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Grippe-Erreger

Mächtige Viren

Viele Medien zeichneten in den letzten Tagen ein Horrorszenario: Ein höchst gefährlicher Influenza-Virus sei von einem niederländischen Forscher entwickelt worden, das «die Weltgeschichte verändern könnte, wenn es jemals freigesetzt würde», hiess es auf der Internetseite von Science. UZH-Virologin Alexandra Trkola und die Assistenzprofessoren Lars Hangartner und Silke Stertz vom Institut für Medizinische Virologie relativieren die Schreckensnachrichten. 
Interview: Marita Fuchs

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Zeitungsberichten zufolge hat der niederländische Wissenschaftler Ron Fouchier vom Erasmus Medical Centre in Rotterdam ein Virus entwickelt, das so tödlich ist wie das Vogelgrippe- und so ansteckend ist wie das Schweinegrippevirus. Das Wissenschaftsjournal «Science» habe demnach die Veröffentlichung der Ergebnisse Fouchiers aufgeschoben, und zwar bis die amerikanische Antiterrorgruppe NSABB sie beurteilt hat. Das Urteil stehe noch aus.

UZH News befragte Professorin Alexandras Trkola und ihre Mitarbeiter, die Grippevirenforscher Lars Hangartner und Silke Stertz vom Institut für Medizinische Virologie der Universität Zürich nach den Gefahren und dem Nutzen, die vom neuen Virus ausgehen.

Modell eines Influenzavirus.

UZH News: Frau Trkola, ist es sinnvoll, solch hochgefährliche Viren im Labor zu entwickeln?

Alexandra Trkola: Diese Frage ist relativ schwierig zu beantworten. Das neue Virus ist von der Forschungsgruppe des Niederländers Ron Fouchier entwickelt worden – ähnliche Resultate soll es laut den Zeitungsberichten auch aus der Forschungsgruppe von Yoshihiro Kawaoka geben. Beide sind als sehr seriöse Forscher bekannt. Ich würde davon ausgehen, dass sie ihre Forschung gut geplant und kontrolliert haben und nicht, wie es in den Medien suggeriert wird, mutwillig ein Killervirus entwickelt haben, das die Menschheit bedrohen könnte. Aber ohne die Daten zu kennen, können wir nur wenig dazu sagen.

Weshalb arbeiten Forscher mit gefährlichen Viren?

Lars Hangartner: Die grundlegende Fragestellung, die dieser Forschung zugrunde liegt, ist es, zu klären, welche genetischen Eigenschaften dazu führen würden, dass ein Vogelgrippe Virus wie H5N1 die Fähigkeit erwerben, sich von Mensch zu Mensch zu übertragen. Würde man das wissen, könnte man eventuell die Gefahr neu im Menschen auftretender Varianten vorhersagen, was bislang nicht möglich ist.

Silke Stertz: Es ist eine zentrale Frage in der Influenzaforschung, was ein Virus von Mensch zu Mensch übertragbar macht. Falls die Ergebnisse der Niederländer so stimmen, könnte man besser verstehen, welche Eigenschaften ein Virus haben muss, um diese Übertragung von Mensch zu Mensch zu schaffen. Nur so können wir mehr darüber erfahren, wie Pandemien entstehen.

Wie entwickelten die holländischen Forscher denn das neue, gefährliche Virus?

Lars Hangartner: Soweit ich die Situation einschätzen kann, haben die Forscher nicht gezielt auf gefährliche Viren hin gezüchtet. Fouchier arbeitete in seinen Versuchen mit Frettchen. Frettchen sind die domestizierte Haustierform des Iltis. Zunächst führten die Forscher Mutationen gezielt in das Erbgut des H5N1-Virus ein. Sie allein genügten aber noch nicht, um die Ansteckungsfähigkeit zu erhöhen.

