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Traumata überwinden helfen

Die Universität Zürich bietet ab Herbst 2007 eine neue Weiterbildung in Psychotraumatologie an. Das europaweit einzigartige Angebot soll es Fachleuten ermöglichen, Patientinnen und Patienten mit posttraumatischen psychischen Störungen besser zu behandeln.
Adrian Ritter

Traumatische Erlebnisse wie schwere Unfälle oder lebensbedrohende Erkrankungen können zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Schon nach einer Kurzzeit-Psychotherapie geht es 70-80 Prozent der Betroffenen psychisch wesentlich besser. 

Der viersemestrige, praxisbezogene «Master of Advanced Studies (MAS) in Psychotraumatology» will Fachpersonen aktuelles Wissen zum Verständnis und zur Behandlung posttraumatischer psychischer Störungen vermitteln. Insbesondere werden die Teilnehmenden die wichtigsten traumatherapeutischen Verfahren kennen lernen. unipublic hat sich mit Prof. Ulrich Schnyder, Direktor der Psychiatrischen Poliklinik und Akademischer Leiter des neuen Weiterbildungsangebotes, über Traumata und die Möglichkeiten ihrer Behandlung unterhalten.

unipublic: Herr Schnyder, was ist ein Trauma?

Schnyder: Ein Trauma ist ein Erlebnis, welches einen Menschen in seiner Existenz oder in seiner körperlichen Integrität bedroht. Man schätzt, dass zwischen 50 und 90 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine solche Erfahrung machen. Es kann dies ein schwerer Unfall sein, die Diagnose einer lebensbedrohenden Krankheit, eine Naturkatastrophe, ein Überfall, eine Vergewaltigung oder aber beispielsweise Krieg und Folter.

Ein solches Erlebnis kann zu einer so genannten posttraumatischen Belastungsstörung, führen. Wie oft ist dies der Fall?

Weltweit gesehen entwickeln rund zehn Prozent aller Menschen, die ein Trauma erlebt haben, eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Betroffenen leiden an der ständig wiederkehrenden Erinnerung, vermeiden Situationen, die an das Trauma erinnern und haben Stresssymptome wie Schlaflosigkeit oder Schreckhaftigkeit. Oft ist eine Belastungsstörung verbunden mit anderen psychischen Erkrankungen wie etwa einer Depression.

Welche Faktoren spielen mit, ob jemand nach dem Trauma unter einer solchen Störung leidet oder nicht?

Das hängt einerseits von der Art des Traumas ab. Ein einmaliges, plötzliches Ereignis wie ein Unfall ist seltener traumatisierend als ein wiederholendes Geschehen wie Folter oder sexueller Missbrauch. Die Forschung hat zudem gezeigt, dass eine Störung häufiger auftritt, wenn das Trauma mit einer körperlichen Verletzung verbunden ist. Zu den Risikofaktoren gehören auch fehlende soziale Unterstützung und das Geschlecht. Frauen entwickeln doppelt so häufig eine posttraumatische Störung. Die Gründe dafür sind nicht restlos geklärt, allenfalls spielt mit, dass Frauen häufiger von sexuellem Missbrauch in der Kindheit betroffen sind und deshalb später anfälliger sind für posttraumatische Störungen.

Prof. Ulrich Schnyder ist Akademischer Leiter des neuen MAS in Psychotraumatologie und Direktor der Psychiatrischen Poliklinik. Die Poliklinik besitzt eine Spezialsprechstunde für posttraumatische Belastungsstörungen und  ein Ambulatorium für Kriegs- und Folteropfer.

Wenn Krieg und Folter traumatisierend sind, scheint es eine wichtige Rolle zu spielen, in welchem Land man lebt.

Ja, es gibt im internationalen Vergleich beachtliche Unterschiede. Interessanterweise ist in der Schweiz sowohl die Häufigkeit von Traumata wie auch der Anteil der danach entwickelten Störungen unterdurchschnittlich. Wir schätzen, dass in unserem Land ohne Kriegsveteranen und mit einer eher tiefen Kriminalitätsrate rund 30 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens ein Trauma erleben.

Aber auch der Anteil der posttraumatischen Störungen liegt tiefer als im weltweiten Durchschnitt. Wir haben beispielsweise Unfallopfer auf Intensivstationen untersucht und festgestellt, dass nur vier Prozent von ihnen später eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelten. Das ist im internationalen Vergleich ein sehr tiefer Wert.

Wie lässt sich das erklären?

Es könnte mit der Grösse der Schweiz zusammenhängen. In einem kleinräumigen Land sind beispielsweise die Wege ins nächste Spital kürzer, was einen Unfall weniger traumatisierend macht. Zudem sind das Gesundheitswesen und der Versicherungsschutz gut ausgebaut. All dies könnte präventiv wirken, indem sich Trauma-Betroffene weniger ausgeliefert und alleingelassen fühlen.

