten und grazilen Typus nicht auf Jung- beziehungsweise Erwachsenentiere zurückzuführen ist? Dies sei mit Sicherheit auszuschliessen, sagt Geiger, dazu habe sie die sichtbaren Wachstumsfugen an den Knochen analysiert. «Ungefähr zum Zeitpunkt der Geschlechtsreife verknöchern die verschiedenen Fugen vollständig, danach findet kein Längenwachstum mehr statt.» Die eindeutigen Verknöcherungszentren an den fossilen Knochen bedeuten also: Die beiden Phoberomys-Individuen waren der Kinderstube bereits entwachsen.

Eine Antwort, die viele weitere Fragen aufwirft: Wie schnell wuchs diese riesenhafte Tierform heran? Warum wurden einige Exemplare so schwer? Und warum starben sie vor ungefähr 5 Millionen Jahren aus? «Darüber existieren verschiedene Theorien», sagt die Studentin. «Man weiss leider noch verhältnismässig wenig über die frühe Tierwelt der Südhalbkugel.»

Madeleine Geiger, begeistert von der fast detektivischen Ermittlungsarbeit der Paläontologie, würde gern weitere Phoberomys-Fundstellen in Trinidad besuchen. Wer weiss, welche Sensationsfunde noch unentdeckt in den Felsformationen der tropischen Insel ruhen? «Um die Variabilität der Art besser zu erfassen», seufzt sie, «könnte ich tatsächlich noch ein paar Knochen gebrauchen.»