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Der Einsatzort liegt auf 3450 Metern über Meer am Hörnligrat, rund dreiviertel Stunden Kletterei von der Hörnlihütte in Richtung Matterhorngipfel. Im Juli 2008 ging eine Gruppe seil- und helmbewehrter Zürcher Geographen dort erstmals ans Werk. Fünf Tage lang schufteten die Forscher in Fels und Eis.
Das schwere Werkzeug liess sich das Team per Hubschrauber auf den Hörnligrat liefern, Bohrmaschinen, Felsschrauben, Drahtseile, Kabel, einen Stromgenerator mit Ersatzbenzin. Und natürlich auch jene wertvollen Dinge, die es zu installieren galt: modernste Sensoren aus eigener Produktion, die ihre vielen Messdaten in die Hochschullabors übermitteln sollten.
2001 hatte Stephan Gruber vom Geographischen Institut der Universität Zürich erste Messungen zur Untersuchung der räumlichen Muster und Veränderungen von Permafrost im steilen Fels gemacht. Im Jahrhundertsommer 2003 machte der schwindende Permafrost dann unerwartet Schlagzeilen: Am Matterhorn lösten sich ganze Felsflächen und donnerten zu Tal.
«Von da an bekam die Untersuchung von Permafrost im Fels, die als Grundlagenforschung begonnen hatte, sehr rasch angewandte Relevanz», sagt Gruber. 2005 dann machten sich die Zürcher Geographen gemeinsam mit Computerwissenschaftern der Universität Basel daran, ein modernes und zuverlässiges Messsystem für Permafrost im Hochgebirge – PermaSense – zu entwickeln.
Was ist Permafrost? Die Wissenschaft hat sich auf eine einfache Formel geeinigt. Permafrost nennt man Erd-, Schutt- oder Felsmaterial, dessen Temperatur während einem Jahr null Grad Celsius nicht übersteigt. Eis in Gesteinsporen und Felsritzen kann den Sommer also überdauern, ohne zu schmelzen. Im Alpenraum beginnt Permafrost oberhalb der Baumgrenze.
Der Klimawandel gefährdet das subtile Gleichgewicht des Permafrosts. Veränderungen im Permafrost haben unter Umständen schwerwiegende Folgen. Bis anhin durfte der Mensch sich, wenn er in den Bergen Häuser und Dörfer, Strassen und Brücken, Seilbahnmasten und Clubhütten baute, auf uralte Erfahrungswerte verlassen. Wo es seit Generationen keinen Felssturz oder Steinschlag gegeben hatte, konnte man sich in der Regel sicher fühlen.
«Doch mit der zunehmenden Erwärmung der Erdatmosphäre», sagt Stephan Gruber, «können auch Felspartien auftauen, die möglicherweise seit hunderttausenden von Jahren nie mehr aufgetaut waren. Da müssen wir mit Überraschungen rechnen.» Es gilt also, neue Gefahren zu antizipieren und mögliche Szenarien zu berechnen – angewandte Forschung, die durch Messungen des PermaSense-Projekts unterstützt wird.
Der andere Teil des Projekts ist weiterhin die Grundlagenforschung. Wie funktioniert Permafrost wirklich, und wie reagiert er auf Veränderung der Umwelt? Um solche Fragen zu beantworten baute das PermaSense-Team um Stephan Gruber eine erste Generation von Messgeräten mit drahtloser Datenübermittlung.
Im Herbst 2006 fuhr man aufs Jungfraujoch und brachte die ersten Sensoren im steilen Fels gleich unterhalb des alten Observatoriums in Position. Die Sensoren funktionierten, aber die drahtlosen Sender machten schon nach einer Woche Probleme. Was tun? Die Geographen fragten beim Institut für Technische Informatik und Kommunikation der ETH Zürich an.
«Die waren begeistert und brachten genau jene Expertise, die uns fehlte», sagt Gruber. Auf den Werkbänken und Bildschirmen der ETH entstand eine zweite Generation spezialisierter Hard- und Software, um die komplexen Messungen zu steuern.
Die Messgeräte bestehen aus zwei Komponenten: aus Sensoren und drahtlosen Sendern. Jeweils mehrere Sensoren liefern ihre Messdaten via Kabel an einen drahtlosen Sender. Am Hörnligrat sind 13 solcher Sender installiert. Geschützt vor Wasser, Blitz- und Steinschlag kleben die Kästchen am Fels. Sie beherbergen einen Computer, der die Daten verarbeitet, ein Funkmodul, das diese weiterschickt, und eine zündholzschachtelgrosse Batterie, die auf Temperaturen bis minus 55 Grad Celsius und auf drei Jahre Betriebszeit ausgelegt ist.
Die so gewonnenen Messdaten gelangen zu einer dritten Komponente, dem zentralen Empfänger. Er speist die Bits und Bytes ins Internet ein. Am Matterhorn, wo keine Infrastruktur in der Nähe ist, geschieht dies mit einem eingebauten Handy, auf dem dicht bebauten Jungfraujoch hingegen gibt es direkten Zugang zum Internet. Die Entwicklung der Messtechnik, das Engineering, verschlingt hohe Summen. Das Gesamtbudget des PermaSense-Projekts liegt denn auch bei über einer Million Schweizer Franken.
Nach fast vier Jahren Aufbauarbeit wird es in der kommenden Zeit vermehrt darum gehen, die Messdaten auszuwerten. Seit kurzem besteht nun ein enger Kontakt zum Labor für Verteilte Informationssysteme (LSIR) der ETH Lausanne. Hier sind Forscher mit dem nötigen Knowhow am Werk, um die Messungen in einer passenden Datenbank zu versorgen und einer Auswertung zugänglich zu machen.
Konkrete Resultate für die Geowissenschaft bringt PermaSense den drei Projektmitarbeitenden der Universität Zürich erst seit kurzem. «PermaSense ist zwar eine langfristige Investition, die erst nach drei oder vier Jahren für die Geowissenschaft Früchte trägt», sagt Stephan Gruber, «aber die Zusammenarbeit mit Wissenschaftern, Forscherinnen und Technikern aus den verschiedensten Fachgebieten macht einzigartige Messungen möglich.»
Langfristig hofft Gruber, ein Unternehmen zu finden, das die PermaSense-Sensoren in Serie baut und kommerziell vertreibt. So bliebe die entwickelte Technologie auch nach dem Projektende im Jahr 2013 für die Umweltforschung verfügbar.
In PermaSense liegt viel praktisches Potenzial. Gruber: «Menge, Bedeutung und Wert von Infrastruktur in den Bergen nehmen ständig zu, gleichzeitig verändert sich mit dem Klimawandel der Charakter vieler Naturgefahren, und obendrein wächst unser subjektives Sicherheitsbedürfnis.
Auf der anderen Seite werden die Budgets für entsprechende Massnahmen jedoch meist nicht grösser. In diesem Problemfeld kann Technologie wie jene von PermaSense dazu beitragen, ein kostengünstiges und verlässliches Frühwarnsystem zu schaffen – und birgt damit freilich auch grosses kommerzielles Potenzial.»