Der neue Weiterbildung in Psychotraumatologie ist eng mit der Psychiatrischen Poliklinik verbunden, weil hier Behandlungen von posttraumatischen Störungen stattfinden. Wie sieht diese Behandlung aus?

Wir haben einerseits die Spezialsprechstunde für posttraumatische Belastungsstörungen und andererseits das Ambulatorium für Kriegs- und Folteropfer. Eine typische traumatherapeutische Behandlung umfasst 16 Sitzungen in wöchentlichen Abständen. Wir arbeiten mit verschiedenen Formen von Psychotherapie und wenn nötig mit Medikamenten wie Antidepressiva. Nützlich kann aber beispielsweise auch eine zusätzliche Physio- oder Bewegungstherapie sein, etwa wenn ein Trauma auch körperliche Schmerzen hinterlassen hat.

Inwiefern kann Psychotherapie bei posttraumatischen Störungen helfen?

Die Erfolgsquote ist relativ hoch. Zwischen 70 und 80 Prozent der Betroffenen geht es schon nach einer Kurzzeittherapie psychisch wesentlich besser. Als wirksam haben sich vor allem kognitive Verhaltenstherapien erwiesen. In einer Psychotherapie mit Trauma-Opfern geht es zunächst darum, zwischen Patient und Therapeut Vertrauen aufzubauen. Das Trauma kann nämlich menschliche Grundannahmen zerstören, was etwa deutlich wird, wenn ein Folteropfer sagt: «Ich habe das Vertrauen in das Gute im Menschen verloren.» In einem nächsten Schritt erfolgt die so genannte «Exposition», die Betroffenen setzen sich mit dem Erlebten auseinander.

Mit dem Ziel, dass die quälende Erinnerung daran aufhört?

Ziel der Behandlung kann es nicht sein, das Trauma vergessen zu machen - das ist unmöglich. Es geht vielmehr darum, dass der Betroffene der Erinnerung nicht mehr hilflos ausgeliefert ist. Das Schlimmste an einem Trauma ist nämlich der dabei erlebte Kontrollverlust. Bei der Belastungsstörung tritt wiederum ein Kontrollverlust ein, indem die Erinnerung unkontrolliert immer wieder zum Erlebten zurückgeht.

Ziel der Behandlung ist es deshalb, dass der Betroffene lernt, die Erinnerung zu steuern. Das erreicht er zum Beispiel, indem er sich vorstellt, das Trauma als Film auf einer Leinwand zu sehen, dabei aber die Fernbedienung in der Hand zu halten und den Film anhalten zu können.

Die Weiterbildung in Psychotraumatologie wird verschiedene psychotherapeutische Verfahren vermitteln. Dabei scheint es einige neue Ansätze zu geben?

Ja, ich erwarte mir davon in den nächsten Jahren wichtige Impulse, etwa bei der Behandlung schwerer Traumatisierungen und bei Patienten, die auf die bisherigen Therapien nicht ansprechen. Um beim Start der neuen Weiterbildung Psychotraumatologie im Herbst auf dem neuesten Stand zu sein, werde ich im Rahmen eines Sabbatical in den nächsten Monaten diverse Projekte der Forschung und Therapie im Ausland besuchen.

Was interessiert Sie dabei besonders?

Nicht nur betreffend psychotherapeutischer Methoden gibt es neue Ansätze. Auch die neurobiologische Forschung liefert neue Erkenntnisse, etwa bezüglich der individuellen Anfälligkeit auf posttraumatische Störungen oder darüber, welche Personen auf welche Therapie gut anspricht.

Hilft beim Erkennen, welche Erinnerungen besonders belastend sind oder beim Erlernen von  Verfahren der Entspannung: «Biofeedback» macht körperliche Reaktionen wie Muskelspannung, Puls oder Atmung auf dem Bildschirm sichtbar. 

Welche Forschung findet an der Psychiatrischen Poliklinik selber statt?

Wir untersuchen einerseits die Wirksamkeit der angewandten Psychotherapie. Andererseits testen wir neue Medikamente, welche die Therapie unterstützen sollen sowie neue Ansätze wie das Biofeedback. Das Ambulatorium für Kriegs- und Folteropfer arbeitet seit neuestem mit dieser Methode. Sie macht dem Patienten körperliche Reaktionen sichtbar, indem beispielsweise Puls oder Muskelspannung auf einem Bildschirm sichtbar gemacht werden.

Dadurch kann der Patient erkennen, welche Erinnerungen für ihn besonders belastend sind und körperliche Reaktionen hervorrufen. Zudem kann das Verfahren helfen, Techniken der Entspannung zu erlernen, indem man direkt auf dem Bildschirm sieht, ob es funktioniert. In einer weiteren Studie an der Psychiatrischen Poliklinik befragen wird die Schweizer Tsunami-Überlebenden hinsichtlich allfälliger posttraumatischer Störungen.