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«Die Studierenden sind nicht apolitisch»

Im November wird der Studierendenrat der Universität Zürich (StuRa) neu gewählt. Die Beteiligung an diesen Wahlen liegt seit Jahren regelmässig unter der 10-Prozent-Marke. Woher kommt diese Politikverdrossenheit der Studierenden? Und was kann Studierendenpolitik bewirken? Ein Gespräch mit dem aktuellen StuRa-Präsidenten Stefan Fischer.
Roger Nickl

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unipublic: Stefan Fischer, Anfang November finden die jährlichen Wahlen für den Studierendenrat der Universität Zürich (StuRa) statt. Wie laufen im Augenblick die Vorbereitungen auf diese Wahl?

Stefan Fischer: Soeben haben wir die Wahl-Ausschreibungen gemacht. Neben den Wahlen für den Studierendenrat findet dieses Jahr gleichzeitig auch die Wahl der Studierendenvertreterinnen und -vertreter für die Fakultätsversammlungen statt. Am 10. Oktober läuft die Kandidaturfrist aus. Danach werden wir die Wahlzeitung aufbereiten. Ab 5. November sind dann die elektronischen Urnen für die Studierenden geöffnet.

Was erwarten Sie von den bevorstehenden Wahlen?

Fischer: Wir erwarten ruhige Wahlen ohne grosse technische Probleme. Wahlen für über 24'000 Studierende zu organisieren, das ist für mich persönlich schon eine Herausforderung.

Apropos ruhige Wahlen: Die Gefahr, dass die Urnen Anfang November überrannt werden, ist relativ klein. Das Interesse an der Studierendenpolitik ist seit langem gering. Die Wahlbeteiligung liegt an der Universität Zürich oft unter der 10-Prozent-Marke und anscheinend ist es auch immer wieder schwierig genügend Kandidierende zu mobilisieren. Woher kommt dieses Desinteresse an der Studierendenpolitik?

«Wir müssen uns auf den Kampf um mehr Aufmerksamkeit einlassen.» Stefan Fischer, StuRa-Präsident.

Fischer: Die Studierenden sind sicher nicht apolitisch. Ich schätze, dass etwa ein Drittel der Studierenden reine Bildungskonsumenten sind. Sie haben nur ihren Abschluss im Sinn und interessieren sich nicht für Politik...

Dann müsste die Wahlbeteiligung also bei über 60 Prozent sein. Weshalb ist sie das dennoch nicht?

Fischer: Die Universität Zürich ist sehr gross und sehr dezentral. Und sie ist – mit ihren sieben Fakultäten und unzähligen Instituten – auch sehr heterogen. Das eigentliche Problem aber ist die Kosten-Nutzen-Frage. Heute dominiert selbst unter den Studierenden das ökonomische Denken. Die Frage, die sie sich stellen: «Wo bekomme ich für meine investierte Zeit am meisten zurück?» Dieses Denken mag seine guten Seiten haben. Der Studierendenpolitik ist es eher weniger zuträglich. Zudem herrscht heute an der Universität ein Informationsüberfluss. Die Studierenden werden mit Werbeprospekten und Flyern überflutet. Es wird auch für uns vom StuRa immer schwieriger potenzielle Wählerinnen und Wähler anzusprechen und dafür zu sorgen, dass unsere Arbeit wahrgenommen wird.

Was tun Sie gegen die Wahlabstinenz?

Fischer: Um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, müssen wir uns auf den Kampf um mehr Aufmerksamkeit einlassen. In diesem Jahr fahren wir eine relativ provokative Plakat-Kampagne. Sie besteht aus unterschiedlichen Sujets. Auf einem Plakat ist etwa ein Neo-Nazi abgebildet. Über ihm steht die Frage: «Soll er Dich in der Ethik-Kommission vertreten?» Zudem haben wir das Wahlprozedere vereinfacht.

Um das Engagement im Rat ganz allgemein zu fördern, gäbe es zudem verschiedene interessante Modelle. Beispielsweise könnte man im Curriculum festschreiben, dass die Studierenden neben Punkten für das Fachstudium auch solche für ein soziales, politisches oder kulturelles Engagement holen müssen. In Dänemark und einzelnen amerikanischen Universitäten wird dies schon seit längerer Zeit erfolgreich praktiziert. Ähnliches gibt es auch an der Universität St. Gallen.

In studierendenpolitischen Kreisen wird «Bologna» als Polit-Killer gehandelt. Weshalb soll das Studieren nach der «Bologna»-Reform ein studierendenpolitisches Engagement verhindern?

