Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Multisensorisches Recht

Wenn das Recht sichtbar und hörbar wird

Nicht immer kommt das Recht in Form des geschriebenen Worts daher. Denn der Einsatz von Piktogrammen oder Videos nimmt beständig zu. Mit solchen Formen des Multisensorischen Rechts befasst sich Ende Januar eine Tagung an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich.
Thomas Müller

Kategorien

Piktogramme machen die Benutzungsordnung der Verkehrsbetriebe augenfälliger.

Wie erklärt man der Bevölkerung in drei Minuten, was die epochale Reform der US-Einwanderungspolitik für die Wirtschaft bedeutet? Allein schon er Name des Erlasses, «Gesetz über Grenzsicherung, wirtschaftliche Chancen und Modernisierung der Einwanderung» (Border Security, Economic Opportunity and Immigration Modernization Act) deutet an, wie komplex das Vorhaben ist, mit dem Präsident Barack Obama ein Wahlversprechen einlösen will. Tatsächlich umfasste die Vorlage, die der Senat 2013 zur Beratung erhielt, 844 Seiten Papier. Unmöglich, das kurz und eingängig zusammenzufassen? Nein, befand das Weisse Haus und griff zu Bild und Ton.

Chancen durch digitale Medien

Das dabei entstandene Video audiovisualisiert die Eckpunkte der Reform recht kurzweilig – fast ein bisschen atemlos gar. Zugleich illustriert es, dass die digitale Revolution schon längst die Welt des Rechts erobert hat und wie in anderen Disziplinen ein grosses Potenzial eröffnet. «Die neuen Medien können sehr hilfreich sein, den Bürgerinnen und Bürgern die wichtigsten Inhalte eines Gesetzes präzise und schnell zu vermitteln», sagt Colette R. Brunschwig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Zentrums für Rechtsgeschichtliche Forschung (Abteilung Rechtsvisualisierung), und organisiert die Tagung zum Multisensorischen Recht, die  am 27. und 28. Januar an der Universität Zürich stattfinden wird.

In der Schweiz werden solche Möglichkeiten, das Recht visuell, audiovisuell und auf andere Weise multisensorisch aufzubereiten, allerdings noch kaum genutzt – zumindest nicht von offiziellen Stellen. Wie es jedoch schon mit bescheidenen Mitteln möglich ist, eine Volksabstimmung zu erläutern, zeigen die Erklärungs-Videos mit Infografiken, Fotografien und Textkomponenten zu den Abstimmungen vom 9. Februar 2014, die der pensionierte Berufsschullehrer Bruno Wamister aus dem Kanton Bern herstellt.

Colette Brunschwig vom Zentrum für Rechtsgeschichtliche Forschung UZH organisiert die Tagung zum Multisensorischen Recht.

In der Lehre noch nicht verankert

Mit solchen auditiven, visuellen oder audiovisuellen Umsetzungen hat sich die Lehre der Rechtswissenschaften in der Schweiz bislang nicht gesondert befasst. Wo sie auftauchen, nimmt man sie zur Kenntnis, etwa in Form von Diagrammen oder Infografiken in einem Gesetzeskommentar. Die Herstellung wird oft an andere Disziplinen ausgelagert, denn es gibt bisher keine Schulung der Juristen, Anwältinnen oder Richter im professionellen Umgang mit rechtlichen Visualisierungen und Audiovisualisierungen.

Einsatzbeispiele: Verkehrsbetriebe, Scheidungen

Ein Beispiel für mögliche Folgen dieser Vernachlässigung ist der verunglückte Versuch des Zürcher Verkehrsverbunds im Jahr 2006, in den Bussen, Trams und S-Bahnen die Benutzungsordnung zu visualisieren. Gegen das neugeschaffene Piktogramm eines Strassenmusikers mit Sombrero und Poncho ging damals ein Protestschreiben der mexikanischen Botschaft ein. Sie verwahrte sich dagegen, ein sozial verpöntes Verhalten mit mexikanischen Attributen zu versehen. Die Piktogramme in 1700 Fahrzeugen mussten durch eine neutralere Fassung (siehe Foto oben) ersetzt werden.

Rechtliche Piktogramme, Videos und Infografiken decken nur einen kleinen Ausschnitt aus dem ganzen Spektrum des Multisensorischen Rechts ab. Es umfasst nicht nur auditiv und visuell, sondern auch mit anderen Sinnen erfassbare Umsetzungen wie kinästhetische oder taktile (zum Beispiel in Blindenschrift gefasste Rechtstexte) und dereinst vielleicht einmal olfaktorisch-gustatorische – natürlich stets in Ergänzung zum geschriebenen Wort. Brunschwig betont den erweiternden Charakter, der dem Multisensorischen Recht innewohnt, «es geht nicht darum, das textuelle Recht zu ersetzen».

Tagung mit breitem Spektrum

Das lässt sich auch aus dem Programm der Tagung vom 27. und 28. Januar ablesen, das von 14 Referentinnen und Referenten bestritten wird: Die Juristin Helena Haapio, Dozentin an der finnischen Universität Vaasa, wird zum Beispiel aufzeigen, wie sich Verträge visualisieren lassen.

Der US-Scheidungsanwalt Terry McNiff wird darüber berichten, wie er in der Praxis erfolgreich Diagramme einsetzt, um seinen Mandantinnen oder Mandanten den Ablauf der Verfahren und die Konsequenzen einzelner Vorgehensweisen zu erklären. Die Medizinerin Monica Broome befasst sich als Assistenzprofessorin an der University of Miami mit der Kommunikation zwischen Arzt und Patient und wird über den Nutzen sprechen, wenn auch in der Anwaltskanzlei die nonverbale Kommunikation besser beachtet wird.

Der britische Typograph Rob Waller wird zeigen, wie sich Inhalte durch geschickt gewählte Gestaltung von Schriften und Layout leichter erfassen lassen. Und der polnische Rechtssoziologe Mateusz Stepien schliesslich wird erläutern, welchen Einfluss der bildhafte Charakter der chinesischen Schriftzeichen das Rechtsverständnis beeinflusst.