Die Wissenschaftler infizierten Frettchen mit dem modifizierten Virus. Aus den Nasenschleimhäuten der erkrankten Tiere isolierten sie dann die Viren und übertrugen sie auf ein weiteres Tier. Nach mehreren Durchgängen war der Erreger zwei weitere Male mutiert – und gefährlich. Aber wie gesagt, diese Informationen stammen nur aus den Presseberichten, ob die Versuche exakt so durchgeführt worden wie dort beschrieben, kann man nicht sagen, bevor die Forschungsergebnisse nicht in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht wurden.

Hatten Sie zuvor Kenntnis von den Forschungsergebnissen?

Alexandra Trkola: Nein, niemand von uns hat den Vortrag gehört, den Ron Fouchier Mitte September während einer Fachkonferenz der European Scientific Working Group on Influenza auf Malta gehalten hat.

Die Forschergemeinschaft kennt auch die Rohdaten nicht, so können wir nur mutmassen, was herausgefunden wurde. Die Ergebnisse der Forschung sind ja nicht publiziert worden, sie ist laut den Presseberichten im Review in «Science».

In den Medien spricht man von Killerviren, die in Laboren gezüchtet werden und die Menschheit bedrohen. Was halten Sie von der bisherigen Medienberichterstattung über die neuen Forschungsergebnisse?

Alexandra Trkola: Infektionskrankheiten sind eine Gefährdung und machen natürlich auch Angst. Deshalb sollte das Wissen über Viren an die Bevölkerung weitergegeben werden. Doch wie die Ergebnisse jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sind, ist nicht optimal. Jetzt stürzt sich alles auf Mutmassungen, niemand kennt die Daten und das schürt natürlich auch Ängste. Es wäre besser gewesen, wenn vorher fachlich genau abgeklärt worden wäre, wie gefährlich diese Viren in der Tat sind, und was mit ihnen geschehen soll. Erst dann hätte es von offizieller Stelle eine Information geben sollen. 

Ausserdem muss man bedenken: Forschung an hochpathogenen Viren ist notwendig. Es gibt viele Viren, die gefährlich sind, wie zum Beispiel Sars oder Ebola. Diese Viren stammen definitiv nicht aus einem Labor. Und für all diese Viren benötigen wir Behandlungsstrategien. Wir müssen herausfinden, wie sie funktionieren. Diese Forschung kann nur von speziell geschulten Forschern unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden, so dass ein Virus nicht aus dem Labor entweichen kann.

Wie gross ist die Gefahr, dass andere Personen, zum Beispiel Terroristen, diesen tödlichen Virus nachbauen?

Wenn man mit tödlichen Viren arbeitet, braucht man sehr viel Fachwissen, zudem Schutzeinrichtungen und die nötigen Laboratorien. Es ist nicht so trivial, Viren herzustellen.

Lars Hangartner: Grundsätzlich muss man bedenken, dass so genannte Biowaffen absolut unkontrollierbar sind. Einmal freigesetzt, entziehen sie sich rasch der Kontrolle einer terroristischen Gruppierung und gefährden letzten Endes auch diese selbst.

Falls die Ergebnisse der Forscher um Ron Fouchier und des Japaners Yoshihiro Kawaoka nicht veröffentlicht würden, ist es nicht ein Eingriff in die Freiheit der Wissenschaften?

Ich vertraue darauf, dass die Reviewer von «Science» eine gute Entscheidung treffen. Eine derartige Debatte gab es übrigens bereits 2005, als US-Forscher den Erreger der Spanischen Grippe im Labor wiederbelebten. Er hatte 1918 eine Pandemie mit weltweit 20 bis 50 Millionen Toten ausgelöst. Bei der Spanischen Grippe wurde auch darüber diskutiert, ob es eine gute Idee sei, die Rekonstruktion des Virus zu veröffentlichen.

Letzten Endes hat es sich ausgezahlt, dass die Wissenschaftsgemeinde Zugang zu diesen Daten hatten, denn daraus ergaben sich neue, sehr wichtige Inputs für die Influenzaforschung, die helfen eine bessere Behandlung für schwerwiegende Influenzainfektionen zu finden.