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Schweizer Radio DRS und das Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich (IPMZ) luden gestern, 22. Oktober 2008, zum 5. Radiosymposium zum Thema «Jung, überinformiert – unwissend? Die heutige Generation, ihre politische Meinungsbildung und die Medien» ein. Die verschiedensten Referenten und Referentinnen aus Privatwirtschaft (Swisscom), Wissenschaft und Medien sowie Jugendliche selbst kamen im Laufe des Tages zu Wort.
Sie hätten extra Professoren engagiert, um ein vollständiges Bild zu erhalten, beendete Radiodirektor Walter Rüegg seine Begrüssungrede und gab Heinz Bonfadelli das Wort, dem Leiter des IPMZ. Bonfadelli betonte, dass wer sich der Jugend über die Medien nähere, ein verzerrtes Bild erhalte: Jugendliche kommen in die Medien, wenn sie gewalttätig werden, wenn sie illegale Drogen konsumieren oder sonstige Schreckensmeldungen provozieren. Schon immer hätten die Erwachsenen die Jugend vorwiegend negativ wahrgenommen und als widerspenstige, an den Werten der Erwachsenen rüttelnde Gruppe empfunden. Bonfadelli riet aufgrund seiner Studien jedoch dazu, nicht vorschnell der üblichen Jugendkritik zu verfallen.
Repräsentative Studien im deutschsprachigen Raum hätten gezeigt, dass immerhin 30% der 12- bis 25-Jährigen «sehr interessiert an Politik» seien. Ein geringes Politikinteresse hätten in etwa gleich viele, 20% bis 30%. Auch sei es entwicklungspsychologisch ganz normal, dass Jugendliche andere Interessen in den Vordergrund stellten (Gleichaltrige, Berufswahl, erste Liebe, Auszug von Zuhause, Drogen, Ökologie etc.). Das Interesse an Politik steige mit dem Alter – und mit dem Bildungsniveau. Die wenigsten Jugendlichen seien einfach apolitisch, die meisten würden anders gewichten, was sie als politisch interessant empfänden: zum Beispiel Drogenpolitik oder die Friedensbewegung.
Die heutige Jugend sei nicht homogen, sondern fragmentiert, führte Bonfadelli weiter aus. Ihre Leitmedien seien Handy und Internet, trotzdem nutzten sie die traditionellen Medien Radio und Zeitungen (v.a. Gratiszeitungen), allerdings oft nebenbei und zusammen mit anderen Medien. Die Tendenz gehe zu flüchtigem Medienkonsum, sagte Bonfadelli: zappen, surfen und parallel konsumieren.
Bonfadelli erörterte anschliessend eine Studie, die das Politikinteresse von Jugendlichen in der Schweiz und in San Francisco miteinander verglich. In dieser Untersuchung hatten 20% aller Jugendlichen ein «starkes politisches Interesse» und 40% ein geringes. Etwa ein Viertel der Schweizer Jugendlichen fühlte sich der Politik entfremdet und befand, die Politiker und Politikerinnen hätten sich von der Basis entfernt. Das Fernsehen war für sie Informationsmedium Nummer eins, um sich eine eigene Meinung zu bilden, gefolgt von Print, Internet und Radio.
Die heutige Jugend, fasste Bonfadelli zusammen, ist eine fragmentierte, vernetzte Multimedia-Generation. Sie hat ein eigenes und breites Politikverständnis. Die Medien hätten die Aufgabe, politische Hintergrundinformationen so zu bringen, dass sie die Jugendlichen dort «abholen», wo es sie interessiere. Um den Bildungsauftrag auch bei den Jugendlichen zu erfüllen, seien neue journalistische Formen gefragt.
Die Leiterin «Medienreferat Schweizer Radio DRS», Stephanie Weiss, bestätigte in den Grundzügen Bonfadellis Referat. Auch sie bescheinigte der heutigen Jugend eine hohe Medienkompetenz. Sie sei interaktiver als frühere Generationen und nutze mobil mehrere Medien gleichzeitig. Von den Medien wünsche sich die Jugend vor allem Unterhaltung und Entspannung. Interesse Nummer eins sei die Musik. Interessantes Detail: Das Zeitungslesen hat bei den Jungen stark zugenommen, sie lesen heute fast so viel wie Erwachsene – allerdings mit Vorliebe Gratiszeitungen.
Wo sich die «Generation Umhängetasche» («taz») heute engagiert, dieser Frage ging der Medienwissenschaftler Prof. Klaus Neumann-Braun der Universität Basel nach. Laut seinen Untersuchungen finden nur 10% der Jugendlichen Politik wichtig. Seit gut zwanzig Jahren sagen Jugendliche von sich, dass sie sich in erster Linie für Freunde und Bekannte, dann für die eigene Familie und schliesslich für Freizeit interessieren. Das Schlusslicht der jugendlichen Interessen bilde die klassische Politik. Die heutige Jugend wolle Spass auch bei ernsten Geschäften haben, nur dann sei sie bereit, sich zu engagieren. Bleibe der Spass aus oder lasse er lange auf sich warten, seien die Jungen nicht interessiert, mitzumachen.
Was 18- bis 30-Jährige über Lokalpolitik wissen und wie sich dieses Wissen von Personen im mittleren Alter und nach 60 unterscheidet, hat IPMZ-Forscher Mirko Marr herausgefunden. Auch in diesem Feld stellte sich heraus, dass die Jungen nicht die Voraussetzungen erfüllen, um Zielgruppe der Lokalberichterstattung zu sein: Weder haben sie den Ort gefunden, an dem sie die nächsten 15 Jahre bleiben wollen, noch besitzen sie Haus oder Familie, so dass ihr Interesse an Lokalpolitik, die immer auch eine gewisse Verwurzelung und Sesshaftigkeit bedingt, gering ist.
Nach soviel repräsentativen Studien brachte es für einmal nicht sonderlich viel neue Erkenntnis, dass auch den Jugendlichen das Wort erteilt wurde. Deren Voten auf dem Podium kamen über den Einzelfall nicht hinaus. Einzig, dass Bildung als Voraussetzung für ein Interesse an Politik wichtig ist, konnte man aus den Statements der Jugendlichen leicht ablesen.