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UZH News: Am 21. Oktober 2009 fand an der Universität Zürich erstmals ein «Tag der Lehre» statt. Und im September machte das unijournal die Bologna-Reform zum Schwerpunktthema. Von den Studierenden kam wenig Resonanz. – Und jetzt diese Proteste. Waren Sie überrascht?
Rektor Andreas Fischer: Nein, überrascht war ich nicht, denn die Proteste in der Schweiz und damit auch in Zürich sind aus Wien und Deutschland zu uns herübergeschwappt; wir waren also vorgewarnt. Ich weiss nicht, ob es ohne den Anstoss von aussen zu Hörsaalbesetzungen gekommen wäre. Die Studierenden in der Schweiz sind grundsätzlich recht zufrieden: 2008 zeigte eine gross angelegte Umfrage, dass rund drei Viertel mit ihrem Studium «zufrieden» oder «sehr zufrieden» sind.
Es gibt Studierende, die sich beklagen, dass das Studium mit Bologna zu verschult geworden sei. Freiräume würden zubetoniert. Die Curricula seien überladen. In welchen Fächern sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Das Unbehagen mit der Bologna-Reform ist wahrscheinlich in den Geistes- und Kulturwissenschaften am stärksten, weil mit der Bologna-Reform die Studieninhalte dort im Vergleich zum Lizenziatsstudium stärker strukturiert worden sind. In anderen Fachbereichen wie etwa den Natur- oder den Wirtschaftswissenschaften gab es schon vorher eine starke Strukturierung. Dort wirkten sich die Neuerungen weniger stark aus. Die Strukturierung an sich ist eine gewollte Konsequenz der Reform. Die durchaus nötigen Anpassungen und Verbesserungen der Bologna-Reform sind vor allem Sache der einzelnen Fakultäten und Fächer.
Thema Arbeitsbelastung. Unter den vielen Prüfungen (je nach Fach rund ein Dutzend pro Semester) leiden nicht zuletzt der Mittelbau und die Professoren. Wäre weniger nicht mehr?
Mit jedem Modul ist auch eine Leistungsüberprüfung verbunden. Deren Form und Umfang ist jedoch nicht vorgeschrieben; es können Seminararbeiten, Referate oder Tests sein. Auch hier sind Anpassungen auf Fakultäts- und Fachbereichsebene möglich. Das Prüfungssystem ist ja nicht in Beton gegossen. Für Veranstaltungen mit hunderten von Teilnehmern (zum Beispiel Einführungs- und Übersichtsvorlesungen) sind schriftliche Prüfungen – häufig im Multiple-Choice-Verfahren – wohl kaum zu umgehen. Grundsätzlich bin ich dagegen, diese Prüfungsart zu verteufeln. Es gibt durchaus intelligente Tests mit diesem Verfahren.
Zum Thema Arbeitsbelastung ist auch zu sagen, dass man jetzt das volle Gewicht der Umstellung spürt, da mit Ausnahme der Medizin und der Veterinärmedizin alle Fakultäten die Bachelor- und die meisten auch die Masterstudiengänge eingeführt haben. Unabhängig von Bologna nimmt zudem die Zahl der Studierenden laufend zu.
Wo steht die Bologna-Reform an der Universität Zürich in zehn Jahren? Ihre Vision?
Ich stelle mir vor, dass man dann gar nicht mehr von der Bologna-Reform spricht, weil das neue System zur akzeptierten Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Studienpläne sollen den Studierenden Struktur, aber auch möglichst viele Freiräume bieten. Sie sollen die Kritikfähigkeit und das selbstständige Denken fördern und zur eigenen Forschung hinführen.
Anders als Ihr Vorgänger, Hans Weder, sind Sie gegen die Erhöhung von Studiengebühren. Weshalb?
Unser Bildungssystem ist öffentlich finanziert und soll möglichst allen zugänglich sein. Die geltenden Studiengebühren sollten meiner Meinung nach aus diesem Grund nicht erhöht werden. Bei einer substantiellen Erhöhung der Semesterpauschale müsste dafür gesorgt werden, vermehrt Stipendien und Darlehen anzubieten; den höheren Einnahmen stünden also neue Ausgaben gegenüber.
Der Kantonsrat wird in der kommenden Budgetdebatte über eine Verdoppelung der Semestergebühren von aktuell 640 Franken auf 1200 Franken diskutieren. Wie werden Sie sich einbringen?
Die Debatte steht kurz bevor. Da im Kantonsrat natürlich nur die Ratsmitglieder sprechen können, werde ich versuchen, meine persönlichen Kontakte zu den Kantonsräten zu nutzen und meine Meinung zu vertreten. Eine Präzisierung: Der Kantonsrat könnte zwar das Globalbudget der Universität kürzen (und die Universität aufforden, die Semestergebühren zu verdoppeln), die Semestergebühren werden jedoch vom Universitätsrat festgelegt.
Ein grosser Hörsaal der Universität Zürich sowie das Foyer West sind seit zehn Tagen besetzt. Ihr Angebot, den Studierenden einen hundertplätzigen Pavillon zur Verfügung zu stellen, falls die Besetzung beendet wird, steht weiterhin. Wie geht es weiter?
Wir benötigen den Hörsaal KOH B 10 und die zur Zeit geschlossene Aula dringend für den Lehrbetrieb. Ich habe den Protestierenden einen Raum in unmittelbarer Nähe des Kollegiengebäudes angeboten; für einzelne Veranstaltungen würden wir auch einen Hörsaal zur Verfügung stellen. Wenn sie es mit ihrem Ruf nach einem Raum für Diskussionen ernst meinen, sollten sie dieses Angebot annehmen.