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Jenseits von (ausschliesslich) Gut und Böse

Was haben Islam, Terrorismus und Globalisierung miteinander zu tun? Nichts, könnte man provokativ antworten, denn jede Religion birgt neben Gutem auch das Potential für Terror und Welteroberungs-Gelüsten in sich.
Brigitte Blöchlinger

«Islam, Terrorismus und Globalisierung - islamische Antworten auf globale Probleme» hiess (zu) viel versprechend der Vortragsabend letzten Dienstag, 28. Januar, am Theologischen Seminar in Zürich. Geladen waren der Islamwissenschaftler Dr. Rüdiger Seesemann (Universität Bayreuth) und als Koreferent der Religionswissenschaftler Professor Christoph Bochinger (Universität Zürich). Das Publikum erschien zahlreich und bestandzur Hauptsache aus westlichen Christen, die Muslime waren in der Minderzahl. So blieb die Veranstaltung leider eine Art «Heimspiel» und trotz des politischen Titels weitgehend dem akademischen Diskurs verhaftet.

«Die Unterschiede zwischen der christlichen und der islamischen Kultur sind nicht unüberwindbar.»

Keine Antworten ...

Statt der versprochenen «islamischen Antworten auf die globalen Probleme» thematisierten die Referenten vor allem die vorurteilbehaftete Haltung sowohl des Westens als auch des Orients gegenüber der je anderen Religion. Rüdiger Seesemann nahm als Ausgangspunkt seiner Überlegungen, wie nicht anders zu erwarten war, den 11. September 2001, jenen Terroranschlag auf das World Trade Center in New York, der zum Symbol des «Clash of Civilisations» wurde. Seit diesem Datum wird der Islam vom Westen verstärkt als terrorbereit und inkompatibel mit den Werten des Abendlandes wahrgenommen.

... stattdessen Hinterfragen der Vorurteile

Doch die Geschichte zeige, führte Seesemann weiter aus, dass die Konfrontation zwischen Morgen- und Abendland nichts Neues darstelle, ebensowenig die Auseinandersetzungen um die «Globalisierung» - einen extrem dehnbaren Begriff. Denn in Zusammenhang mit dem Islam kommt dem Westen beim Begriff Globalisierung vor allem «weltweit verübte terroristische Anschläge» und gewaltsame «Verislamisierung» der Welt in den Sinn.

«Globalisierung»: Schreckgespenst für alle

Handkehrum seien Terrorismus und Globalisierung auch die zentralen Kritikpunkte vieler Muslimean der westlichen Ideologie. Für Muslime sei «Globalisierung» zur Metapher für die amerikanische Dominanz und deren weltweiten Hegemonieanspruch geworden. Das alte muslimische Vorurteil, dass das Abendland nach darwinistischen Prinzipien funktioniere und ohne moralische Rücksicht auf die Schwachen nur am Erfolg der «Fittesten» interessiert sei, werde durch die aktuelle Politik der USA noch bestärkt. So habe der Islam zum Gegenmodell der westlichen Ideologie werden können; er stelle für gläubige Muslime eine gottgewollte gerechte Ordnung für alle, auch die Benachteiligten, dar und stehe generell für religiöse und moralische Werte, während der Westen nur Materialismus, Kapitalismus und Darwinismus anbiete.

Das zahlreich erschienene Publikum im Theologischen Seminar der Universität Zürich.

Unterschiede überwindbar

Doch die allermeisten Muslime lehnten Gewalt und Terrorismus als Mittel, den Islam weltweit durchzusetzen, ab, führte Seesemann weiter aus. Und obwohl sich die verschiedenen Religionen und ihr kultureller Hintergrund voneinander unterschieden, seien die Unterschiede nicht unüberwindbar. Das grösste Problem liege momentan in der radikalisierten gegenseitigen Wahrnehmung. Zur Zeit werde die Inkompatibilität von Orient und Okzident betont und der «Clash of Civilisations» auf beiden Seiten geradezu heraufbeschwört.

Verzerrte Wahrnehmungen aufweichen

Zur Anschaulichkeit legte Seesemann zwei Extrempositionen dar: zum einen die hasserfüllten Ausfälligkeiten gegen den Islam der italienischen Journalistin Oriana Fallaci in deren Buch «Die Wut und der Stolz» und zum andern die nicht minder hassgetränkten Attacken Osama Bin Ladens gegen die Juden und die «Kreuzritter». Als dritten Weg präsentierte Seesemann die versöhnliche Position des zum Islam konvertierten Deutschen Hadayatullah Hübsch, der den «heiligen Kriegern» die Berechtigung abspreche, sich auf den Islam zu berufen, den dieser sei im Grunde friedliebend und tolerant; den verblendeten Fanatikern müsse als Gegenrezept zum Terrorismus klar gemacht werden, dass sie einer völlig falschen Auslegung des Koran aufsässen.

Seesemann schloss seinen Vortrag mit der Quintessenz, dass nicht der Islam an sich das Problem sei, sondern die Wahrnehmung davon bzw. die Verallgemeinerung von islamistischen Extrempositionen auf die ganze Religion. Jeder müsse sich in seinem Umfeld für die Entzerrung und Entflechtung der Reizwörter Islam, Globalisierung und Terrorismus einsetzen.

«Jede Religionsgemeinschaft hat das Recht, sich selbst zu definieren.»

Das Böse in der Religion

Koreferent Christoph Bochinger erörterte erst den neu eingetretenen Umstand, dass Religionswissenschaftler wie er sich plötzlich dazu aufgefordert sähen, sich zur Problematik Religion und Gewalt zu äussern. Bisher seien Wissenschaft und Politik von der Integrationsfunktion der Religion ausgegangen, seit kurzem müssten sie sich dem Potential des Bösen stellen, das in jeder Religion stecke. Wenn nun westliche Politiker nach dem 11. September 2001 nach anfänglichen verbalen Ausrutschern in eine «philoislamische» Haltung verfielen, so müssten sie aufpassen, nicht einfach einer billigen «political correctness» zu huldigen, die nichts anderes als geistiger Kolonialismus mit umgekehrten, «wohlwollenden» Vorzeichen sei. Es gehenicht an, dass einmal mehr Menschen im Westen darüber befänden, was der Islam eigentlich sei - ob nun gut oder böse -, und mit dieser herablassenden Haltung die Moslems ein weiteres Mal bevormundeten.

Auseinandersetzung unter Gleichberechtigten

Jede Religionsgemeinschaft habe das Recht, sich die eigene Kultur und Identität selbst zu erschaffen. Und jede Religion berge in sich dunkle Seiten. Selbst romantisch oft verklärte wie der Buddhismus oder der Hinduismus. «Ich denke, man muss sich von der Vorstellung lösen, dass Religion automatisch etwas Gutes ist», sagte Bochinger. «Alle grossen Religionen haben ein Potential zum Guten, aber auch ein erhebliches Potential zum Bösen.» So führe kein Weg an einer intensiven Auseinandersetzung unter den Religionen vorbei.