Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Alterszahnmedizin

Fehlende Zahnhygiene als Gesundheitsrisiko

In der Schweiz gehen 40 Prozent aller Menschen über 75 nie zum Zahnarzt. Dafür konsultieren über 90 Prozent regelmässig ihren Hausarzt. Für Professorin Ina Nitschke, Leiterin der Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin der UZH ist klar: Hausärzte müssen vermehrt auf die Mundgesundheit älterer Patienten achten und Erkrankte rechtzeitig zum Zahnarzt schicken. 
Marita Fuchs

Kategorien

Der achtzigjährige Anton Meier hat noch seine eigenen Zähne. Darauf ist er stolz, schliesslich hat er sie gut gepflegt. In letzter Zeit jedoch vergisst er manchmal, sie zu putzen. Zudem zittern seine Hände, was das Hantieren mit Zahnseide schwierig macht.

Ging er bis anhin jedes Jahr zur Kontrolle, sucht er seit einiger Zeit den Zahnarzt nicht mehr regelmässig auf. Dafür sitzt er bei anderen Ärzten im Wartezimmer: Sein Blutdruck will nicht sinken, und die Hüfte bereitet Probleme. Verordnete Medikamente trocknen seinen Mund aus. Schleichend und vorerst unbemerkt, wirkt sich all das negativ auf seine Mundgesundheit aus.

Dringend nötig

Anton Meier ist kein Einzelfall. «Geriatrische Patienten, aber auch Menschen, die am Beginn einer instabilen Lebensphase stehen und bei denen die allgemeine medizinische Versorgung schon alle Kräfte in Anspruch nimmt, suchen die zahnärztliche Praxis häufig nicht mehr auf», sagt Professorin Ina Nitschke, Leiterin der Klinik für Alters- und Behindertenzahnmedizin der Universität Zürich.

Bei älteren Menschen werden die Zähne «länger», weil das Zahnfleisch schwindet.

Doch der Besuch beim Zahnarzt wäre dringend nötig, denn im Gegensatz zu der Nachkriegsgeneration haben heute viele ältere Menschen noch eigene Zähne, die gepflegt sein wollen. Bekam in den 1950er Jahren in der Schweiz jede dritte Person ab 60 Jahren eine vollständige Prothese, so sind es heute weitaus weniger: In der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 1992/93 gaben 24 Prozent der befragten 65- bis 74-Jährigen an, sie trügen im Ober- oder Unterkiefer eine Totalprothese. Zehn Jahre später waren es noch gut 22 Prozent. Neuere Zahlen sind erst wieder 2012/13 verfügbar.

Das Zahnfleisch schwindet

Laut Bundesamt für Statistik gehen in der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen rund 67 Prozent regelmässig zum Zahnarzt, jedoch über 80 Prozent zum Arzt. Diese Schere vergrössert sich mit zunehmendem Alter: Ab 75 Jahren gehen 40 Prozent gar nicht mehr zum Zahnarzt, über 90 Prozent konsultieren jedoch regelmässig einen Fach- oder Hausarzt.

Der ausbleibende Zahnarztbesuch kann schmerzhaft enden, denn bei älteren Menschen werden die Zähne «länger», weil das Zahnfleisch schwindet. Die Angriffsflächen für Kariesbakterien sind dadurch grösser, der Speichelfluss verringert sich, und die Kaumuskulatur nimmt ab. Die Folge bei unzureichender Pflege: schmerzhafte Wurzelkaries oder starke Paradontitis. Deshalb sei es wichtig, sagt Nitschke, dass Allgemeinmediziner bei der Versorgung ihrer Patienten auch auf die Mundgesundheit achten und die Erkrankten rechtzeitig an einen Zahnarzt überweisen.

Totalprothese: Nur wenn sie gut «sitzt», kann das Essen ausreichend gekaut werden.

Prothesenkünstler

Fallen kranke Zähne aus, wird eine Prothese fällig. Die Regel: Bei weniger als zwanzig Zähnen kann die Nahrung nicht ausreichend zerkleinert werden. Der Einstieg in die prothetische Versorgung mit einem abnehmbaren, partiellen oder totalen Zahnersatz erfolgt heute immer später. «Die Versorgung mit einem Zahnersatz kann langwierige Nachsorge mit sich bringen – je älter der Patient, desto schwieriger gerät die Anpassung an eine Prothese», sagt Nitschke.

So leiden Prothesenträger etwa häufig unter Druckstellen und Entzündungen des Zahnfleisches. Manche würden zu regelrechten «Prothesenkünstlern», die bei einem Stück Kotelett so geschickt mit der Zunge einen Gegendruck zur Prothese erzeugen, dass das Fleisch – wenn auch unzureichend zerkleinert – den Magen trotzdem erreicht. Wird der Druck einer schlecht sitzenden Prothese zu stark, landet sie auch schon mal im Taschentuch, in der Serviette oder – wie Nitschke von einer Patientin erfuhr – im Dekolleté.

Ohne Schmerzen kauen

Patientinnen und Patienten sind mit ihrer Prothese oft zufrieden. Schaue man jedoch genauer hin, sehe man, dass die Kauleistung bei einer schlecht sitzenden Prothese ungenügend sei, so Nitschke. Das wiederum beeinflusst die Gesundheit: Nur wer ohne Schmerzen kauen kann, greift auch zu vitaminreichem, knackigem Obst, zu Gemüse und zu Fleisch.