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Lineare Irritationen

Neuronale Netze? Organigramm? Wegweiser? Die Bodenzeichnungen des Künstlers Michael Günzburger im neuen Institutsgebäude des Pädagogischen Instituts an der Freiestrasse 36 lassen die Besuchenden zunächst im Unklaren. Das ist auch die Absicht des Künstlers.
Theo von Däniken

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Strenge Sachlichkeit empfängt die Besuchenden im sanierten Institutsgebäude an der Freiestrasse 36, wo seit Beginn des Semesters das Pädagogische Institut seinen neuen Sitz hat. Die Architekten Zach und Zünd haben in ihrem Restaurationsprojekt vor allem die architektonischen Qualitäten des ursprünglichen Baus von Eduard Neuenschwander wieder freigelegt und mit minimalen Eingriffen verdeutlicht. Grossflächig eingesetzte Gelb- und Brauntöne auf dem Boden und an den Wänden erzeugen eine lichte und freundliche Atmosphäre.

Michael Günzburger

Wie zufällige, noch nicht weggewischte Spuren einer vielleicht baulichen Markierung wirken in dieser aufgeräumten Sauberkeit die Linien, die der Künstler Michael Günzburger direkt auf dem gelbglänzenden Lackboden aufgetragen hat. Sie sind Teil einer zeichnerischen Struktur, die sich vom Strassenraum bis zur Dachterrasse durch das ganze Gebäude zieht.

Ambivalenz

Gerade Linien kreuzen sich in verschiedenen Winkeln und rufen Assoziationen an Gewebestrukturen, Netzwerke oder ornamentale Muster hervor. «Es scheint so, als wäre es geometrisch», erklärt der Künstler Michael Günzburger die Ambivalenz des Werkes, «durch die Ausführung in Freihandzeichnung erhält es aber eine Ungenauigkeit, welche die strenge Geometrie unterläuft.» Das Muster selbst erhielt seine endgültige Form erst während der Arbeit vor Ort. «Die Verknüpfung der Linien wurde einerseits durch den Ort und dessen Orientierungspunkte, andererseits durch den Zufall während des Arbeitsprozesses gesteuert und geleitet», erklärt Günzburger.

Die Handzeichnungen unterlaufen die strenge Sachlichkeit des Baus.

Mit den von Hand gezeichneten Linien hat Günzburger auch ein Gegengewicht zu der formalen Strenge der Architektur geschaffen. Gleichzeitig nimmt er die zu erwartende Unordnung im Gebäude durch die Spuren der Benutzung voraus. «Meine Zeichnungen unterlaufen die Sauberkeit des restaurierten Baus. Denn in einem Universitäts-Bau ist es absehbar, dass bald Zettel an den Wänden hängen werden und sich die – noch – leeren Flächen langsam füllen.»

Irritation

Auf den ersten Blick wollen die Handzeichnungen nicht so recht zum sonst so streng durchkonzipierten und sauberen Bau passen. Gehören die Linienmuster zum Bau? Haben sie eine Funktion, sollen sie mich durchs Gebäude leiten? Sind sie nur temporär und werden bald dem Putzteufel zum Opfer fallen? «Es ist mir wichtig, bei den Betrachtenden eine Irritation hervorzurufen», erläutert Günzburger seine Intention. Nach dieser anfänglichen Irritation soll das Werk aber als «freundliche Kunst» den «Bewohnerinnen und Bewohnern» des Gebäudes zum vertrauten und anregenden Begleiter werden.

Darf man auf die Linien treten?

Weil es die Interpretation den Benutzerinnen und Benutzern überlässst, ermöglicht es immer wieder neue Fragestellungen und Assoziationen. «Die Mitarbeitenden hier sahen Gewebe mit perspektivischen Elementen, Organigramme oder Synapsen-Netzwerke in den Linien», erzählt Günzburger.

Aber auch ganz praktische Fragen stellen sich im Zusammenhang mit dem Werk: Darf man auf die Linien treten?. «Die Zeichnungen wirken durch den lasierenden Auftrag sehr fragil», so Günzburger. Auch der Putzdienst habe anfänglich Bedenken geäussert, dass er das Werk ungewollt bald wegwischen könnte. «Die Linien halten», versichert Günzburger. «Wer die Zeichnung entfernen will, der muss schon den ganzen Boden heraus reissen.» Nur temporär sind hingegen die Kreidezeichnungen, die Günzburger zur Eröffnung vor dem Gebäude «als Festbemalung» auf die Strasse gemalt hat. Sie werden durch den Regen bald weggewaschen sein.

Finale auf der Dachterrasse

«Letztlich sind die Zeichnungen auch ein Ornament. Sie bieten in den schlichten Räumen einen Halt für das Auge und lenken den Blick.» Günzburger arbeitet schon seit einiger Zeit mit Linienmustern, die er zum einen aus urbanen Organisationsformen, etwa Strassenplänen, zum anderen aus Architekturplänen ableitet.

Die Zeichnungen sind auf jedem Stockwerk in den foyerartigen Vorräumen sowie im Strassenraum bei den Eingängen und auf der Dachterrasse angebracht. «Ich wollte nicht das ganze Gebäude mit den Zeichnungen überziehen», erklärt Günzburger. Wer jedoch durch das Gebäude geht, stösst immer wieder auf die Strukturen und kann sich von ihnen bis zum Finale auf der Dachterrasse leiten lassen.

Nicht allzu pädagogisch

Günzburgers Arbeit wurde in einem Wettbewerb im Frühjahr unter vier Beiträgen zur Realisierung ausgewählt. «Es ist eine lichte und poetische Arbeit, die sich an bestehende Strukturen und an die Eingänge andockt», erläutert die Kunsthistorikerin Susanne Wintsch den Entscheid der Jury. Wintsch kuratierte den Wettbewerb im Auftrag des Kantons.

«Insbesondere die Vertreterin des Pädagogischen Instituts sprach sich dafür aus, weil sich die Arbeit ‚wie ein Windhauch’ durch das Gebäude ziehe.» Zudem habe sie keine zu starke Verbindung zu Pädagogik, was bei den Mitarbeitenden auf Anklang gestossen sei. «Wenn sie sich schon den ganzen Tag im Gebäude aufhalten, dann möchten sie gerne eine offenere, freiere Arbeit», erklärt Wintsch.