Fischer: «Bologna» ist kein Polit-Killer, das neue Studiensystem verhindert ganz einfach die Eigeninitiative für universitäres und ausseruniversitäres Engagement. Seit der Reform sind Vollstundenpläne üblich, die die Studierenden zeitlich viel stärker belasten. Aus der Medizinischen und der Vetsuisse-Fakultät kennen wir das schon länger, dort sind nur wenige Leute politisch aktiv. In den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften ist diese Tendenz auch festzustellen. Neu ist, dass auch in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen und seit neustem sogar in der Philosophischen Fakultät die Studierenden kaum mehr freie Zeit haben. Zudem arbeiten 80 Prozent der Studierenden. Viele treiben auch noch Sport. Für ein politisches Engagement bleibt da kaum noch Platz.

Sie haben sich trotz knapper Zeit für die Studierendenpolitik entschieden. Weshalb?

Fischer: Weil es mir Spass macht. Es sind interessante Aufgaben und das Umfeld stimmt. Ich habe mich ebenfalls schon früh für Politik interessiert und studiere heute auch Politikwissenschaft.

Was kann man denn als Studierendenpolitiker bewirken?

Fischer: Um ehrlich zu sein, können wir herzlich wenig bewirken. Wir haben das Recht auf Gehör und sitzen in vielen Gremien der Universität. Dort sind wir aber immer in der Minderheit, so dass unsere Stimme wenig Gewicht hat. Dennoch kann es eine starke symbolische Wirkung haben, wenn der StuRa zu einem Geschäft nein sagt. Ein konkretes Beispiel dafür ist der neue von einer Bank gesponserte «Award for Best Teaching»: Da war zuerst eine kleine Jury geplant zu der auch eine Alibi-Studierenden-Vertretung hätte gehören sollen. Wir haben schlussendlich durchsetzen können, dass die Studierenden im Gremium die Mehrheit stellen.

Was sind aus Ihrer Sicht studierendenpolitisch aktuell die drängendsten Probleme?

Fischer: Der allerwichtigste Punkt für die Universität Zürich ist die Verfassung der Studierendenschaft. Die verfasste Studentenschaft der Universität Zürich wurde 1978 per Regierungsratsbeschluss aufgelöst. Seither bewegen wir uns als StuRa quasi in einem rechtsfreien Raum. Wir haben keinen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Status. Faktisch können wir also keine Verträge unterschreiben. Zudem sind unsere finanziellen Mittel knapp. Im Rahmen einer verfassten Studierendenschaft könnten wir Mitgliederbeiträge erheben. Das würde unseren Handlungsspielraum enorm vergrössern.

Was würde eine verfasste Körperschaft den Studierenden bringen?

Fischer: Wir könnten vor allem Strukturen etablieren, die die Vernetzung und die Informationsflüsse verbessern. Beispielsweise die Studierenden über das breite Spektrum der kulturellen und sonstigen Angebote und Dienstleistungen informieren. Mit einer verfassten Studentenschaft im Rücken könnte der StuRa zudem studentische Interessen mit mehr Gewicht vertreten und sich effektiver für angemessene Betreuungsverhältnisse und mehr Qualität in der Lehre einsetzen. Es wäre uns dann auch möglich, selbst Dienstleistungen anzubieten.

In der Vergangenheit bestimmten Themen wie Mitsprache, Chancengleichheit und Gleichstellung die studierendenpolitische Diskussion. Spielen diese Themen heute keine Rolle mehr?

Fischer: Doch, sie sind nach wie vor wichtig. Man muss aber auch sehen, dass in diesen Bereichen Einiges erreicht wurde. Wie gesagt haben wir in vielen Gremien der Universität das Mitspracherecht. Wichtig wäre, wenn man diese Mitsprache künftig in Richtung Mitbestimmung ausbauen könnte. Auch punkto Gleichstellung ist noch nicht alles in bester Ordnung: Die Universitätsleitung ist durchgehend männlich und auch bei der Professorenschaft und im Mittelbau sind die Frauen nach wie vor krass untervertreten. Eine Mehrheit des StuRa ist aber der Ansicht, dass die Weichen punkto Gleichstellung gestellt sind und der Strukturwandel seine Zeit brauche. Ganz allgemein kann man sagen, dass von den Studierenden momentan keine revolutionären Forderungen zu erwarten sind: Dafür ist der Leidensdruck schlicht (noch) zu gering. Das wichtigste Thema momentan ist klar «Bologna». Hier muss sich erst noch zeigen, welches die längerfristigen Effekte sind.

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