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State of Asia

Architektur des Vertrauens

Der designierte, aber nie eingesetzte Premierminister Thailands, Pita Limjaroenrat, sieht Südostasien als die aufstrebende Region der Welt. Was das für die globale Wirtschaft und Politik bedeutet, erläuterte er in der jährlich stattfindenden State-of-Asia-Rede an der Universität Zürich.
Theo von Däniken, UZH News

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Für Pita Limjaroenrat haben die Länder Südostasiens gute Voraussetzungen, um künftig auf der Weltbühne eine gestaltende Rolle zu spielen. (Bild: André Hengst)

Wäre er als Premierminister Thailands in die Schweiz gekommen, dann hätte er gerne für sein Land von den Dingen gelernt, in denen die Schweiz gut sei. Zum Beispiel, wie sie in den Life Sciences Forschung und Industrie verknüpfe, sagte Pita Limjaroenrat vergangene Woche in der vollbesetzten Aula der Universität Zürich.

Limjaroenrat hatte 2023 mit seiner Partei die Parlamentswahlen in Thailand deutlich gewonnen. Die Abgeordneten – unter ihnen zahlreiche vom Militär bestimmte Mitglieder des Senats– verweigerten ihm aber die Wahl zum Premierminister. Das Verfassungsgericht entzog ihm später sogar für zehn Jahre das Recht, sich in Thailand politisch zu engagieren.

Pita Limjaroenrat spricht gestikulierend vom Rednerpult in der Aula der Universität Zürich.

Südostasien ist das neue Gravitationszentrum.

Pita Limjaroenrat

So kam Limjaroenrat nicht als Premier, sondern als Advokat für einen politischen und wirtschaftlichen Wandel in Südostasien nach Zürich. Spricht er vom Zustand der Demokratie in dieser Region, dann ist sein Statement von eigener Erfahrung geprägt: «Die Demokratie ist im Rückgang», stellt er auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum fest. In vielen Ländern Südostasiens werde sie noch als eine Familienangelegenheit betrachtet. Es sind Söhne oder Töchter ehemaliger Regent:innen an der Macht, sogenannte «proxy leaders», die im Auftrag oder Interesse ihrer Eltern regieren.

Von der Werkbank zum Labor

Trotzdem zeigte sich Limjaroenrat nicht pessimistisch, im Gegenteil: «Südostasien ist das neue Gravitationszentrum und zieht gleich mit Shanghai und Tokio», sagt er. Damit gab er indirekt eine Antwort auf die Einschätzung der Region, die der Historiker Adam Tooze in der letztjährigen State-of-Asia-Rede gegeben hatte. Tooze hatte vor allem die politische und wirtschaftliche Instabilität und vergleichsweise Armut der Länder in den Blick genommen.

Südostasien

Der südostasiatische Raum umfasst die elf Länder Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Osttimor, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Sie sind im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) zusammengeschlossen. Gemeinsam bildeten die ASEAN-Länder 2024 nach den USA, China, der EU und Indien die fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt. Thailand ist gemessen an der Bevölkerung das viertgrösste Land der ASEAN, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) das zweitgrösste der Region.

 

Die weltweite Annäherung von Lebensstandards, Werten und Interessen – «Great Convergence» genannt – finde nicht nur zwischen Osten und Westen statt, sondern auch zwischen dem Norden und Süden, befand hingegen Limjaroenrat. Bis 2040 werden sich die Wirtschaftsleistungen von Südostasien derjenigen von China, Japan und Südkorea angleichen, so seine Prognose.

Verflechtung statt Polarisierung

Im Gespräch mit UZH-Professor Ralph Ossa, bis vor kurzem Chefökonom der Welthandelsorganisation WTO, belegte Limjaroenrat dies mit Zahlen zum Wirtschaftswachstum und der Altersstruktur in der Region. Zudem seien die Länder in der Region gut positioniert, um Lösungen für globale Herausforderungen wie den Klimawandel, eine nachhaltigere Ausrichtung des Finanzsystems oder die digitale Sicherheit umzusetzen. «Wir haben die richtige Grösse, die richtige Altersstruktur und die Möglichkeiten der Digitalisierung, um Lösungen zu implementieren», so Limjaroenrat. Die Frage sei, wie es diesen Ländern gelingen könne, von der globalen Werkbank zum Laboratorium für solche Lösungen zu werden.

