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Zwangsstörungen erkennen und behandeln

Ist der Herd abgestellt?

Fast jeder Mensch hat seine Marotten. Bei manchen Menschen weiten sich diese jedoch zu krankhaften Zwängen aus. Menschen mit Zwängen wissen, dass sie übertrieben reagieren – aber sie können sich nicht gegen den Zwang wehren. Auf der diesjährigen Jahrestagung: «Zwangsstörungen – Einsichten und Auswege» kamen neben Experten auch Betroffene zu Wort.
Marita Fuchs

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Je stärker das zwanghafte Verhalten von dem sonst üblichen Verhalten abweicht...

Sie waschen sich ständig die Hände, weil sie Angst vor Bakterien haben. Andere kontrollieren den Herd oder die Haustür unzählige Male oder sammeln und ordnen die unsinnigsten Dinge. Wenn diese Verhaltensweisen den Alltag bestimmen und der Betroffene sehr darunter leidet, ist Hilfe unbedingt erforderlich.

Weltweit leiden, laut Angaben der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen, etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung irgendwann im Leben an behandlungsbedürftigen Zwängen. In der Schweiz sind statistisch gesehen rund 100.000 Männer und Frauen betroffen.

Auf der diesjährigen Jahrestagung 2008 der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen, die am vergangenen Wochenende im Universitätsspital Zürich stattfand, erläuterte Professor Ulrich Schnyder von der Universität Zürich in seiner Einführung, dass sich die Therapiemöglichkeiten für Personen mit Zwangsstörungen in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert haben. Vor allem die neurobiologische Forschung habe dazu beigetragen, Zwangserkrankungen besser zu verstehen.

... und je mehr es den Betroffenen in seinem alltäglichen Leben behindert und einengt...

Neurobiologischer Nachweis

Im Gegensatz zu Schizophrenie-Kranken erkennen Personen mit einer Zwangsstörung, dass ihr Tun im Prinzip unsinnig oder zumindest übertrieben ist, sie könnten sich aber nicht dagegen wehren. Dies erklärte Privatdozent Michael Rufer vom Universitätsspital Zürich, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen und Organisator der Jahrestagung. Bildgebende Verfahren hätten gezeigt, dass bei Zwangsstörungen eine Überaktivität in bestimmten Hirnregionen vorliegt. Patienten stünden – bildlich gesprochen – zu stark unter Strom. Bei einer erfolgreichen Behandlung gingen auch die Auffälligkeiten in den entsprechenden Hirnbereichen wieder zurück, erklärte Rufer.

Trotz dieser Ergebnisse bleibt die genaue Ursache der Krankheit nach wie vor unbekannt. Vermutet wird allerdings ein ungünstiges Zusammenwirken von psychosozialen Faktoren und Veranlagung.

Abstruse Sammelwut

Schon Kinder und Jugendliche können unter Zwangsstörungen leiden. Professorin Susanne Walitza, vom Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie der UZH, erläuterte das Therapiekonzept bei zwangsgestörten Kindern und Jugendlichen am Beispiel des 12-jährigen Beat*. Er habe um Hilfe gebeten, weil er sich von dem Zwang, Abfall zu sammeln, nicht befreien konnte.

... um so eher handelt es sich um eine Zwangsstörung.

Er konnte an keinem Papierschnipsel vorbeigehen, ohne ihn aufzuheben. Widerstand er doch einmal dem Drang, oder machten äussere Umstände die Ausführung unmöglich, wuchsen Angst und Unruhe ins Unerträgliche. Der Junge sammelte alles, von der Dose bis hin zu Kot und häufte das Gesammelte in grossen Tüten in seinem Zimmer an.

Wichtig sei es, dass die Eltern früh in die Therapie mit einbezogen würden, führte Walitza aus. Zwänge zeigten sich häufig zu Hause und nur mit der Hilfe der Eltern könnten Rückfälle vermieden werden. Zusätzlich müsse man klären, ob auch bei anderen Familienmitgliedern Zwangsstörungen aufträten. In kleinen Schritten werde dann eine Psychotherapie durchgeführt, die auch medikamentös begleitet werden könne.

Professorin Susanne Walitza, vom Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie der UZH und Michael Rufer vom Universitätsspital Zürich, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen an der Tagung.

So lernen die Kinder während der Therapie, ihrem Zwang einen persönlichen Namen zu geben. Sie sprechen vom «Monster» oder «Tüfeli» und könnten damit die subjektive Bedeutung der Zwangsgedanken oder Zwangsimpulse verringern. Die Psychotherapie und die medikamentöse Behandlung mit Clomipramin haben bei Beat schon nach acht Wochen angeschlagen. «Es ist für ihn eine deutliche Verbesserung der Situation eingetreten», sagte Walitza. Die Medikamente beeinflussen das Serotonin im Gehirn, einem von vielen Neurotransmittern, die es den Nervenzellen ermöglichen, Informationen auszutauschen.

Rätselhafte Rituale gepaart mit Aberglaube

Christine Poppe, Past-Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangsstörungen, behandelt häufig Patienten mit Zwangsgedanken. Zähl-, Zeige- und Berührungszwänge sind oft eine Art Aberglaube, persönliche Gegenmittel für befürchtetes Unglück. So wurde eine Frau immer wieder von dem Gedanken geplagt, sie könne ihre Kinder erstechen, wenn sie in der Küche war und für die Familie kochte. Je mehr sie versuchte, diesen Gedanken zu unterdrücken, umso aufdringlicher wurde er. «Dabei verwechseln die Patienten ihre Gedanken mit Handlungen, und plagen sich – wie im Fall der Frau – mit einem schlechten Gewissen», führte Poppe aus.

In einer Therapie lernen die Patientinnen und Patienten, ihre Zwangsgedanken nicht zu unterdrücken und sie damit zu relativieren, indem sie die Gedanken als einfache Phantasiegebilde orten. Diese bewertungsfreie Wahrnehmung löse den inneren Druck.

Noch immer sei es schwierig, Ärzte zu finden, die sich mit Zwangsstörungen auskennen, auch in der Schweiz bestehe ein Mangel an Therapeuten, sagte Christine Poppe.

Zwanghaftes Haareausreissen

Die Hamburgerin Antonia Peters, Vorsitzende der Gesellschaft für Zwangserkrankungen in Deutschland, berichtete über ihre Krankheit, die Trichotillomanie, das zwanghafte Haareausreissen. Diese gehört zu den so ganannten Zwangsspektrums-Erkrankungen, wie beispielsweise auch die Dermatillomanie, bei der sich Erkrankte die Haut zerkratzen. Seit 1970 litt Antonia Peters unter dem psychischen Zwang, sich die Haare auszureissen. «Damals konnte mir niemand helfen», erinnert sie sich. Erst nahezu 30 Jahre später hat sie durch eine Studie der Hamburger Universität ihre Krankheit diagnostizieren können.

Die daraufhin eingeleitete Arzneitherapie hat ihr nur kurzzeitig geholfen. Erst als sie parallel dazu eine einjährige Verhaltenstherapie durchlief, bekam sie ihren Zwang in den Griff.

*Name von der Redaktion geändert

Weiterführende Informationen

Links

Buchtipp: Michael Rufer, Susanne Fricke: Der Zwang in meiner Nähe. Rat und Hilfe für Angehörige von Zwangskranken. Huber Verlag, 2008.