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Soziologie

Parteilose springen ein

Die Parteien verlieren in den Gemeinden an Bedeutung. Wie eine Studie des Soziologischen Instituts zeigt, ist die Hälfte aller Gemeinderäte in der Schweiz inzwischen parteilos. Sie lehnen Parteien nicht ab, ziehen aber auf der Gemeindeebene die ungebundene Sachpolitik vor.
Adrian Ritter
Urs Meuli: wertet die schweizweit erste Gesamtbefragung der Gemeindeexekutiven aus.

Es ist schwieriger geworden, aber bis jetzt hat es die Gemeinde Trimstein im Kanton Bern noch immer geschafft, Kandidierende für den Gemeinderat zu finden. In der 500 Einwohner zählenden Gemeinde gibt es nur eine Partei, die SVP. «Doch sechs von sieben Mitgliedern des Gemeinderates sind parteilos», sagt Gemeindeschreiberin Lelia Arn Müller. Weil auch die SVP Mühe hat, in den eigenen Reihen Kandidaten zu finden, hilft sie mit, parteilose Interessierte zu suchen.

Erste schweizweite Erhebung

Dass in den Schweizer Gemeinden immer mehr Parteilose in der Regierung vertreten sind, bestätigen erste Ergebnisse einer Studie von Urs Meuli am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Erstmals wurden dabei alle 15'500 kommunalen Exekutivmitglieder der Schweiz befragt – unter anderem zu ihrem sozialen Hintergrund sowie ihrer politischen Einstellung und Tätigkeit.

Gegen 50 Prozent von ihnen gehören keiner Partei an. Das Phänomen ist vor allem in kleinen Gemeinden stark ausgeprägt. «In Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern sind politische Partien heute praktisch inexistent», so Meuli.

Nach den Motiven ihrer Parteilosigkeit gefragt, geben 50 Prozent an, die ihr zusagende Partei existiere in der Gemeinde nicht. 96 Prozent sind aber auch überzeugt: Gemeindepolitik funktioniert ohne Parteien ebenso gut. Zudem monieren die Parteilosen überdurchschnittlich häufig, die Parteien seien zu stark auf Konflikte statt auf die wirklichen Probleme der Gemeinde ausgerichtet.

Krise seit den 1980er Jahren

Die Zunahme der Parteilosen widerspiegelt die Krise der Lokalparteien, die in den 1980er Jahren begonnen hat, ist Meuli überzeugt. Der berufliche Aufstieg ging früher geradezu mit der Bürgerpflicht einher, in der Gemeinde ein politisches Amt zu übernehmen. Heute sind die Bürgerinnen und Bürger mobiler, flexibler und individualistischer.

Nicht die Karriere in einer Partei interessiere heute, sondern das konkrete, oft befristete Engagement für ein Anliegen wie die Tempo 30-Zone im eigenen Quartier. Parteien haben deshalb zunehmend Mühe, Mitglieder zu finden.

Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, Kandidatinnen und Kandidaten für ein längerfristiges Engagement wie den Gemeinderat zu finden – ob parteilos oder nicht. Parteigebundene und parteilose Gemeinderäte gleichen sich denn auch in vielerlei Hinsicht. Wer sich für das politische Amt zur Verfügung stellt, ist in der Regel verheiratet und hat Kinder und ist somit in der Gemeinde stärker verankert.

Die Parteilosen sind allerdings weniger lange in der Gemeinde wohnhaft. Rund die Hälfte von ihnen ist weniger als 20 Jahre in der Gemeinde anwesend – bei den Parteigebundenen beträgt dieser Anteil nur 30 Prozent.

Parteilose können zudem seltener auf eine politische Tradition in ihrer Familie zurückblicken. Eine solche kennen nur 30 Prozent der Parteilosen, aber 60 Prozent der Parteigebundenen.

Ideologie unerwünscht

Den Nutzen von Parteien stellen die parteilosen Exekutivmitglieder nicht grundsätzlich in Frage. 70 Prozent von ihnen können sich mit einer der Bundesratsparteien identifizieren. Parteien ja, aber bitte nicht in der Gemeinde, scheint das Motto zu lauten. Dass Parteilose vor allem keine Lust auf ideologische Streitigkeiten haben, darauf deutet auch die Tatsache hin, dass sie sich häufiger als die Parteigebundenen politisch in der Mitte stehend einordnen.

In Trimstein mit seinen sechs parteilosen Gemeinderäten stellt Lelia Arn Müller keine ideologischen Streitigkeiten fest: «An den Sitzungen des Gemeinderates dominiert die Sachpolitik.» 

Dass die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten immer schwieriger wird, erstaunt die Gemeindeschreiberin trotzdem nicht: «Der Arbeitsaufwand ist gross. Wenn ein Gemeinderat in seinem Ressort ein laufendes Geschäft hat, muss er mit bis zu fünf Sitzungen pro Woche zu rechnen.» So bleiben die Gemeinderäte in Trimstein nicht mehr wie früher zwölf und mehr Jahre im Amt, sondern durchschnittlich nur noch vier Jahre.