Auch in der globalen Politik sieht Limjaroenrat Gelegenheiten für die südostasiatischen Länder, ein neues politisches System mitzugestalten. Die Welt befinde sich im Umbruch, die alte Ordnung löse sich auf, aber das neue Kapitel sei noch nicht geschrieben. In diesem post-hegemonialen Vakuum, wie er es nannte, könnten sich die mittelgrossen Länder in einem flexiblen Netzwerk untereinander verbinden und so das tragende Gewebe eines neuen internationalen Systems bilden.

Neutralität als Stärke

Dabei spiele die Neutralität eine wichtige Rolle: «Viele asiatische Politiker:innen sehen Neutralität als eine Position, aber es ist eine Fähigkeit», betonte Limjaroenrat. «Die Fähigkeit, resilient zu sein, wenn es zur Situation kommt, sich für eine Seite entscheiden zu müssen.» Wenn ein Land wirtschaftlich genügend diversifiziert sei, eine starke Binnenwirtschaft und Allianzen mit anderen Ländern habe, dann müsse es sich weniger Sorgen machen über Abhängigkeiten bezüglich des Handels oder des Exports.

  • Mit Papier und Stift verdeutlichte Pita Limjaroenrat seine Ausführungen. (Bilder: André Hengst)
    Mit Papier und Stift verdeutlichte Pita Limjaroenrat seine Ausführungen. (Bilder: André Hengst)
  • UZH-Professor Ralph Ossa und Pita Limjaroenrat im Gespräch.
    UZH-Professor Ralph Ossa und Pita Limjaroenrat im Gespräch.
  • Ralph Ossa, Pita Limjaroenrat, UZH-Rektor Michael Schaepman und NIco Luchsinger (Executive Director der Asia Society Switzerland).
    Ralph Ossa, Pita Limjaroenrat, UZH-Rektor Michael Schaepman und NIco Luchsinger (Executive Director der Asia Society Switzerland).

Statt eines Multilateralismus, der auf einer zentralisierten, von oben gesteuerten supra-nationalen Ordnung beruhe, sieht Limjaroenrat einen Aufschwung des sogenannten Minilateralismus: Kleine, flexible Kooperationen von mehreren Staaten, die für die Lösung eines spezifischen Problems zusammenarbeiten.

Wie das aussieht, zeichnete er kurzerhand mit Kugelschreiber auf die Rückseite seines Manuskripts: Die mittleren und kleinen Länder richten sich nicht länger auf die Pole aus, sondern knüpfen zwischen den Polen ein Netzwerk vielfältiger Kooperationen, um spezifische Probleme zu lösen.

«Die mittelgrossen Länder haben die Chance, die Grossmachtmüdigkeit für regionale Initiativen zu nutzen, die relevant sind und den Menschen wirklich etwas bringen», so Limjaroenrat. «Das ist die Kraft, von der Asien ausgeht: Verbindung statt Konfrontation.»

Den Frieden gestalten

Die positive und friedvolle Haltung beeindrucke ihn an der Person von Pita Limjaroenrat am meisten, sagte UZH-Rektor Michael Schaepman in seiner Einführung für den Gast. «Ich bin eine Brücke, keine Bombe», zitierte er ihn aus einem Radio-Interview. Neben der Politik und der wirtschaftlichen Entwicklung nahm Limjaroenrat deshalb auch den Frieden in der Region als drittes zentrales Thema in seine Einschätzung auf.

Zusammenarbeit, in der Form von funktionierender, institutionalisierter Kommunikation, klaren Regeln und Plattformen, sieht Limjaroenrat auch hier als Voraussetzungen, damit Asien den Frieden in der Region sichern kann. «Asien ist nicht im Krieg, aber auch nicht wirklich im Frieden», so seine Analyse. Limjaroenrat nannte etwa die Meerenge von Taiwan, die koreanische Halbinsel, die Grenzregion im Himalaya oder die Situation in Myanmar als Brennpunkte, in denen sich Konflikte entzünden könnten oder ausgebrochen sind. «Das nächste Kapitel für Asien muss bedeuten, dass wir den Frieden gestalten, statt auf Frieden zu hoffen.»