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Menschen identifizieren sich mit verschiedenen Gruppen: Sie fühlen sich als Mann, Frau, GC-Fan, Lehrerin oder Schweizer. In welchem Ausmass sich Personen mit Europa identifizieren, haben Soziologen der Universität Zürich untersucht. Sie wollten wissen, ob es zu einer stärkeren Verbundenheit mit Europa – nicht der EU – führt, wenn Personen starke soziale Kontakte zu Menschen aus anderen europäischen Ländern haben. Die Wissenschaftler konzentrierten sich dabei in erster Linie auf binationale Partnerschaften, bei denen ein Partner aus einem anderen europäischen Land stammt. Darüber hinaus erforschten sie den Effekt von längeren Auslandsaufenthalten in andere europäische Länder.
Die Befragung von 2’800 Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt Zürich ergab, dass soziale Kontakte zu Personen aus anderen europäischen Ländern sowie Auslandaufenthalte das Ausmass der Verbundenheit mit Europa leicht erhöhen. Schweizerinnen und Schweizer identifizieren sich geringfügig mehr mit Europa, wenn sie mit einem EU-Bürger bzw. einer EU-Bürgerin verheiratet sind als mit einem Schweizer Partner.
Für die Identifikation mit Europa ist die EU-Bürgerschaft jedoch weitaus wichtiger als soziale Kontakte. Selbst unter Berücksichtigung soziodemografischer Variablen wie Bildung, Alter, Geschlecht, Auslandsaufenthalte, soziale Kontakte und Sprachkenntnisse zeigen sich massive Unterschiede zwischen Schweizern und EU-Bürgern: «Bürgerinnen und Bürger aus der EU, die in binationalen Partnerschaften leben, identifizieren sich im Durchschnitt sehr viel stärker mit Europa als Schweizerinnen und Schweizer, unabhängig von der Art ihrer Partnerschaft», sagt Jörg Rössel, Professor für Soziologie an der Universität Zürich. Die in der Schweiz lebenden, befragten EU-Bürger fühlen sich auch stärker mit der EU verbunden als mit ihrem Heimatland. Ausserdem sehen sie die europäische Identität sehr viel weniger in Konflikt zur nationalen Identität und bewerten die politische Kooperation auf europäischer Ebene als wichtiger als die befragten Schweizer.
«Dies mag damit zu tun haben, dass die EU-Bürger in der Schweiz eher mobile Personen sind, die in der Vergangenheit und der Gegenwart von den mit der EU-Bürgerschaft verbundenen Rechten wie der Personenfreizügigkeit oder dem Wahlrecht profitiert haben», interpretiert Jörg Rössel die Resultate der Umfrage. «Die europäische Identität scheint mehr mit eigenen Interessen zusammenzuhängen als mit sozialen Kontakten und Erfahrungen.»
Die Tatsache, dass die Studie in einem urbanen Zentrum der Schweiz durchgeführt worden ist, hat zwar gemäss Jörg Rössel einen Einfluss auf das festgestellte Ausmass der Identifikation mit Europa, jedoch nicht auf die erforschten Zusammenhänge. «Es ist nicht davon auszugehen, das soziale Kontakte ins Ausland oder längere Auslandsaufenthalte auf Personen ländlicher Räume anders wirken als auf Bewohner urbaner Räume.»
Julia H. Schroedter, Jörg Rössel und Georg Datler, 2015: European Identity in Switzerland: The Role of Intermarriage, and Transnational Social Relations and Experiences. Annals of the Academy of Political and Social Sciences 662: 148-168