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Shakespeare im Kino

«Let me tell you a different story»

Erfolgsregisseur Roland Emmerich diskutierte in Zürich mit UZH-Professorin Elisabeth Bronfen über seinen neuen Film «Was Shakespeare a fraud? Anonymous». Der Thriller über Theater, Macht und Intrigen im elisabethanischen England begeisterte ein Kino voller Studierenden. Die alte Frage, ob Shakespeare seine Werke selbst schrieb, war nebensächlich.
Claudio Zemp

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Im London unter Königin Elisabeth I. wäre der Regisseur für diese Ketzerei wohl in den Tower geworfen und geköpft worden. William Shakespeare (1564–1616) ist in Roland Emmerichs Kino-Melodrama «Anonymous» nicht nur ein opportunistischer Plagiator. Nein, der grösste Dramatiker der Weltliteratur wird böse karikiert: «Will» ist ein aufgeblasener Trottel, selbstverliebter Säufer, Analphabet und Erpresser, der sogar über Leichen geht, um zu verhindern, dass ihm jemand seinen unverdienten Ruhm streitig mache. Hier wurde mit offensichtlichem Vergnügen und Elan ein Denkmal gestürzt und zerbröckelt.

«Anonymous», Filmplakat: «Die Feder ist mächtiger als das Schwert.»

Der Name des wahren Künstlers hinter dem unsterblichen Werk Shakespeares dagegen bleibt für immer vergessen, so die Botschaft des Films. Zumindest «Anonymous» hat dem stillen Schaffer im Hintergrund jetzt wieder ein Denkmal gesetzt: Edward de Vere, Earl von Oxford, hätte König werden können, wenn er sich nur etwas mehr für Macht und weniger für Poesie interessiert hätte. Edward benutzte den Namen des Narren «Shakespeare», um mit Dramen Politik zu machen. Und um seine Geliebte, die Königin selbst, zu betören. Diese stellt sich im Film auch noch als seine Mutter heraus, aber das ist eine andere Geschichte.

Raum für Spekulationen

Der Streit um die Urheberschaft von Shakespeares genialem Werk ist für die Literaturwissenschaft eigentlich kalter Kaffee. Seit Jahrzehnten brodelt die Debatte aber immer wieder auf, weil die Lücken in der Biografie des Schauspielers aus Stratford-upon-Avon sehr viel Raum für Spekulationen lassen. Anti-Stratfordianer glauben, der wahre Autor von Hamlet, Macbeth und König Lear müsse weit gereist, adligen Blutes und Akademiker gewesen sein. Oder wenigstens mehr Handschriftliches hinterlassen haben.

Roland Emmerich schlägt sich wie Mark Twain («Is Shakespeare dead ?») oder Sigmund Freud also auf diese Seite. Für ihn seien diese Haltung und dieser Film eine persönliche Sache, sagte Emmerich am Donnerstag nach der Vorpremiere von «Anonymous» im Zürcher Kino Corso. Kunst habe für ihn zwingend mit konkreter Lebenserfahrung zu tun, sagte der gebürtige Schwabe, der seit 22 Jahren in den USA wohnt: «Du kannst nur etwas schreiben, wenn du’s selbst erlebt hast.»

Emmerich kokettierte mit seinem Image als bombastischer Katastrophen-Filmer («Independance day», «2012»). Von Journalisten werde er immer wieder gefragt, ob er überhaupt lesen könne. Dabei hält er die Literatur für die wertvollste Zeitbeschäftigung schlechthin: «Man muss so viel wie möglich lesen!»

Roland Emmerich, Filmregisseur: «Du kannst nur etwas schreiben, wenn du's selbst erlebt hast.»

Sein neuester Film war für den Regisseur ein Herzensprojekt, das er sich durch kommerzielle Grossproduktionen hart habe verdienen müssen. Das für seine Verhältnisse tiefe Produktionsbudget von 23 Millionen Dollar für «Anonymous» bezeichnete Emmerich in der Fragerunde nach dem Film als befreiend. Er habe sich wieder wie auf der Filmhochschule gefühlt.

