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1996 wurde in der Nähe der Ortschaft Kennewick am Ufer des Columbia River im US-Bundesstaat Washington per Zufall das gut erhaltene Skelett eines Mannes entdeckt, der dort vor langer Zeit begraben wurde. Radiokarbon-Analysen ergaben ein Alter von mehr als 8000 Jahren. Aufgrund von Schädelmerkmalen vermuteten Experten, dass «Kennewick Man» nicht mit den heutigen Ureinwohnern Amerikas verwandt ist, sondern von einer früheren Einwanderungswelle aus Japan oder Polynesien stammt. Vertreter der lokalen Ureinwohner hingegen sind der Ansicht, dass «Kennewick Man» einer ihrer direkten Vorfahren war und verlangten deshalb eine sofortige Rückgabe und Wiederbestattung der sterblichen Überreste.
Nach jahrelangen rechtlichen und wissenschaftlichen Kontroversen hat ein internationales Forscherteam die Herkunft des berühmtesten nordamerikanischen Skeletts nun eindeutig geklärt und ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature publiziert. Prof. Eske Willerslev und sein Team am Zentrum für Geogenetik in Kopenhagen haben sein Genom sequenziert, und Christoph Zollikofer, Professor am Anthropologischen Institut der Universität Zürich und Marcia Ponce de León, Forscherin am selben Institut, haben seinen Schädel mit neuen Methoden analysiert.
Die Gene sprechen eine eindeutige Sprache: «Kennewick Man» ist am nächsten verwandt mit den heute in der Nähe der Fundstelle lebenden Ureinwohnern, und er ist nicht näher mit Populationen ausserhalb Amerikas verwandt als die jetzigen amerikanischen Ureinwohner. Dies fanden die Forscher heraus, indem sie tausende von Genom-Fragmenten des Kennwick Man mit weltweiten Genom-Datensätzen von heute lebenden Menschen und von archäologischen Skelettfunden verglichen. Damit ist klar, dass «Kennewick Man» ein früher Vertreter der ersten und wohl einzigen Einwanderungswelle nach Amerika ist.
Die Analysen der Zürcher Forscher zeigen ausserdem auf, warum frühere Untersuchungen des Kennewick-Skeletts zu falschen Schlussfolgerungen führten. Nur aufgrund von Skelettmerkmalen lassen sich die Verwandtschaftsbeziehungen von archäologischen Einzelfunden wie dem «Kennewick Man» prinzipiell nicht eindeutig rekonstruieren. Das liegt an der enormen Komplexität des menschlichen Körpers, der das Resultat der Interaktion einer grossen Anzahl von Genen und Umwelteinflüssen ist. Somit sind die Unterschiede zwischen zwei Individuen derselben Population oft grösser als die zwischen Individuen verschiedener Populationen. Während die Struktur von Tausenden von Genen unabhängig voneinander analysiert werden kann und damit klare Verwandtschaftshinweise liefert, bildet die Skelettstruktur eine Einheit, die sich nicht so einfach in ihre Faktoren zerlegen lässt.
The Ancestry and Affiliations of Kennewick Man von Morten Rasmussen, Martin Sikora, Anders Albrechtsen, Thorfinn Sand Korneliussen, J. Víctor Moreno-Mayar, G. David Poznik, Christoph P. E. Zollikofer, Marcia Ponce de León, Morten E. Allentoft, Ida Moltke, Hákon Jónsson, Cristina Valdiosera, Ripan S. Malhi, Ludovic Orlando, Carlos D. Bustamante, Thomas W. Stafford Jr., David J. Meltzer, Rasmus Nielsen, and Eske Willerslev. Nature, June, 18 2015, doi: 10.1038/nature14625