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Tiermedizin

Heimtückisches Schweinevirus

Die Schweine in der Schweiz leiden unter einem Virus. Vor allem Ferkel wachsen nicht mehr recht, bekommen Husten, Durchfall oder fleckige Haut. Veterinärmediziner Xaver Sidler vom Tierspital Zürich hofft, mehr über das Virus in Erfahrung zu bringen, bevor es allenfalls auf neue Wirte wie Rinder oder sogar den Menschen übergreift.
Antoinette Schwab

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Schweinevirus «Porcines Circovirus»: In der Schweiz nehmen die Krankheitsfälle massiv zu.

Schwein und Virus – die beiden Begriffe lösen ungute Assoziationen aus. Doch das Virus, das die Forschergruppe um Veterinärmediziner Xaver Sidler untersucht, hat nichts mit dem Schweinegrippevirus zu tun, schon rein äusserlich nicht.

Grippeviren sind kugelige stachelige Gebilde und viel grösser als das Virus, unter dem neuerdings die Schweizer Schweine leiden. Dieses ist das kleinste bekannte Virus und gehört mit seiner ringförmigen Struktur zu den sogenannten Circoviren. Entdeckt wurde es erst 1974 und bekam den Namen «Porcines Circovirus» (PCV). Damals wusste allerdings noch niemand, wie sehr es Schweine krank machen kann.

Zwei Varianten der Krankheit

Die häufigste Form der Krankheit trifft bevorzugt vier bis fünfzehn Wochen alte Ferkel. Diese mildere Variante überleben zwar die meisten Tiere. Sie wachsen aber nicht mehr richtig, leiden zudem oft an Durchfall oder Husten und verkümmern allmählich. Das Virus kann aber auch schwerwiegendere Symptome hervorrufen – punktförmige oder flächige Blutungen direkt unter der Haut. In diesem Fall sterben bis zu 80 Prozent der erkrankten Tiere.

Mitte der 1990er-Jahre stellte man erstmals einen Zusammenhang zwischen den Symptomen der Ferkel und dem Virus her. In dieser Zeit kam es in Frankreich, Kanada und den USA verbreitet zum Ausbruch der Krankheit. Schon vorher war das Virus in vielen Schweinen nachgewiesen worden. Dass sie nun plötzlich erkrankten, erklärte man sich damit, dass nicht das Virus allein dafür verantwortlich ist, sondern andere Faktoren eine Rolle spielen müssten, zum Beispiel andere Krankheiten.

Massive Zunahme der Fälle

In letzter Zeit nehmen Krankheitsfälle, bei denen PCV im Spiel ist, auch in der Schweiz massiv zu. Waren im Jahr 2003 erst drei Tiere betroffen, waren es 2006 bereits 133. «Doch in der Schweiz sind viele der Krankheiten gar nicht bekannt, die als mit auslösende Faktoren genannt werden», gibt Xaver Sidler, Veterinär am Tierspital Zürich, zu bedenken.

Es muss also einen anderen Grund für die Zunahme der Fälle geben. Der Veterinärmediziner hatte eine mögliche Erklärung dafür und dank Schweizer Gründlichkeit war er sogar in der Lage, sie zu überprüfen. Denn in der Pathologie des Tierspitals lagern Materialproben von Schweinen, die über Jahrzehnte hinweg gesammelt und aufbewahrt wurden.

Veterinärmediziner Xaver Sidler: «Je mehr Platz die Tiere haben, desto gesünder sind sie.»

Xaver Sidler und sein Team untersuchten diese Proben und stellten fest, dass es im Virus zu Mutationen gekommen war. Als erste machten die Zürcher Forscher eben diese Mutationen für das plötzliche Aufflammen der Krankheit verantwortlich und nicht, wie bislang vermutet, begleitende Faktoren.

Viel Platz - gesunde Schweine

Die Ansteckung geschieht in erster Linie durch direkten Kontakt. Sidler vermutet aber, dass dort, wo sehr viele Schweine zusammenleben, auch eine Ansteckung durch die Luft möglich ist. Auch das ist eine neue Erkenntnis. Dennoch erkrankt nicht jedes Tier, das das Virus in sich trägt.

Warum die Krankheit bei den einen ausbricht und bei den anderen nicht, ist noch nicht ganz geklärt. Doch vieles weist auf einen Zusammenhang mit der Haltung hin. Ganz besonders gefährdet sind demnach Ferkel, die untergewichtig auf die Welt kommen und schwächer sind als ihre Geschwister. Im Verteilkampf um die besten Zitzen sind sie im Nachteil, bekommen weniger Milch, bleiben kleiner und haben eine schlechtere Abwehr, da sie weniger Abwehrstoffe durch die Muttermilch aufnehmen.

Daneben spielt Hygiene im Stall eine grosse Rolle, aber auch die Form der Stallabteile und die Grösse des Stalls. «Je mehr Platz, je mehr Volumen die Tiere haben, desto gesünder sind sie», stellt der Fachmann fest, und: «Je grösser der Betrieb, desto höher das Risiko.» Dass die Schweiz erst seit 2003 von der Epidemie betroffen ist, hat vermutlich damit zu tun, dass in der Schweiz auch die grossen Betriebe im Vergleich etwa zu Grossbetrieben im EU-Raum immer noch klein sind.

Muttersauen impfen

Inzwischen ist eine Impfung entwickelt worden. Damit wird die Muttersau geimpft, sie gibt die Antikörper über die Milch an die Ferkel weiter – eine passive Immunisierung, die bis zehn Wochen anhält. Später können die Ferkel noch direkt geimpft werden.

Zürcher Veterinäre haben die Wirkung der passiven Immunisierung untersucht und festgestellt, dass die geschützten Ferkel deutlich seltener erkrankten und im Schnitt 30 Gramm Gewicht pro Tag mehr zulegten.

Sidler, der bis vor wenigen Jahren Nutztierarzt im Luzernischen war und die Probleme der Schweinemäster und -züchter aus erster Hand kennt, hält die Seuche für die ökonomisch schwerwiegendste Erkrankung im Schweinestall. Wie hoch die Ausfälle durch PCV in der Schweiz sind, ist noch nicht berechnet worden. Die EU rechnet mit finanziellen Einbussen von 560 bis 900 Millionen Euro pro Jahr.

Kein Wunder also, dass die Bauern ihre Tiere impfen wollen. Eine Impfung kostet pro Ferkel etwa drei Franken. Weil damit der Ertrag höher wird, lohnt sich dies aber auf jeden Fall, nur war im letzten Jahr noch gar nicht genügend Impfstoff vorhanden. Das soll sich in diesem Jahr ändern.

Künftig will Xaver Sidler das Virus weiter erforschen: «Wir verstehen vieles noch nicht.» Doch er sieht in der Epidemie auch eine Chance. «Jetzt, da so viele Schweine krank sind, können wir versuchen zu verstehen, was genau geschieht, möglichst, bevor das mutierte Virus auf neue Wirte verfällt, auf Rinder oder sogar auf Menschen.» Bis jetzt gibt es darauf aber keine Hinweise.