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Quo vadis universitas?

Zur Situation der Geisteswissenschaften an der Universität

Es ist dies das Jahr der Geisteswissenschaften – zumindest, was die Schirmherrschaft des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung betrifft. Grund genug, dass Philologinnen und Historiker, Philosophen und Theologinnen sich Gedanken machen, wie es um die Zukunft der Geisteswissenschaften steht. Den Anfang in der Reihe «Quo vadis universitas?» macht Christian Marek, der seiner Sorge über gegenwärtige Entwicklungen Ausdruck gibt.
Hansueli Rüegger

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Als im Jahr 1897 vom Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm des Vierten Bandes Erste Abtheilung Zweiter Theil (gefoppe – getreibs) erscheint, da findet sich ein Artikel geisteswissenschaften, der nicht einmal drei Zeilen füllt: «plur. neuerdings im gegensatz zu den naturwissenschaften, also philosophie, geschichte, philologie u.s.w.» Anders hatte der bereits acht Jahre früher veröffentlichte Siebente Band (n – quurren) der naturwissenschaft mehr als ein Dutzend Zeilen gewidmet. Auf ihre Umschreibung – «die wissenschaftliche kenntnis der natur und naturgesetze, die naturkunde, naturforschung» – folgen Zitate von Chr. Wolff, Kant und Goethe. Die Gegenüberstellung ist illustrativ. Während die Naturwissenschaft als einheitlicher Begriff erscheint, wird für die Geisteswissenschaften offen gelassen, was sie eigentlich sind. Es reicht nur zu einer exemplarischen Aufzählung und dem bemerkenswerten Hinweis, dass das Wort im Gegensatz zu den Naturwissenschaften steht.

Geisteswissenschaftliche Forschung braucht Freiraum und Souveränität im Sinne Humboldts, wie Christian Marek in seinem Beitrag schreibt. Bild: Statue Wilhelm Humboldts vor dem Eingang der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dass dieser Gegensatz «neuerdings» zur Kenntnis genommen wird, verdankt sich Wilhelm Dilthey, der im Jahr 1883 seine Einleitung in die Geisteswissenschaften veröffentlichte. Die Bearbeiter des Grimmschen Wörterbuchs hätten hier wenngleich nicht auf den ersten Seiten eine Begriffsbestimmung, so doch eine Bedeutung finden können, mit der Dilthey die Geisteswissenschaften als «ein selbständiges Ganzes neben den Naturwissenschaften» umreisst, nämlich als das «Ganze der Wissenschaften, welche die geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit zu ihrem Gegenstand haben». So neuerdings, wie das Deutsche Wörterbuch vorgibt, war diese Gegenüberstellung nun allerdings nicht: Sie geht zurück auf die deutsche Übersetzung von John Stuart Mills System of Logic, Rationcinative and Inductive (1843), bei der Jacob Heinrich Wilhelm Schiel moral science mit «Geisteswissenschaften» wiedergab (1849).

Unterdessen ist die akademische Welt komplexer geworden – es gibt mehr als zwei Kulturen. Die technischen Wissenschaften sind in einer eigenen Akademie verbunden und die Sozialwissenschaften, deren Gegenstand immer schon die gesellschaftliche Wirklichkeit ist, bilden eine eigene Domäne im Haus der Universität. Was immer man unter Geisteswissenschaften verstehen will, sie gehören gegenüber den Naturwissenschaften noch allemal zur «anderen Hälfte des globus intellectualis» (Dilthey). Und da sich das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung entschlossen hat, nach sieben Wissenschaftsjahren eines für die Geisteswissenschaften auszurichten, sind Angehörige eingeladen, sich über die Aussichten aus ihrem Teil der intellektuellen Welt Gedanken zu machen. Den Anfang in der Reihe «Quo vadis universitas?» macht Christian Marek, der molto con furioso seiner Sorge über gegenwärtige Entwicklungen Ausdruck gibt. Er plädiert dafür, der geisteswissenschaftlichen Forschung und Lehre ihren Freiraum und ihre Souveränität zurückzugeben.