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Big Data in der Aidsforschung

Das HI-Virus wird sich unter Heterosexuellen kaum stark ausbreiten. Das haben Forschende der Universität Zürich für die Schweiz berechnet. Dennoch sollte man sich nicht zu sicher fühlen.
Magdalena Seebauer

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HI-Viren
Im Gegensatz zu anderen sexuell übertragbaren Krankheiten breitet sich das HI-Virus bei Heterosexuellen immer weniger stark aus. (Bild: iStockphoto)

 

Dass sich das Humane Immundefizienz-Virus, kurz HIV, in der heterosexuellen Bevölkerung der Schweiz in nächster Zeit stark ausbreiten wird, ist unwahrscheinlich. Das hat ein Forscherteam um Roger Kouyos, Huldrych Günthard und Teja Turk von der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich und der UZH herausgefunden.

Dazu haben sie mithilfe mathematischer Modelle die Genomsequenzen der HI-Viren analysiert. Sie machten sich zunutze, dass Viren ihr Genom durch Mutationen ständig verändern. Jene, die sich in ihrer genetischen Sequenz ähnlich sind, entstammen derselben Übertragungskette. «Wir haben sozusagen nach den Cousins unter den Viren gesucht und daraus einen Stammbaum erstellt», sagt Kouyos. So konnten die Forscher rekonstruieren, in welchen Gruppen die Übertragung stattgefunden haben musste.

Kurze Übertragungskette

Dabei beobachteten sie ein spezielles Ausbreitungsmuster der HI-Viren bei den Heterosexuellen. Obwohl das Virus sehr oft in diese Gruppe hineingetragen wird, kann es sich nicht effizient ausbreiten. Denn viele Infizierte geben es gar nicht weiter. Wenn doch, sind die Übertragungsketten kurz, typischerweise zwei oder drei Patienten lang. Charakterisiert wird die Ausbreitung durch die sogenannte Reproduktionszahl. Diese gibt die durchschnittliche Zahl an Neuansteckungen an, die eine infizierte Person verursacht. Liegt der Wert über eins, kann sich das Virus in der Bevölkerung ausbreiten und es kommt zu einer Epidemie. Liegt der Wert jedoch unter eins, stecken viele infizierte Personen gar niemanden an, und die Krankheit könnte eines Tages aussterben.

Für die Ausbreitung des HI-Virus bei Heterosexuellen in der Schweiz berechneten die Forscher eine Reproduktionszahl deutlich unter dem kritischen Wert von eins, und zwar von 0.44. Mehr wie jeder zweite Infizierte gibt die Krankheit nicht weiter. «Dieser sehr tiefe Wert hat uns selbst überrascht», sagt Kouyos.

Überraschende Entwicklung

Die Gründe dafür könnten einerseits biologischer Natur sein. Denn eine Übertragung ist bei Vaginalverkehr deutlich unwahrscheinlicher als bei Analsex. Andrerseits könnte es auch ein Hinweis sein, dass Aufklärung und Präventionskampagnen in der Schweiz erfolgreich sind. «Möglicherweise schützen sich zumindest unter den Heterosexuellen die meisten Menschen, wenn sie mit Gelegenheitspartnern Sex haben», sagt Kouyos.

Doch mindestens genauso wichtig sei es, den zeitlichen Verlauf der HIV-Ausbreitung über längere Zeit zu beobachten, betont Kouyos. Die Studie zeigt, dass der Trend in den letzten zehn Jahren deutlich nach unten zeigt. HIV breitet sich unter Heterosexuellen immer weniger effizient aus. Diese Entwicklung sei überraschend, denn bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten sei in den letzten Jahren eine Zunahme des Risikoverhaltens und auch der Ausbreitung beobachtet worden sei, sagt Kouyos. Darum hätte man spekulieren können, dass dies auch bei HIV der Fall sei. Doch heutzutage würden in der Schweiz die meisten HIV-Infizierten sofort behandelt, sobald die Diagnose gestellt wurde. Eine erfolgreiche Behandlung ist ein guter Schutz vor weiterer Übertragung.

Kohortenstudie macht es möglich

Dennoch warnt Kouyos davor, sich zu sicher zu fühlen. «Generell haben wir die Übertragung von HIV in der Schweiz überhaupt nicht im Griff», sagt er. Die Gesamtanzahl der Neuinfektionen gehe nicht zurück. Dies vor allem in der Gruppe der Homosexuellen und aufgrund von «importierten» Neuinfektionen aus dem Ausland. «Unsere Resultate bedeuten nur, dass in der Bevölkerungsgruppe der Heterosexuellen nicht mit grossen Ausbrüchen zu rechnen ist», sagt Kouyos.

Möglich war diese Studie aufgrund der einzigartigen Daten aus der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie. Diese systematische Langzeitstudie basiert auf der Zusammenarbeit der Universitätsspitäler, mehrerer Kantonsspitäler, sowie weiterer spezialisierter Ärzte und Ärztinnen. Sie hat seit 1988 über 19’000 Patienten begleitet. Ihr Ziel ist es, für eine optimale Betreuung der Erkrankten zu sorgen, die HIV-Übertragung zu reduzieren und Forschungsprojekte zu ermöglichen. «Wir waren in einer sehr privilegierten Position, dass wir auf dieses grosse Datenmaterial zurückgreifen konnten», sagt Kouyos.

Ein Ansatz auch für andere Krankheiten

Als nächsten Schritt möchten die Forschenden die mathematischen Modelle auf Hochrisikogruppen wie homosexuelle Männer anwenden. Doch auch bei anderen Infektionskrankheiten könnte man in Zukunft mit diesem Ansatz neue Erkenntnisse gewinnen. Denn bei immer mehr Erkrankungen ist das Genom des Erregers bekannt. Damit lässt sich beispielweise verfolgen, wie effizient sich Influenzaviren ausbreiten. Oder wo Antibiotikaresistenzen entstehen und wie deren Ausbreitung aufgehalten werden kann. «Solche Erkenntnisse sind von enormer Wichtigkeit für die öffentliche Gesundheit», sagt Kouyos.