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Der Grenzgänger

Michael Hermann, Unternehmer und Politanalyst, mischt mit neuen Ideen die Politologie auf. Als Grenzgänger pendelt der UZH Alumnus heute zwischen der öffentlichen Rolle als Politvermesser und seiner unternehmerischen Tätigkeit.
Stefan Stöcklin

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Illustration von Michael Hermann
«Die Enge forderte einen neugierigen Geist fast automatisch dazu auf, Grenzen zu überwinden», sagt Michael Hermann. (Illustration: Roost & Hausheer)

 

Wer an Politik interessiert ist, kennt Michael Hermann. Der Politgeograph weiss über Parteien und politische Verschiebungen in der Schweiz Bescheid wie kein Zweiter und ist ein beliebter Experte in Fernsehen, Radio und Presse. Nun sitzt der «Politvermesser» am Kaffeetisch vis-à-vis und wirkt genau so, wie man ihn aus den Medien kennt. Entspannt und wohlüberlegt erzählt er im gut hörbaren Berner Dialekt – den er sich trotz 28 Jahren Zürich erhalten hat –, wie er eher aus Zufall zu einem der wichtigsten Politanalysten geworden ist.

Denn nach seiner Matura am Gymnasium in Langenthal interessierte er sich vor allem für naturwissenschaftliche und philosophische Themen. Besonders angetan hatte es ihm der damals an der Universität Zürich lehrende Psychologe Norbert Bischof: Er forschte an den Grenzen seines Fachs, baute ein psychologisches Institut in experimentell-mathematischer Richtung auf und beschäftigte sich mit Systemtheorien.

Studium mit Freiraum

«Mich faszinierten schon immer die Überschreitungen an den Grenzen der Fachgebiete », sagt Hermann rückblickend. So schrieb er sich 1991 an der UZH ein und begann mit dem Studium der Psychologie.

Nach zwei Semestern stieg Hermann allerdings wieder aus und belegte Philosophie und Geschichte, nicht zuletzt, weil Bischof – ein Dozent alter Schule – mit seinem patriarchalen Stil abschreckend wirkte. Der Wechsel in die Geisteswissenschaften befriedigte den Studenten allerdings auch nicht, und so kam er zur Geographie. Zum einen, weil die grenzüberschreitende Disziplin viele «interessante Themen wie die Kartografie oder den Raum» beinhaltet; zum anderen, weil es als «Fach mit einer schwachen Identität» viel Freiraum und Entfaltungsmöglichkeiten bedeutet. Grenzgänger Hermann fühlte sich in dieser «weniger hierarchisch organisierten» Disziplin gut aufgehoben.

Überschreitungen und Weitblick liegen dem 47-Jährigen sozusagen im Blut. Aufgewachsen im Städtchen Huttwil im Oberaargau, bewegt sich Hermann in einem «übersichtlichen Milieu»: Der Vater in der dritten Generation Drogist, die Mutter traditionelle Hausfrau, die sich in einem akademischen Umfeld bewegte – das Städtchen fest in der Hand überschaubarer Netzwerke. «Die Enge forderte einen neugierigen Geist fast automatisch dazu auf, Grenzen zu überwinden », sagt Hermann, übrigens der erste Akademiker in der Familie.

Atlas der Politischen Landschaften

An der Universität konnte er seinen Nonkonformismus in der Sozialgeografie ausleben. Als bildhaft denkender Mensch beschäftigte er sich mit Karten zur Darstellung sozialer und politischer Gegebenheiten. Nach dem Diplom lancierte er mit seinem Kollegen Heiri Leuthold das Nationalfonds-Projekt Sotomo (Sozialtopologie und Modernisierung). Daraus sind die berühmten «Spinnenprofile» entstanden, die das politische Profil von Parteien oder Personen charakterisieren. Ein Meilenstein ist der «Atlas der politischen Landschaften» der Schweiz. Dieses Buch stellt Gemeinden und Regionen in einem weltanschaulichen Koordinatensystem dar. Überraschende Karten zeigen auf visuelle Weise, wie weit geografische Regionen und Orte mental und politisch auseinanderliegen. Die Publikation aus dem Jahr 2003, aus der Hermann seine Dissertation kondensiert hat, ist ausgezeichnet worden.

Unversehens war Hermann ein gefragter Politanalyst in den Medien, obwohl er doch Sozialgeograf war. Diese Überschreitung der Fachgrenzen verziehen ihm nicht alle Kolleginnen und Kollegen. Ihm aber machte die Medienrolle als «Public Intellectual» Spass. «In den Medien sind Neuigkeiten und Einordnungen gefragt, das gefällt mir», sagt er. Dies im Unterschied zur Wissenschaft, wo es neue Zugangsweisen zuweilen schwerhätten. Seiner Meinung nach gebe es im akademischen Betrieb zu viel Orthodoxie.

Unternehmer und Politanalyst

Eine akademische Karriere war denn auch keine Option. Zwar besitzt Hermann einen kleinen Lehrauftrag am Geographischen Institut, doch höhere akademische Weihen strebt er nicht an. Zusammen mit dem unterdessen verstorbenen Kollegen Heiri Leuthold gründete er 2007 die Firma Sotomo. Das Unternehmen betreibt sozialwissenschaftliche Forschung, Beratung und Lehre. Demografische Analysen und Meinungsforschung gehören zum Kerngeschäft.

Seither pendelt Hermann zwischen der öffentlichen Rolle als Politvermesser und der unternehmerischen Tätigkeit. Eine Zäsur stellte 2014 seine Kolumne im «Tages-Anzeiger » mit der Überschrift «Das Ende des kühlen Denkers» dar, in der er sich von der Rolle des neutralen Beobachters verabschiedete und seine linksliberale Haltung öffentlich machte. Später verglich er diesen Befreiungsschlag als Schritt aus dem dürrenmattschen Gefängnis, in dem jeder Gefangene sein eigener Wärter sei.

Dass er sich danach etwas aus dem medialen Rampenlicht zurückgezogen hat, habe weniger mit diesem politischen Bekenntnis zu tun als mit der Konzentration auf die Firma. Sie steht heute im Zentrum seiner Aktivitäten, auch wenn er noch immer gerne als Kolumnist und Kommentator arbeitet. Gefragt, wie er sich denn heute bezeichnen würde, antwortet er: «Sozialgegograf, Politologe und – vor allem – Unternehmer.» Und legt nach: «Einen schöneren Job kann ich mir nicht erträumen.»

Dieser Artikel ist im UZH Journal 3/19 erschienen.

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