Rasant und unkonventionell

In der PR-Kampagne zum Film zählt Emmerich genüsslich zehn «Fakten» auf, warum Shakespeare eben nicht der Autor seines Werks ist. Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen jedoch kamen diese Argumente nicht zur Sprache. Die Professorin für englische und amerikanische Literatur an der UZH liess sich gar nicht auf den Stratford-Streit ein. Schliesslich sei Geistesgeschichte stets eine Geistergeschichte, sagte sie. Bronfen zeigte sich begeistert von der packenden Darstellung des Renaissance-Theaters in London sowie vom Bild der lebendigen Streit- und Mordkultur am elisabethanischen Hof.

Auch das aus Studierenden zusammen gesetzte Publikum im vollen Kino Corso applaudierte. Emmerichs Shakespeare-Geschichte ist in der Tat rasant und unkonventionell. So wird die «Virgin Queen» Elisabeth I., die als Letzte der Tudors von 1558 bis 1603 eisern über England regierte, ungewohnt vielseitig und gar nicht jungfräulich dargestellt.

Kunst und Politik

Bronfen interessierte sich für die Beziehung von Kunst und Politik und die Parallelen zu heute. Shakespeares Theater begeisterte das Volk und war gleichzeitig politisch subversiv. Im London um 1600 war die Bühne eine Oase des freien Wortes. Mit Bezug auf die weltweiten Protestbewegungen fragte Bronfen den Star-Regisseur: «Kann Massenkino politisch sein?». Er habe es mit «The Day After Tomorrow» versucht, antwortete Emmerich und brach eine Lanze für politisch engagierte Künstler: «Kunst, die nichts aussagt, ist keine Kunst.» Sowieso gäbe es zu wenige politische Filme in Hollywood.

Hinter der Fassade des spannenden Kostümdramas gibt es in Emmerichs Film überraschend viele Parallelen zu Shakespeares Welt. Auf der Leinwand ist gleich mehrfach das damals revolutionäre «Spiel im Spiel» zu sehen. Der Film ist über mehrere Zeitebenen gestrickt und bedient sich hemmungslos bei historischen Figuren und Gerüchten, wie sie dramaturgisch gerade ins Konzept passen. Auch da ist der Film Shakespeares Theater nicht unähnlich. So bezeichnete Bronfen Emmerich als einen Shakespeare unserer Zeit. «I’m not Shakespeare», antwortete der Regisseur selbstironisch.

Verwirrspiel mit Narren

«Let me offer you a different story», sagt der Erzähler im Prolog des Films, der auf einer heutigen Theaterbühne steht. Letztlich geht es also in «Anonymous» gar nicht darum, wer jetzt diese wundervollen Stücke und Sonette geschrieben hat, sondern um die Macht der Fantasie. So hätte es sein können, damals. «Die Feder ist mächtiger als das Schwert» lautet das Thema von «Anonymus», sagt Emmerich und setzt später im Gespräch über Shakespeare hinzu: «Wahre, grosse Kunst muss superkomplex sein.»

Manchmal steckt das Komplexe auch voller Psychologie und sieht dabei simpel aus – fast wie bei Shakespeare. So beschrieb Emmerich seine persönliche Faszination für den Stoff folgendermassen: «Stell dir vor, dass du Werke wie Shakespeare geschrieben hast, und dein Name steht nicht drauf.»

Oder ist die Geschichte noch einmal anders? In der Schlussszene des Films scheint der bucklige Realpolitiker Robert Cecil zu siegen. Sein Gegenspieler de Vere ist tot, ebenso die Königin. Cecil schaffte es gegen alle Umsturzversuche, auch an der Seite des neuen Königs Jakob I. im Zentrum der Macht zu bleiben. Doch weil auch der König das Theater liebt, muss der Bösewicht sich weiter die Stücke «Shakespeares» ansehen, die er zeitlebens gehasst hat. Nichts ist am Ende so, wie man gedacht hatte. Und oft gewinnt dabei der Narr.

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